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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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nicht etwa "Du" und "Dörtchen" wie bisher, son¬
dern ganz feierlich Sie und Jungfrau Dorothee."

"Ich finde es nur schicklich, Dorothee," versetzte
ich weise, "wenn ein junger Mann derlei Vertraulich¬
keiten aufgiebt, einem Mädchen gegenüber, das sich
jeden Tag verheirathen kann."

"Verheirathen!" rief die Dorl seelenvergnügt. "Ja,
aber mit wem denn, Fräulein Hardine?"

"Nun vielleicht eben mit dem Siegmund Faber."

Die Kleine blickte enttäuscht. "Mit dem?"
schmollte sie, "mit dem? Ach warum nicht gar. Der
denkt an Krüppel und Leichen, aber nicht an eine
Frau."

"Meine Eltern hoffen und wünschen das Gegen¬
theil, Dorothee. Sie nennen diese Heirath Deine Ret¬
tung, Dein Glück."

Sie wurde blaß; ihre Augen füllten sich mit
Thränen. "Aber ich fürchte mich vor ihm!" lispelte
sie bebend.

"Hast Du die Auslegung des sechsten Gebots in
unseren Abendmahlsstunden vergessen?" fragte ich in
der lehrreichen Manier, die mir meiner kleinen Dorl,
und zum Glück nur dieser gegenüber, zur anderen Na¬
tur geworden war: "Ihren Gott im Himmel und

nicht etwa „Du“ und „Dörtchen“ wie bisher, ſon¬
dern ganz feierlich Sie und Jungfrau Dorothee.“

„Ich finde es nur ſchicklich, Dorothee,“ verſetzte
ich weiſe, „wenn ein junger Mann derlei Vertraulich¬
keiten aufgiebt, einem Mädchen gegenüber, das ſich
jeden Tag verheirathen kann.“

„Verheirathen!“ rief die Dorl ſeelenvergnügt. „Ja,
aber mit wem denn, Fräulein Hardine?“

„Nun vielleicht eben mit dem Siegmund Faber.“

Die Kleine blickte enttäuſcht. „Mit dem?“
ſchmollte ſie, „mit dem? Ach warum nicht gar. Der
denkt an Krüppel und Leichen, aber nicht an eine
Frau.“

„Meine Eltern hoffen und wünſchen das Gegen¬
theil, Dorothee. Sie nennen dieſe Heirath Deine Ret¬
tung, Dein Glück.“

Sie wurde blaß; ihre Augen füllten ſich mit
Thränen. „Aber ich fürchte mich vor ihm!“ lispelte
ſie bebend.

„Haſt Du die Auslegung des ſechsten Gebots in
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[128/0135] nicht etwa „Du“ und „Dörtchen“ wie bisher, ſon¬ dern ganz feierlich Sie und Jungfrau Dorothee.“ „Ich finde es nur ſchicklich, Dorothee,“ verſetzte ich weiſe, „wenn ein junger Mann derlei Vertraulich¬ keiten aufgiebt, einem Mädchen gegenüber, das ſich jeden Tag verheirathen kann.“ „Verheirathen!“ rief die Dorl ſeelenvergnügt. „Ja, aber mit wem denn, Fräulein Hardine?“ „Nun vielleicht eben mit dem Siegmund Faber.“ Die Kleine blickte enttäuſcht. „Mit dem?“ ſchmollte ſie, „mit dem? Ach warum nicht gar. Der denkt an Krüppel und Leichen, aber nicht an eine Frau.“ „Meine Eltern hoffen und wünſchen das Gegen¬ theil, Dorothee. Sie nennen dieſe Heirath Deine Ret¬ tung, Dein Glück.“ Sie wurde blaß; ihre Augen füllten ſich mit Thränen. „Aber ich fürchte mich vor ihm!“ lispelte ſie bebend. „Haſt Du die Auslegung des ſechsten Gebots in unſeren Abendmahlsſtunden vergeſſen?“ fragte ich in der lehrreichen Manier, die mir meiner kleinen Dorl, und zum Glück nur dieſer gegenüber, zur anderen Na¬ tur geworden war: „Ihren Gott im Himmel und

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/135>, abgerufen am 05.05.2024.