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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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ter Schneider, der die Sache säuberlich wieder auf¬
trennen und ohne alles Aufsehen regelrecht flicken
würde.

Seine Waffe war unbeschädigt, er athmete er¬
leichtert auf, als er sich davon überzeugte, und der
dumpfe Kopfschmerz, der ihm von der Ohnmacht zu¬
rückgeblieben, sollte wohl vergehen. Er dankte der
Frau, die einigermaßen bedauerte, daß ihr Mann,
"der Herr Scheckg," nicht von ihm Abschied nehmen
könne, da er "nämlich bereits in sei' Kneip' gange
sei, jo," und wanderte verstörten Gemüthes durch den
schwülen Abenddunst wieder nach der Villenstraße
hinauf. Die rothen und grünen Lichter der Bahn¬
höfe tanzten ihm vor den Augen, als er von oben
auf die Stadt hinabsah; er mußte sich die Stirn
wischen, und das Athmen ward ihm schwer. Was
mochte inzwischen mit Monika geschehen sein? Er
war entschlossen, heut' am Vorderthor zu klingeln,
wenn die Hinterpforte verschlossen war, -- er mußte
sie noch sehen, sprechen, ihr vielleicht beistehen, wenn
etwa die Herrschaft sie auch beschuldigen sollte. Aber
noch ehe er das Gitterthor erreichte, hörte er ihre
Stimme im Garten, sie sprach mit der Köchin, so
schien es, und die Freude darüber, daß sie also frei
und unbehelligt hier umherging, ließ ihn doppeltlange
Schritte machen. Eine einzige Laterne, an dem
Bretterhäuschen der Arbeiter hängend, schimmerte in¬

ter Schneider, der die Sache ſäuberlich wieder auf¬
trennen und ohne alles Aufſehen regelrecht flicken
würde.

Seine Waffe war unbeſchädigt, er athmete er¬
leichtert auf, als er ſich davon überzeugte, und der
dumpfe Kopfſchmerz, der ihm von der Ohnmacht zu¬
rückgeblieben, ſollte wohl vergehen. Er dankte der
Frau, die einigermaßen bedauerte, daß ihr Mann,
„der Herr Scheckg,“ nicht von ihm Abſchied nehmen
könne, da er „nämlich bereits in ſei' Kneip' gange
ſei, jo,“ und wanderte verſtörten Gemüthes durch den
ſchwülen Abenddunſt wieder nach der Villenſtraße
hinauf. Die rothen und grünen Lichter der Bahn¬
höfe tanzten ihm vor den Augen, als er von oben
auf die Stadt hinabſah; er mußte ſich die Stirn
wiſchen, und das Athmen ward ihm ſchwer. Was
mochte inzwiſchen mit Monika geſchehen ſein? Er
war entſchloſſen, heut' am Vorderthor zu klingeln,
wenn die Hinterpforte verſchloſſen war, — er mußte
ſie noch ſehen, ſprechen, ihr vielleicht beiſtehen, wenn
etwa die Herrſchaft ſie auch beſchuldigen ſollte. Aber
noch ehe er das Gitterthor erreichte, hörte er ihre
Stimme im Garten, ſie ſprach mit der Köchin, ſo
ſchien es, und die Freude darüber, daß ſie alſo frei
und unbehelligt hier umherging, ließ ihn doppeltlange
Schritte machen. Eine einzige Laterne, an dem
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[173/0189] ter Schneider, der die Sache ſäuberlich wieder auf¬ trennen und ohne alles Aufſehen regelrecht flicken würde. Seine Waffe war unbeſchädigt, er athmete er¬ leichtert auf, als er ſich davon überzeugte, und der dumpfe Kopfſchmerz, der ihm von der Ohnmacht zu¬ rückgeblieben, ſollte wohl vergehen. Er dankte der Frau, die einigermaßen bedauerte, daß ihr Mann, „der Herr Scheckg,“ nicht von ihm Abſchied nehmen könne, da er „nämlich bereits in ſei' Kneip' gange ſei, jo,“ und wanderte verſtörten Gemüthes durch den ſchwülen Abenddunſt wieder nach der Villenſtraße hinauf. Die rothen und grünen Lichter der Bahn¬ höfe tanzten ihm vor den Augen, als er von oben auf die Stadt hinabſah; er mußte ſich die Stirn wiſchen, und das Athmen ward ihm ſchwer. Was mochte inzwiſchen mit Monika geſchehen ſein? Er war entſchloſſen, heut' am Vorderthor zu klingeln, wenn die Hinterpforte verſchloſſen war, — er mußte ſie noch ſehen, ſprechen, ihr vielleicht beiſtehen, wenn etwa die Herrſchaft ſie auch beſchuldigen ſollte. Aber noch ehe er das Gitterthor erreichte, hörte er ihre Stimme im Garten, ſie ſprach mit der Köchin, ſo ſchien es, und die Freude darüber, daß ſie alſo frei und unbehelligt hier umherging, ließ ihn doppeltlange Schritte machen. Eine einzige Laterne, an dem Bretterhäuschen der Arbeiter hängend, ſchimmerte in¬

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/189>, abgerufen am 15.05.2024.