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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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lich mit dem Schrei: "Muhme, Muhme Justine!"
durch die geöffnete Thür.

Aber es war nicht die alte Muhme, es war eine
junge Familie, die er in dem netten Zimmer zur
Mittagsmahlzeit versammelt fand. Der Tisch stand
blitzblank gedeckt, obgleich nur mit Buttermilch und
einem Grützbrei besetzt. Herr August hätte keinen
Appetit auf diese Kost verspürt, wenn man ihn zum
Niedersitzen eingeladen hätte.

Indessen man lud ihn nicht ein; im Gegentheil,
man erhob sich und drängte ihn ganz unmerklich wieder
zur Thüre hinaus. Sichtlich mit Widerwillen gab
man den Bescheid, daß das vormalige gräfliche Meute¬
wärterhaus jetzt die Wohnung des Schäfereiaufsehers
sei. Mit mißtrauischen Blicken wurde dann die Thür
abgeschlossen und der Weg nach der Schäferei, einem
neuen Anbau, von der gesammten Familie angetreten.

Nur ein eisgrauer Großvater war zurückgeblieben,
um im Sonnenschein auf der Bank vor der Thür die
steifen Glieder zu wärmen. Bei ihm verhielt sich
unser Invalid, noch einmal Aufschluß über Muhme
Justinen und Fräulein Hardinen erbittend. Und sei
es nun, daß zu des Alten Zeit in Reckenburg weniger
gearbeitet und mehr geschwätzt worden war, sei es,

lich mit dem Schrei: „Muhme, Muhme Juſtine!“
durch die geöffnete Thür.

Aber es war nicht die alte Muhme, es war eine
junge Familie, die er in dem netten Zimmer zur
Mittagsmahlzeit verſammelt fand. Der Tiſch ſtand
blitzblank gedeckt, obgleich nur mit Buttermilch und
einem Grützbrei beſetzt. Herr Auguſt hätte keinen
Appetit auf dieſe Koſt verſpürt, wenn man ihn zum
Niederſitzen eingeladen hätte.

Indeſſen man lud ihn nicht ein; im Gegentheil,
man erhob ſich und drängte ihn ganz unmerklich wieder
zur Thüre hinaus. Sichtlich mit Widerwillen gab
man den Beſcheid, daß das vormalige gräfliche Meute¬
wärterhaus jetzt die Wohnung des Schäfereiaufſehers
ſei. Mit mißtrauiſchen Blicken wurde dann die Thür
abgeſchloſſen und der Weg nach der Schäferei, einem
neuen Anbau, von der geſammten Familie angetreten.

Nur ein eisgrauer Großvater war zurückgeblieben,
um im Sonnenſchein auf der Bank vor der Thür die
ſteifen Glieder zu wärmen. Bei ihm verhielt ſich
unſer Invalid, noch einmal Aufſchluß über Muhme
Juſtinen und Fräulein Hardinen erbittend. Und ſei
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[58/0065] lich mit dem Schrei: „Muhme, Muhme Juſtine!“ durch die geöffnete Thür. Aber es war nicht die alte Muhme, es war eine junge Familie, die er in dem netten Zimmer zur Mittagsmahlzeit verſammelt fand. Der Tiſch ſtand blitzblank gedeckt, obgleich nur mit Buttermilch und einem Grützbrei beſetzt. Herr Auguſt hätte keinen Appetit auf dieſe Koſt verſpürt, wenn man ihn zum Niederſitzen eingeladen hätte. Indeſſen man lud ihn nicht ein; im Gegentheil, man erhob ſich und drängte ihn ganz unmerklich wieder zur Thüre hinaus. Sichtlich mit Widerwillen gab man den Beſcheid, daß das vormalige gräfliche Meute¬ wärterhaus jetzt die Wohnung des Schäfereiaufſehers ſei. Mit mißtrauiſchen Blicken wurde dann die Thür abgeſchloſſen und der Weg nach der Schäferei, einem neuen Anbau, von der geſammten Familie angetreten. Nur ein eisgrauer Großvater war zurückgeblieben, um im Sonnenſchein auf der Bank vor der Thür die ſteifen Glieder zu wärmen. Bei ihm verhielt ſich unſer Invalid, noch einmal Aufſchluß über Muhme Juſtinen und Fräulein Hardinen erbittend. Und ſei es nun, daß zu des Alten Zeit in Reckenburg weniger gearbeitet und mehr geſchwätzt worden war, ſei es,

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/65>, abgerufen am 30.04.2024.