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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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erhoben ward, zeigte die Seherin sich kopfhängerisch
und kleinlaut, an ihr Fräulein aber erging die deu¬
tungsschwere Mahnung: "sich vor Schindern und
Schabern in Acht zu nehmen." Auf einen Obsieg
des Herzkönigs schien die Muhme nach manchen leid¬
vollen Proben verzichtet zu haben; aber selber die viel¬
verheißendste Constellation des Grünkönigs wurde im
letzten Augenblicke jederzeit von einem ausverschämten
Schellenunter gekreuzt.

Wer war nun aber dieser unvermeidliche Schellenun¬
ter, der die Nachtruhe meiner alten Muhme so grau¬
sam störte? Eine Zeitlang hatte sie ein gar böses
Auge auf den wortkargen, hochfahrenden Wirthssohn
gerichtet; seit dessen plötzlicher Entfernung aber, und
dem veränderten Glückszustande seiner Braut waren
die Gedanken in eine andere Bahn gedrängt worden.
Der verhängnißvolle Schellenunter brauchte nicht noth¬
wendig eine Mannsperson zu sein; ja weit natürlicher
war es ein Frauenzimmer, und dieses Frauenzimmer
kein anderes, als -- unsere neue Wirthin, Dorothee.

Muhme Justine war zwar keine leibliche, aber
doch eine Namensbase der kleinen Dorl. Beide
nannten sich Müllerin; da aber Muhme Justine ein
Gemüth hegte, stolzer noch als das der Reckenburgs,

erhoben ward, zeigte die Seherin ſich kopfhängeriſch
und kleinlaut, an ihr Fräulein aber erging die deu¬
tungsſchwere Mahnung: „ſich vor Schindern und
Schabern in Acht zu nehmen.“ Auf einen Obſieg
des Herzkönigs ſchien die Muhme nach manchen leid¬
vollen Proben verzichtet zu haben; aber ſelber die viel¬
verheißendſte Conſtellation des Grünkönigs wurde im
letzten Augenblicke jederzeit von einem ausverſchämten
Schellenunter gekreuzt.

Wer war nun aber dieſer unvermeidliche Schellenun¬
ter, der die Nachtruhe meiner alten Muhme ſo grau¬
ſam ſtörte? Eine Zeitlang hatte ſie ein gar böſes
Auge auf den wortkargen, hochfahrenden Wirthsſohn
gerichtet; ſeit deſſen plötzlicher Entfernung aber, und
dem veränderten Glückszuſtande ſeiner Braut waren
die Gedanken in eine andere Bahn gedrängt worden.
Der verhängnißvolle Schellenunter brauchte nicht noth¬
wendig eine Mannsperſon zu ſein; ja weit natürlicher
war es ein Frauenzimmer, und dieſes Frauenzimmer
kein anderes, als — unſere neue Wirthin, Dorothee.

Muhme Juſtine war zwar keine leibliche, aber
doch eine Namensbaſe der kleinen Dorl. Beide
nannten ſich Müllerin; da aber Muhme Juſtine ein
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[151/0158] erhoben ward, zeigte die Seherin ſich kopfhängeriſch und kleinlaut, an ihr Fräulein aber erging die deu¬ tungsſchwere Mahnung: „ſich vor Schindern und Schabern in Acht zu nehmen.“ Auf einen Obſieg des Herzkönigs ſchien die Muhme nach manchen leid¬ vollen Proben verzichtet zu haben; aber ſelber die viel¬ verheißendſte Conſtellation des Grünkönigs wurde im letzten Augenblicke jederzeit von einem ausverſchämten Schellenunter gekreuzt. Wer war nun aber dieſer unvermeidliche Schellenun¬ ter, der die Nachtruhe meiner alten Muhme ſo grau¬ ſam ſtörte? Eine Zeitlang hatte ſie ein gar böſes Auge auf den wortkargen, hochfahrenden Wirthsſohn gerichtet; ſeit deſſen plötzlicher Entfernung aber, und dem veränderten Glückszuſtande ſeiner Braut waren die Gedanken in eine andere Bahn gedrängt worden. Der verhängnißvolle Schellenunter brauchte nicht noth¬ wendig eine Mannsperſon zu ſein; ja weit natürlicher war es ein Frauenzimmer, und dieſes Frauenzimmer kein anderes, als — unſere neue Wirthin, Dorothee. Muhme Juſtine war zwar keine leibliche, aber doch eine Namensbaſe der kleinen Dorl. Beide nannten ſich Müllerin; da aber Muhme Juſtine ein Gemüth hegte, ſtolzer noch als das der Reckenburgs,

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/158>, abgerufen am 30.04.2024.