Ich litt aber nicht lange darunter, was wohl damit zusammenhing, daß ich, von Natur ängstlich, sofort unängstlich werde, wenn Personen oder Verhältnisse mich ängstlich machen wollen. Also noch einmal, ich kam mit dem in der ganzen Stadt gefürchteten Manne sehr gut aus und hatte mich nur über eins zu beschweren, was mein Dr. Kannenberg - so hieß er - beim besten Willen nicht ändern konnte: grausame Langeweile. Daß Haus und Stadt ausschließlich daran schuld gewesen seien, darf ich nicht behaupten; es lag viel mehr an mir selbst, der ich nie die Kunst verstanden, mich an einer Skat- oder Kegelpartie zu beteiligen, trotzdem ich immer eine herzliche Vorliebe für natürliche Menschen gehabt, auch jederzeit auf dem denkbar besten Fuße mit ihnen gelebt habe, wenn nur erst das Eis gebrochen war. Dazu kam es aber nicht, und bereits am 30. Dezember früh - es war mein Geburtstag, den ich dadurch feierte - verließ ich Burg in einer bis Genthin gehenden Fahrpost. Diese Postwagenstunden sind mir unvergeßlich geblieben; ich verbrachte sie nämlich mit zwei Schauspielerinnen, von denen die ältere, die wohl schon Ende dreißig sein mochte, mich entzückte. Sie fühlte mit der solchen Damen eigenen Klugheit rasch eine gewisse Metierverwandtschaft heraus, nahm mich ganz als bon enfant
Ich litt aber nicht lange darunter, was wohl damit zusammenhing, daß ich, von Natur ängstlich, sofort unängstlich werde, wenn Personen oder Verhältnisse mich ängstlich machen wollen. Also noch einmal, ich kam mit dem in der ganzen Stadt gefürchteten Manne sehr gut aus und hatte mich nur über eins zu beschweren, was mein Dr. Kannenberg – so hieß er – beim besten Willen nicht ändern konnte: grausame Langeweile. Daß Haus und Stadt ausschließlich daran schuld gewesen seien, darf ich nicht behaupten; es lag viel mehr an mir selbst, der ich nie die Kunst verstanden, mich an einer Skat- oder Kegelpartie zu beteiligen, trotzdem ich immer eine herzliche Vorliebe für natürliche Menschen gehabt, auch jederzeit auf dem denkbar besten Fuße mit ihnen gelebt habe, wenn nur erst das Eis gebrochen war. Dazu kam es aber nicht, und bereits am 30. Dezember früh – es war mein Geburtstag, den ich dadurch feierte – verließ ich Burg in einer bis Genthin gehenden Fahrpost. Diese Postwagenstunden sind mir unvergeßlich geblieben; ich verbrachte sie nämlich mit zwei Schauspielerinnen, von denen die ältere, die wohl schon Ende dreißig sein mochte, mich entzückte. Sie fühlte mit der solchen Damen eigenen Klugheit rasch eine gewisse Metierverwandtschaft heraus, nahm mich ganz als bon enfant
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Ich litt aber nicht lange darunter, was wohl damit zusammenhing, daß ich, von Natur ängstlich, sofort unängstlich werde, wenn Personen oder Verhältnisse mich ängstlich machen wollen. Also noch einmal, ich kam mit dem in der ganzen Stadt gefürchteten Manne sehr gut aus und hatte mich nur über eins zu beschweren, was mein <hirendition="#aq">Dr</hi>. Kannenberg – so hieß er – beim besten Willen nicht ändern konnte: grausame Langeweile. Daß Haus und Stadt ausschließlich daran schuld gewesen seien, darf ich nicht behaupten; es lag viel mehr an mir selbst, der ich nie die Kunst verstanden, mich an einer Skat- oder Kegelpartie zu beteiligen, trotzdem ich immer eine herzliche Vorliebe für natürliche Menschen gehabt, auch jederzeit auf dem denkbar besten Fuße mit ihnen gelebt habe, wenn nur erst das Eis gebrochen war. Dazu kam es aber nicht, und bereits am 30. Dezember früh – es war mein Geburtstag, den ich dadurch feierte – verließ ich Burg in einer bis Genthin gehenden Fahrpost. Diese Postwagenstunden sind mir unvergeßlich geblieben; ich verbrachte sie nämlich mit zwei Schauspielerinnen, von denen die ältere, die wohl schon Ende dreißig sein mochte, mich entzückte. Sie fühlte mit der solchen Damen eigenen Klugheit rasch eine gewisse Metierverwandtschaft heraus, nahm mich ganz als <hirendition="#aq">bon enfant</hi><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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Ich litt aber nicht lange darunter, was wohl damit zusammenhing, daß ich, von Natur ängstlich, sofort unängstlich werde, wenn Personen oder Verhältnisse mich ängstlich machen wollen. Also noch einmal, ich kam mit dem in der ganzen Stadt gefürchteten Manne sehr gut aus und hatte mich nur über eins zu beschweren, was mein Dr. Kannenberg – so hieß er – beim besten Willen nicht ändern konnte: grausame Langeweile. Daß Haus und Stadt ausschließlich daran schuld gewesen seien, darf ich nicht behaupten; es lag viel mehr an mir selbst, der ich nie die Kunst verstanden, mich an einer Skat- oder Kegelpartie zu beteiligen, trotzdem ich immer eine herzliche Vorliebe für natürliche Menschen gehabt, auch jederzeit auf dem denkbar besten Fuße mit ihnen gelebt habe, wenn nur erst das Eis gebrochen war. Dazu kam es aber nicht, und bereits am 30. Dezember früh – es war mein Geburtstag, den ich dadurch feierte – verließ ich Burg in einer bis Genthin gehenden Fahrpost. Diese Postwagenstunden sind mir unvergeßlich geblieben; ich verbrachte sie nämlich mit zwei Schauspielerinnen, von denen die ältere, die wohl schon Ende dreißig sein mochte, mich entzückte. Sie fühlte mit der solchen Damen eigenen Klugheit rasch eine gewisse Metierverwandtschaft heraus, nahm mich ganz als bon enfant
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/115>, abgerufen am 27.07.2024.
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