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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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so bloß armselig an der Gironde hin, waren bloß
Girondins und Deines Vaters leibliche Vettern fielen
unter der Guillotine, weil sie treu und frei zugleich
waren und uneingeschüchtert durch das Geschrei des
Berges für das Leben ihres Königs gestimmt hatten."

Immer verwunderter folgte Victoire.

"Aber," fuhr Frau von Carayon fort, "ich will
nicht von Jüngstgeschehenem sprechen, will nicht sprechen
von heute. Denn ich weiß wohl, das von Heutesein
ist immer ein Verbrechen in den Augen derer, die
schon gestern da waren, gleichviel wie. Nein, ich
will von alten Zeiten sprechen, von Zeiten, als der
erste Schach ins Land und an den Ruppiner See
kam, und einen Wall und Graben zog, und eine la¬
teinische Messe hörte, von der er nichts verstand.
Eben damals zogen die Carayons, ces pauvres et
malheureux Carayons
, mit vor Jerusalem und
eroberten es und befreiten es. Und als sie heimkamen,
da kamen Sänger an ihren Hof, und sie sangen selbst,
und als Victoire de Carayon (ja sie hieß auch Victoire)
sich dem großen Grafen von Lusignan vermählte,
dessen erlauchter Bruder Großprior des hohen Ordens
vom Spital und endlich König von Cypern war, da
waren wir mit einem Königshause versippt und ver¬
schwägert, mit den Lusignans, aus deren großem
Hause die schöne Melusine kam, unglücklichen aber
Gott sei Dank unprosaischen Angedenkens. Und von

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ſo bloß armſelig an der Gironde hin, waren bloß
Girondins und Deines Vaters leibliche Vettern fielen
unter der Guillotine, weil ſie treu und frei zugleich
waren und uneingeſchüchtert durch das Geſchrei des
Berges für das Leben ihres Königs geſtimmt hatten.“

Immer verwunderter folgte Victoire.

„Aber,“ fuhr Frau von Carayon fort, „ich will
nicht von Jüngſtgeſchehenem ſprechen, will nicht ſprechen
von heute. Denn ich weiß wohl, das von Heuteſein
iſt immer ein Verbrechen in den Augen derer, die
ſchon geſtern da waren, gleichviel wie. Nein, ich
will von alten Zeiten ſprechen, von Zeiten, als der
erſte Schach ins Land und an den Ruppiner See
kam, und einen Wall und Graben zog, und eine la¬
teiniſche Meſſe hörte, von der er nichts verſtand.
Eben damals zogen die Carayons, ces pauvres et
malheureux Carayons
, mit vor Jeruſalem und
eroberten es und befreiten es. Und als ſie heimkamen,
da kamen Sänger an ihren Hof, und ſie ſangen ſelbſt,
und als Victoire de Carayon (ja ſie hieß auch Victoire)
ſich dem großen Grafen von Luſignan vermählte,
deſſen erlauchter Bruder Großprior des hohen Ordens
vom Spital und endlich König von Cypern war, da
waren wir mit einem Königshauſe verſippt und ver¬
ſchwägert, mit den Luſignans, aus deren großem
Hauſe die ſchöne Meluſine kam, unglücklichen aber
Gott ſei Dank unproſaiſchen Angedenkens. Und von

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[177/0189] ſo bloß armſelig an der Gironde hin, waren bloß Girondins und Deines Vaters leibliche Vettern fielen unter der Guillotine, weil ſie treu und frei zugleich waren und uneingeſchüchtert durch das Geſchrei des Berges für das Leben ihres Königs geſtimmt hatten.“ Immer verwunderter folgte Victoire. „Aber,“ fuhr Frau von Carayon fort, „ich will nicht von Jüngſtgeſchehenem ſprechen, will nicht ſprechen von heute. Denn ich weiß wohl, das von Heuteſein iſt immer ein Verbrechen in den Augen derer, die ſchon geſtern da waren, gleichviel wie. Nein, ich will von alten Zeiten ſprechen, von Zeiten, als der erſte Schach ins Land und an den Ruppiner See kam, und einen Wall und Graben zog, und eine la¬ teiniſche Meſſe hörte, von der er nichts verſtand. Eben damals zogen die Carayons, ces pauvres et malheureux Carayons, mit vor Jeruſalem und eroberten es und befreiten es. Und als ſie heimkamen, da kamen Sänger an ihren Hof, und ſie ſangen ſelbſt, und als Victoire de Carayon (ja ſie hieß auch Victoire) ſich dem großen Grafen von Luſignan vermählte, deſſen erlauchter Bruder Großprior des hohen Ordens vom Spital und endlich König von Cypern war, da waren wir mit einem Königshauſe verſippt und ver¬ ſchwägert, mit den Luſignans, aus deren großem Hauſe die ſchöne Meluſine kam, unglücklichen aber Gott ſei Dank unproſaiſchen Angedenkens. Und von 12

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/189>, abgerufen am 28.04.2024.