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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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leitete mich Monsieur Jaques, nachdem er auch das
Vorzimmer verschlossen hatte, den Corridor entlang
bis zu Reckenburgs "neuem Thurm", die "westliche
Rotunde" jener Zeit. Er stand durch eine Wendel¬
treppe mit den Wirthschaftsräumen in Verbindung
und das mir geöffnete Zimmer war das einzige im
Frontbau, das ursprünglich zu einem Domestikenraum
eingerichtet schien. Denn die Wände waren nur ge¬
tüncht, der Fußboden roh gedielt, ein Ofen fehlte, und
es enthielt als Ausstaffirung nichts als einen Tisch,
einen Stuhl, einen Kleiderschrank, das nothdürftigste
Waschgeräth und ein Bett, welches keineswegs Dau¬
nen und seidene Polster schwellten. Gegen meine hei¬
mische Dachkammer war der Abstich nicht allzugroß;
aber freilich an das lachende Mädchenstübchen der klei¬
nen Dorl durfte ich nicht denken.

Ich war an strengen Gehorsam gewöhnt; habe
auch jederzeit, wo ich nicht befehlen durfte, gern ge¬
horcht. Ich warf also meine Kleider ab, löschte das
Talglicht, das mein Führer zurückgelassen hatte, und
schlief, ohne durch eine Spuk- oder auch nur Traum¬
gestalt behelligt zu werden, meine sieben Stunden so
ungestört, wie ich sie mein Lebtag immer geschlafen
habe und noch heute schlafe.

leitete mich Monſieur Jaques, nachdem er auch das
Vorzimmer verſchloſſen hatte, den Corridor entlang
bis zu Reckenburgs „neuem Thurm“, die „weſtliche
Rotunde“ jener Zeit. Er ſtand durch eine Wendel¬
treppe mit den Wirthſchaftsräumen in Verbindung
und das mir geöffnete Zimmer war das einzige im
Frontbau, das urſprünglich zu einem Domeſtikenraum
eingerichtet ſchien. Denn die Wände waren nur ge¬
tüncht, der Fußboden roh gedielt, ein Ofen fehlte, und
es enthielt als Ausſtaffirung nichts als einen Tiſch,
einen Stuhl, einen Kleiderſchrank, das nothdürftigſte
Waſchgeräth und ein Bett, welches keineswegs Dau¬
nen und ſeidene Polſter ſchwellten. Gegen meine hei¬
miſche Dachkammer war der Abſtich nicht allzugroß;
aber freilich an das lachende Mädchenſtübchen der klei¬
nen Dorl durfte ich nicht denken.

Ich war an ſtrengen Gehorſam gewöhnt; habe
auch jederzeit, wo ich nicht befehlen durfte, gern ge¬
horcht. Ich warf alſo meine Kleider ab, löſchte das
Talglicht, das mein Führer zurückgelaſſen hatte, und
ſchlief, ohne durch eine Spuk- oder auch nur Traum¬
geſtalt behelligt zu werden, meine ſieben Stunden ſo
ungeſtört, wie ich ſie mein Lebtag immer geſchlafen
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[189/0196] leitete mich Monſieur Jaques, nachdem er auch das Vorzimmer verſchloſſen hatte, den Corridor entlang bis zu Reckenburgs „neuem Thurm“, die „weſtliche Rotunde“ jener Zeit. Er ſtand durch eine Wendel¬ treppe mit den Wirthſchaftsräumen in Verbindung und das mir geöffnete Zimmer war das einzige im Frontbau, das urſprünglich zu einem Domeſtikenraum eingerichtet ſchien. Denn die Wände waren nur ge¬ tüncht, der Fußboden roh gedielt, ein Ofen fehlte, und es enthielt als Ausſtaffirung nichts als einen Tiſch, einen Stuhl, einen Kleiderſchrank, das nothdürftigſte Waſchgeräth und ein Bett, welches keineswegs Dau¬ nen und ſeidene Polſter ſchwellten. Gegen meine hei¬ miſche Dachkammer war der Abſtich nicht allzugroß; aber freilich an das lachende Mädchenſtübchen der klei¬ nen Dorl durfte ich nicht denken. Ich war an ſtrengen Gehorſam gewöhnt; habe auch jederzeit, wo ich nicht befehlen durfte, gern ge¬ horcht. Ich warf alſo meine Kleider ab, löſchte das Talglicht, das mein Führer zurückgelaſſen hatte, und ſchlief, ohne durch eine Spuk- oder auch nur Traum¬ geſtalt behelligt zu werden, meine ſieben Stunden ſo ungeſtört, wie ich ſie mein Lebtag immer geſchlafen habe und noch heute ſchlafe.

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/196>, abgerufen am 30.04.2024.