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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

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in den Jahren 1772 bis 1775.
sellschaften bey einander) die oft den Anfällen und Beeinträchtigungen andrer aus-1774.
August.

gesetzt ist, wird dadurch ganz natürlicher weise zu Haß und Unversöhnlichkeit ge-
gen ihre Beleidiger gereizt, und auf solche Art zur Rachgier verleitet, die endlich
in Grausamkeit ausbricht. Hat die eine Parthey noch überdem List und verrätheri-
sche Kunstgriffe bey ihren Feindseligkeiten angewandt; so erweckt dies bey der an-
dern Mistrauen, und auf solche Art entstehet denn nach und nach eine feindselige,
boshafte Gemüthsbeschaffenheit, in welcher man sich zuletzt die größten Nieder-
trächtigkeiten gegen seinen Feind erlaubt. Unter so bewandten Umständen ist nun
dem Wilden schon der bloße Anschein einer Beleidigung genug, um die Waffen
zu ergreifen, und alles vernichten zu wollen, was ihm in den Weg kommt; wird
er vollends würklich gereizt, so verläßt er sich auf das Recht des Stärksten, und
fällt seinen Feind mit einer Wuth an, die ihn der unbändigsten Grausamkeit
fähig macht *). Ein andres Volk hingegen, das nie boshafte Feinde oder an-
haltende Streitigkeiten gehabt, oder sie lange vergessen hat, das durch den Ackerbau
schon zu einem gewissen Wohlstand, Ueberfluß und Sittlichkeit, mithin auch zu
Begriffen von Geselligkeit und Menschenliebe gelangt ist, solch ein Volk weiß
nichts von Jähzorn, sondern muß schon überaus sehr gereizt werden, wenn es
auf Rache denken soll.**) Noch zur Zeit gehören die Einwohner von Tanna zu der
ersteren von diesen beyden Classen. Es läßt sich nemlich aus ihrem anfänglich miß-
trauischen Betragen, imgleichen aus dem Gebrauche, nie unbewaffnet zu gehen,
allerdings mit Grunde vermuthen, daß sie oft in innere Streitigkeiten unter
sich, oder auch mit ihren Nachbarn verwickelt seyn müssen, und da mögen denn
blos Wuth und Rachgier sie nach und nach zu Cannibalen gemacht haben, als
welches sie, ihrem eigenen Geständniß nach, noch jetzt würklich sind. Da wir
indessen keinesweges Lust hatten, es an uns selbst auf die Probe ankommen zu
lassen, so mußten wir auch Verzicht darauf thun, die Ursach zu ergründen, um
deren willen man uns nie gestatten wollte, die östliche Landspitze des Havens
in Augenschein zu nehmen.

Die Indianer waren sehr froh, als wir ihnen endlich Gehör gaben
und umkehrten. Sie führten uns, auf einem Pfade den wir noch nie gegan-

*) Siehe im ersten Band. pag. 131.
**) Ebendaselbst, pag. 243.
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in den Jahren 1772 bis 1775.
ſellſchaften bey einander) die oft den Anfaͤllen und Beeintraͤchtigungen andrer aus-1774.
Auguſt.

geſetzt iſt, wird dadurch ganz natuͤrlicher weiſe zu Haß und Unverſoͤhnlichkeit ge-
gen ihre Beleidiger gereizt, und auf ſolche Art zur Rachgier verleitet, die endlich
in Grauſamkeit ausbricht. Hat die eine Parthey noch uͤberdem Liſt und verraͤtheri-
ſche Kunſtgriffe bey ihren Feindſeligkeiten angewandt; ſo erweckt dies bey der an-
dern Mistrauen, und auf ſolche Art entſtehet denn nach und nach eine feindſelige,
boshafte Gemuͤthsbeſchaffenheit, in welcher man ſich zuletzt die groͤßten Nieder-
traͤchtigkeiten gegen ſeinen Feind erlaubt. Unter ſo bewandten Umſtaͤnden iſt nun
dem Wilden ſchon der bloße Anſchein einer Beleidigung genug, um die Waffen
zu ergreifen, und alles vernichten zu wollen, was ihm in den Weg kommt; wird
er vollends wuͤrklich gereizt, ſo verlaͤßt er ſich auf das Recht des Staͤrkſten, und
faͤllt ſeinen Feind mit einer Wuth an, die ihn der unbaͤndigſten Grauſamkeit
faͤhig macht *). Ein andres Volk hingegen, das nie boshafte Feinde oder an-
haltende Streitigkeiten gehabt, oder ſie lange vergeſſen hat, das durch den Ackerbau
ſchon zu einem gewiſſen Wohlſtand, Ueberfluß und Sittlichkeit, mithin auch zu
Begriffen von Geſelligkeit und Menſchenliebe gelangt iſt, ſolch ein Volk weiß
nichts von Jaͤhzorn, ſondern muß ſchon uͤberaus ſehr gereizt werden, wenn es
auf Rache denken ſoll.**) Noch zur Zeit gehoͤren die Einwohner von Tanna zu der
erſteren von dieſen beyden Claſſen. Es laͤßt ſich nemlich aus ihrem anfaͤnglich miß-
trauiſchen Betragen, imgleichen aus dem Gebrauche, nie unbewaffnet zu gehen,
allerdings mit Grunde vermuthen, daß ſie oft in innere Streitigkeiten unter
ſich, oder auch mit ihren Nachbarn verwickelt ſeyn muͤſſen, und da moͤgen denn
blos Wuth und Rachgier ſie nach und nach zu Cannibalen gemacht haben, als
welches ſie, ihrem eigenen Geſtaͤndniß nach, noch jetzt wuͤrklich ſind. Da wir
indeſſen keinesweges Luſt hatten, es an uns ſelbſt auf die Probe ankommen zu
laſſen, ſo mußten wir auch Verzicht darauf thun, die Urſach zu ergruͤnden, um
deren willen man uns nie geſtatten wollte, die oͤſtliche Landſpitze des Havens
in Augenſchein zu nehmen.

