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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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ich dürfte, nicht erfüllen zu können," versetzte der
Gymnasiast. "Es existiren keine Register aus jener
Zeit. Die Bücher sind mit abgebrannt, als anno 97,
glaub' ich, der Blitz in die Sakristei geschlagen und
auch die alte Kirche zum großen Theil zerstört hat.
Die Sie hier oben sehen, ist neu errichtet durch Fräu¬
lein Hardinen, wie denn alles in unserem Reckenburg
neu geworden ist durch sie: die Flur, das Dorf und
selber das Menschengeschlecht. Das himmlische Feuer
aber mußte vom Himmel fallen, sagt mein Vater, daß
auch in den Registern keiner mehr an die alte, böse,
zuchtlose Zeit erinnert werde. Aber wissen Sie was,
guter Mann," fuhr er nach einigem Besinnen fort,
"warten Sie, bis gegen Abend die Gäste das Schloß
verlassen haben werden und fragen Sie dann nach
bei Fräulein Hardinen selbst. Sie ist in den neun¬
ziger Jahren schon häufig als Gast bei der alten
Gräfin gewesen, und sie, die nichts vergißt, erinnert
sich gewiß noch jedes Kindes, das in dieser Zeit im
Dorfe geboren worden ist, zumal wenn ihre alte
Muhme dasselbe aufgezogen hat."

Nach diesen Worten sprang der Knabe munter
voran, da er eben ein elegantes Viergespann in die
Dorfstraße einbiegen sah. August Müller folgte ihm

ich dürfte, nicht erfüllen zu können,“ verſetzte der
Gymnaſiaſt. „Es exiſtiren keine Regiſter aus jener
Zeit. Die Bücher ſind mit abgebrannt, als anno 97,
glaub' ich, der Blitz in die Sakriſtei geſchlagen und
auch die alte Kirche zum großen Theil zerſtört hat.
Die Sie hier oben ſehen, iſt neu errichtet durch Fräu¬
lein Hardinen, wie denn alles in unſerem Reckenburg
neu geworden iſt durch ſie: die Flur, das Dorf und
ſelber das Menſchengeſchlecht. Das himmliſche Feuer
aber mußte vom Himmel fallen, ſagt mein Vater, daß
auch in den Regiſtern keiner mehr an die alte, böſe,
zuchtloſe Zeit erinnert werde. Aber wiſſen Sie was,
guter Mann,“ fuhr er nach einigem Beſinnen fort,
„warten Sie, bis gegen Abend die Gäſte das Schloß
verlaſſen haben werden und fragen Sie dann nach
bei Fräulein Hardinen ſelbſt. Sie iſt in den neun¬
ziger Jahren ſchon häufig als Gaſt bei der alten
Gräfin geweſen, und ſie, die nichts vergißt, erinnert
ſich gewiß noch jedes Kindes, das in dieſer Zeit im
Dorfe geboren worden iſt, zumal wenn ihre alte
Muhme daſſelbe aufgezogen hat.“

Nach dieſen Worten ſprang der Knabe munter
voran, da er eben ein elegantes Viergeſpann in die
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[63/0070] ich dürfte, nicht erfüllen zu können,“ verſetzte der Gymnaſiaſt. „Es exiſtiren keine Regiſter aus jener Zeit. Die Bücher ſind mit abgebrannt, als anno 97, glaub' ich, der Blitz in die Sakriſtei geſchlagen und auch die alte Kirche zum großen Theil zerſtört hat. Die Sie hier oben ſehen, iſt neu errichtet durch Fräu¬ lein Hardinen, wie denn alles in unſerem Reckenburg neu geworden iſt durch ſie: die Flur, das Dorf und ſelber das Menſchengeſchlecht. Das himmliſche Feuer aber mußte vom Himmel fallen, ſagt mein Vater, daß auch in den Regiſtern keiner mehr an die alte, böſe, zuchtloſe Zeit erinnert werde. Aber wiſſen Sie was, guter Mann,“ fuhr er nach einigem Beſinnen fort, „warten Sie, bis gegen Abend die Gäſte das Schloß verlaſſen haben werden und fragen Sie dann nach bei Fräulein Hardinen ſelbſt. Sie iſt in den neun¬ ziger Jahren ſchon häufig als Gaſt bei der alten Gräfin geweſen, und ſie, die nichts vergißt, erinnert ſich gewiß noch jedes Kindes, das in dieſer Zeit im Dorfe geboren worden iſt, zumal wenn ihre alte Muhme daſſelbe aufgezogen hat.“ Nach dieſen Worten ſprang der Knabe munter voran, da er eben ein elegantes Viergeſpann in die Dorfſtraße einbiegen ſah. Auguſt Müller folgte ihm

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/70>, abgerufen am 30.04.2024.