Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

neue Welt.".*) Jedes hat andere Sinne, andere
Bedürfnisse, andere Kunstfertigkeiten; jedes wird auf
einem andern Weege sein Daseyn durchgeführt; die
entgegengesetztesten Kräfte streben überall gegen ein-
ander. Und diese unzähligen Mannigfaltigkeiten flie-
ßen vor dem Angesicht des Weisen in ein einstimmi-
ges, herrliches Ganze zusammen!

Wie verschieden ist die Weise, nach welcher
jedes Thier seiner Lebensbeute habhaft wird! Der
Hund fällt sie mit offenem Muthe an; der Tiger um-
schleicht sie mit feiger Hinterlist; der Adler belauscht
sie von den Wolken herab; der Ameisenlöwe unter
dem Sande; und die Spinne verstrickt sie in ihr kle-
brichtes Netz, das sie unter hellem Himmel aufge-
spannt hat. Eben so mannigfaltig ist die Fortpflan-
zung der Thiere: In der Begattung der Flöhe nimmt
das Weibchen die obere Stelle ein; bey unsern Stu-
benfliegen schiebt das Weibchen seinen Stachel zwi-
schen die Zeugungstheile des Männchens; der Frosch
befruchtet die Eyer, während dem er sie mit den
Pfoten dem Weibchen aus dem Leibe zieht; der Fisch
bestreicht sein Weibchen in dem Augenblicke, wo es
den Rogen ausläst; die männliche Libelle trägt ih-
re Zeugungstheile auf der Brust, und fliegt in der
Umarmung des Weibchens durch die Lüfte; die Spin-
ne verbirgt sie in den keulenförmigen Freßspitzen, und
das Liebsgeschäft droht ihr den Untergang; das Ku-
gelthier und die Plattlause enthalten zur nämlichen
Zeit mehrere Generationen; jede Schnecke ist ein

Zwit-
*) Herdes.

neue Welt.„.*) Jedes hat andere Sinne, andere
Beduͤrfniſſe, andere Kunſtfertigkeiten; jedes wird auf
einem andern Weege ſein Daſeyn durchgefuͤhrt; die
entgegengeſetzteſten Kraͤfte ſtreben uͤberall gegen ein-
ander. Und dieſe unzaͤhligen Mannigfaltigkeiten flie-
ßen vor dem Angeſicht des Weiſen in ein einſtimmi-
ges, herrliches Ganze zuſammen!

Wie verſchieden iſt die Weiſe, nach welcher
jedes Thier ſeiner Lebensbeute habhaft wird! Der
Hund faͤllt ſie mit offenem Muthe an; der Tiger um-
ſchleicht ſie mit feiger Hinterliſt; der Adler belauſcht
ſie von den Wolken herab; der Ameiſenloͤwe unter
dem Sande; und die Spinne verſtrickt ſie in ihr kle-
brichtes Netz, das ſie unter hellem Himmel aufge-
ſpannt hat. Eben ſo mannigfaltig iſt die Fortpflan-
zung der Thiere: In der Begattung der Floͤhe nimmt
das Weibchen die obere Stelle ein; bey unſern Stu-
benfliegen ſchiebt das Weibchen ſeinen Stachel zwi-
ſchen die Zeugungstheile des Maͤnnchens; der Froſch
befruchtet die Eyer, waͤhrend dem er ſie mit den
Pfoten dem Weibchen aus dem Leibe zieht; der Fiſch
beſtreicht ſein Weibchen in dem Augenblicke, wo es
den Rogen auslaͤſt; die maͤnnliche Libelle traͤgt ih-
re Zeugungstheile auf der Bruſt, und fliegt in der
Umarmung des Weibchens durch die Luͤfte; die Spin-
ne verbirgt ſie in den keulenfoͤrmigen Freßſpitzen, und
das Liebsgeſchaͤft droht ihr den Untergang; das Ku-
gelthier und die Plattlauſe enthalten zur naͤmlichen
Zeit mehrere Generationen; jede Schnecke iſt ein