Die Indianer waren ſehr froh, als wir ihnen endlich Gehoͤr gaben
und umkehrten. Sie fuͤhrten uns, auf einem Pfade den wir noch nie gegan-

*) Siehe im erſten Band. pag. 131.
**) Ebendaſelbſt, pag. 243.
J i 2
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[251/0265] in den Jahren 1772 bis 1775. ſellſchaften bey einander) die oft den Anfaͤllen und Beeintraͤchtigungen andrer aus- geſetzt iſt, wird dadurch ganz natuͤrlicher weiſe zu Haß und Unverſoͤhnlichkeit ge- gen ihre Beleidiger gereizt, und auf ſolche Art zur Rachgier verleitet, die endlich in Grauſamkeit ausbricht. Hat die eine Parthey noch uͤberdem Liſt und verraͤtheri- ſche Kunſtgriffe bey ihren Feindſeligkeiten angewandt; ſo erweckt dies bey der an- dern Mistrauen, und auf ſolche Art entſtehet denn nach und nach eine feindſelige, boshafte Gemuͤthsbeſchaffenheit, in welcher man ſich zuletzt die groͤßten Nieder- traͤchtigkeiten gegen ſeinen Feind erlaubt. Unter ſo bewandten Umſtaͤnden iſt nun dem Wilden ſchon der bloße Anſchein einer Beleidigung genug, um die Waffen zu ergreifen, und alles vernichten zu wollen, was ihm in den Weg kommt; wird er vollends wuͤrklich gereizt, ſo verlaͤßt er ſich auf das Recht des Staͤrkſten, und faͤllt ſeinen Feind mit einer Wuth an, die ihn der unbaͤndigſten Grauſamkeit faͤhig macht *). Ein andres Volk hingegen, das nie boshafte Feinde oder an- haltende Streitigkeiten gehabt, oder ſie lange vergeſſen hat, das durch den Ackerbau ſchon zu einem gewiſſen Wohlſtand, Ueberfluß und Sittlichkeit, mithin auch zu Begriffen von Geſelligkeit und Menſchenliebe gelangt iſt, ſolch ein Volk weiß nichts von Jaͤhzorn, ſondern muß ſchon uͤberaus ſehr gereizt werden, wenn es auf Rache denken ſoll. **) Noch zur Zeit gehoͤren die Einwohner von Tanna zu der erſteren von dieſen beyden Claſſen. Es laͤßt ſich nemlich aus ihrem anfaͤnglich miß- trauiſchen Betragen, imgleichen aus dem Gebrauche, nie unbewaffnet zu gehen, allerdings mit Grunde vermuthen, daß ſie oft in innere Streitigkeiten unter ſich, oder auch mit ihren Nachbarn verwickelt ſeyn muͤſſen, und da moͤgen denn blos Wuth und Rachgier ſie nach und nach zu Cannibalen gemacht haben, als welches ſie, ihrem eigenen Geſtaͤndniß nach, noch jetzt wuͤrklich ſind. Da wir indeſſen keinesweges Luſt hatten, es an uns ſelbſt auf die Probe ankommen zu laſſen, ſo mußten wir auch Verzicht darauf thun, die Urſach zu ergruͤnden, um deren willen man uns nie geſtatten wollte, die oͤſtliche Landſpitze des Havens in Augenſchein zu nehmen. 1774. Auguſt. Die Indianer waren ſehr froh, als wir ihnen endlich Gehoͤr gaben und umkehrten. Sie fuͤhrten uns, auf einem Pfade den wir noch nie gegan- *) Siehe im erſten Band. pag. 131. **) Ebendaſelbſt, pag. 243. J i 2

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/265>, abgerufen am 29.05.2024.