Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn leidenschaftlich in ihre Arme, und schien
noch einige Hoffnung zu hegen, ihn zurück zu
halten; doch überzeugte sie seine ruhige Hal-
tung, und meines Vaters bestimmte Erklä-
rung, sehr bald, daß sie sich dem Unvermeid-
lichen ergeben müsse. Sie that es mit der be-
sten Fassung von der Welt, augenscheinlich in
der Absicht, das Herz ihres Lieblings nicht
schwer zu machen. O Allmacht der mütterlichen
Liebe, welche Wunder bringst du hervor! Meine
arme Mutter, sonst so heftig in den Aeußerun-
gen ihres Schmerzes, gewann es über sich, ihrem
Sohn immer ein heiteres Gesicht zu zeigen,
während ihr Herz aus tausend Wunden blutete.
Sie war rastlos mit seinen kleinen Bedürfnissen
beschäftigt, und sprach sogar scherzend von sei-
ner baldigen siegreichen Rückkehr. Nur in der
Stille des Morgens, hörte ich oft ihr Schluch-
zen, im anstoßenden Kabinett, und bemerkte, wenn
sie in das Wohnzimmer trat, auf ihrer blassern
Wange, Spuren frisch vergossener Thränen, wel-
che sie jedoch sorgfältig zu tilgen suchte, wenn die
Frühstücksstunde heran nahte. Mit zärtlicher
Achtsamkeit forschte der Sohn oft auf ihrem

ihn leidenſchaftlich in ihre Arme, und ſchien
noch einige Hoffnung zu hegen, ihn zuruͤck zu
halten; doch uͤberzeugte ſie ſeine ruhige Hal-
tung, und meines Vaters beſtimmte Erklaͤ-
rung, ſehr bald, daß ſie ſich dem Unvermeid-
lichen ergeben muͤſſe. Sie that es mit der be-
ſten Faſſung von der Welt, augenſcheinlich in
der Abſicht, das Herz ihres Lieblings nicht
ſchwer zu machen. O Allmacht der muͤtterlichen
Liebe, welche Wunder bringſt du hervor! Meine
arme Mutter, ſonſt ſo heftig in den Aeußerun-
gen ihres Schmerzes, gewann es uͤber ſich, ihrem
Sohn immer ein heiteres Geſicht zu zeigen,
waͤhrend ihr Herz aus tauſend Wunden blutete.
Sie war raſtlos mit ſeinen kleinen Beduͤrfniſſen
beſchaͤftigt, und ſprach ſogar ſcherzend von ſei-
ner baldigen ſiegreichen Ruͤckkehr. Nur in der
Stille des Morgens, hoͤrte ich oft ihr Schluch-
zen, im anſtoßenden Kabinett, und bemerkte, wenn
ſie in das Wohnzimmer trat, auf ihrer blaſſern
Wange, Spuren friſch vergoſſener Thraͤnen, wel-
che ſie jedoch ſorgfaͤltig zu tilgen ſuchte, wenn die
Fruͤhſtuͤcksſtunde heran nahte. Mit zaͤrtlicher
Achtſamkeit forſchte der Sohn oft auf ihrem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0127" n="117"/>
ihn leiden&#x017F;chaftlich in ihre Arme, und &#x017F;chien<lb/>
noch einige Hoffnung zu hegen, ihn zuru&#x0364;ck zu<lb/>
halten; doch u&#x0364;berzeugte &#x017F;ie &#x017F;eine ruhige Hal-<lb/>
tung, und meines Vaters be&#x017F;timmte Erkla&#x0364;-<lb/>
rung, &#x017F;ehr bald, daß &#x017F;ie &#x017F;ich dem Unvermeid-<lb/>
lichen ergeben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Sie that es mit der be-<lb/>
&#x017F;ten Fa&#x017F;&#x017F;ung von der Welt, augen&#x017F;cheinlich in<lb/>
der Ab&#x017F;icht, das Herz ihres Lieblings nicht<lb/>
&#x017F;chwer zu machen. O Allmacht der mu&#x0364;tterlichen<lb/>
Liebe, welche Wunder bring&#x017F;t du hervor! Meine<lb/>
arme Mutter, &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o heftig in den Aeußerun-<lb/>
gen ihres Schmerzes, gewann es u&#x0364;ber &#x017F;ich, ihrem<lb/>
Sohn immer ein heiteres Ge&#x017F;icht zu zeigen,<lb/>
wa&#x0364;hrend ihr Herz aus tau&#x017F;end Wunden blutete.<lb/>
Sie war ra&#x017F;tlos mit &#x017F;einen kleinen Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
be&#x017F;cha&#x0364;ftigt, und &#x017F;prach &#x017F;ogar &#x017F;cherzend von &#x017F;ei-<lb/>
ner baldigen &#x017F;iegreichen Ru&#x0364;ckkehr. Nur in der<lb/>
Stille des Morgens, ho&#x0364;rte ich oft ihr Schluch-<lb/>
zen, im an&#x017F;toßenden Kabinett, und bemerkte, wenn<lb/>
&#x017F;ie in das Wohnzimmer trat, auf ihrer bla&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
Wange, Spuren fri&#x017F;ch vergo&#x017F;&#x017F;ener Thra&#x0364;nen, wel-<lb/>
che &#x017F;ie jedoch &#x017F;orgfa&#x0364;ltig zu tilgen &#x017F;uchte, wenn die<lb/>
Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;cks&#x017F;tunde heran nahte. Mit za&#x0364;rtlicher<lb/>
Acht&#x017F;amkeit for&#x017F;chte der Sohn oft auf ihrem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0127] ihn leidenſchaftlich in ihre Arme, und ſchien noch einige Hoffnung zu hegen, ihn zuruͤck zu halten; doch uͤberzeugte ſie ſeine ruhige Hal- tung, und meines Vaters beſtimmte Erklaͤ- rung, ſehr bald, daß ſie ſich dem Unvermeid- lichen ergeben muͤſſe. Sie that es mit der be- ſten Faſſung von der Welt, augenſcheinlich in der Abſicht, das Herz ihres Lieblings nicht ſchwer zu machen. O Allmacht der muͤtterlichen Liebe, welche Wunder bringſt du hervor! Meine arme Mutter, ſonſt ſo heftig in den Aeußerun- gen ihres Schmerzes, gewann es uͤber ſich, ihrem Sohn immer ein heiteres Geſicht zu zeigen, waͤhrend ihr Herz aus tauſend Wunden blutete. Sie war raſtlos mit ſeinen kleinen Beduͤrfniſſen beſchaͤftigt, und ſprach ſogar ſcherzend von ſei- ner baldigen ſiegreichen Ruͤckkehr. Nur in der Stille des Morgens, hoͤrte ich oft ihr Schluch- zen, im anſtoßenden Kabinett, und bemerkte, wenn ſie in das Wohnzimmer trat, auf ihrer blaſſern Wange, Spuren friſch vergoſſener Thraͤnen, wel- che ſie jedoch ſorgfaͤltig zu tilgen ſuchte, wenn die Fruͤhſtuͤcksſtunde heran nahte. Mit zaͤrtlicher Achtſamkeit forſchte der Sohn oft auf ihrem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/127
Zitationshilfe: Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/127>, abgerufen am 02.05.2024.