Zwit-
*) Herdes.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0153" n="134"/>
neue Welt.&#x201E;.<note place="foot" n="*)">Herdes.</note> Jedes hat andere Sinne, andere<lb/>
Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e, andere Kun&#x017F;tfertigkeiten; jedes wird auf<lb/>
einem andern Weege &#x017F;ein Da&#x017F;eyn durchgefu&#x0364;hrt; die<lb/>
entgegenge&#x017F;etzte&#x017F;ten Kra&#x0364;fte &#x017F;treben u&#x0364;berall gegen ein-<lb/>
ander. Und die&#x017F;e unza&#x0364;hligen Mannigfaltigkeiten flie-<lb/>
ßen vor dem Ange&#x017F;icht des Wei&#x017F;en in ein ein&#x017F;timmi-<lb/>
ges, herrliches Ganze zu&#x017F;ammen!</p><lb/>
            <p>Wie ver&#x017F;chieden i&#x017F;t die Wei&#x017F;e, nach welcher<lb/>
jedes Thier &#x017F;einer Lebensbeute habhaft wird! Der<lb/>
Hund fa&#x0364;llt &#x017F;ie mit offenem Muthe an; der Tiger um-<lb/>
&#x017F;chleicht &#x017F;ie mit feiger Hinterli&#x017F;t; der Adler belau&#x017F;cht<lb/>
&#x017F;ie von den Wolken herab; der Amei&#x017F;enlo&#x0364;we unter<lb/>
dem Sande; und die Spinne ver&#x017F;trickt &#x017F;ie in ihr kle-<lb/>
brichtes Netz, das &#x017F;ie unter hellem Himmel aufge-<lb/>
&#x017F;pannt hat. Eben &#x017F;o mannigfaltig i&#x017F;t die Fortpflan-<lb/>
zung der Thiere: In der Begattung der Flo&#x0364;he nimmt<lb/>
das Weibchen die obere Stelle ein; bey un&#x017F;ern Stu-<lb/>
benfliegen &#x017F;chiebt das Weibchen &#x017F;einen Stachel zwi-<lb/>
&#x017F;chen die Zeugungstheile des Ma&#x0364;nnchens; der Fro&#x017F;ch<lb/>
befruchtet die Eyer, wa&#x0364;hrend dem er &#x017F;ie mit den<lb/>
Pfoten dem Weibchen aus dem Leibe zieht; der Fi&#x017F;ch<lb/>
be&#x017F;treicht &#x017F;ein Weibchen in dem Augenblicke, wo es<lb/>
den Rogen ausla&#x0364;&#x017F;t; die ma&#x0364;nnliche Libelle tra&#x0364;gt ih-<lb/>
re Zeugungstheile auf der Bru&#x017F;t, und fliegt in der<lb/>
Umarmung des Weibchens durch die Lu&#x0364;fte; die Spin-<lb/>
ne verbirgt &#x017F;ie in den keulenfo&#x0364;rmigen Freß&#x017F;pitzen, und<lb/>
das Liebsge&#x017F;cha&#x0364;ft droht ihr den Untergang; das Ku-<lb/>
gelthier und die Plattlau&#x017F;e enthalten zur na&#x0364;mlichen<lb/>
Zeit mehrere Generationen; jede Schnecke i&#x017F;t ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Zwit-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0153] neue Welt.„. *) Jedes hat andere Sinne, andere Beduͤrfniſſe, andere Kunſtfertigkeiten; jedes wird auf einem andern Weege ſein Daſeyn durchgefuͤhrt; die entgegengeſetzteſten Kraͤfte ſtreben uͤberall gegen ein- ander. Und dieſe unzaͤhligen Mannigfaltigkeiten flie- ßen vor dem Angeſicht des Weiſen in ein einſtimmi- ges, herrliches Ganze zuſammen! Wie verſchieden iſt die Weiſe, nach welcher jedes Thier ſeiner Lebensbeute habhaft wird! Der Hund faͤllt ſie mit offenem Muthe an; der Tiger um- ſchleicht ſie mit feiger Hinterliſt; der Adler belauſcht ſie von den Wolken herab; der Ameiſenloͤwe unter dem Sande; und die Spinne verſtrickt ſie in ihr kle- brichtes Netz, das ſie unter hellem Himmel aufge- ſpannt hat. Eben ſo mannigfaltig iſt die Fortpflan- zung der Thiere: In der Begattung der Floͤhe nimmt das Weibchen die obere Stelle ein; bey unſern Stu- benfliegen ſchiebt das Weibchen ſeinen Stachel zwi- ſchen die Zeugungstheile des Maͤnnchens; der Froſch befruchtet die Eyer, waͤhrend dem er ſie mit den Pfoten dem Weibchen aus dem Leibe zieht; der Fiſch beſtreicht ſein Weibchen in dem Augenblicke, wo es den Rogen auslaͤſt; die maͤnnliche Libelle traͤgt ih- re Zeugungstheile auf der Bruſt, und fliegt in der Umarmung des Weibchens durch die Luͤfte; die Spin- ne verbirgt ſie in den keulenfoͤrmigen Freßſpitzen, und das Liebsgeſchaͤft droht ihr den Untergang; das Ku- gelthier und die Plattlauſe enthalten zur naͤmlichen Zeit mehrere Generationen; jede Schnecke iſt ein Zwit- *) Herdes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/153
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/153>, abgerufen am 27.04.2024.