neue Welt.".*) Jedes hat andere Sinne, andere Bedürfnisse, andere Kunstfertigkeiten; jedes wird auf einem andern Weege sein Daseyn durchgeführt; die entgegengesetztesten Kräfte streben überall gegen ein- ander. Und diese unzähligen Mannigfaltigkeiten flie- ßen vor dem Angesicht des Weisen in ein einstimmi- ges, herrliches Ganze zusammen!
Wie verschieden ist die Weise, nach welcher jedes Thier seiner Lebensbeute habhaft wird! Der Hund fällt sie mit offenem Muthe an; der Tiger um- schleicht sie mit feiger Hinterlist; der Adler belauscht sie von den Wolken herab; der Ameisenlöwe unter dem Sande; und die Spinne verstrickt sie in ihr kle- brichtes Netz, das sie unter hellem Himmel aufge- spannt hat. Eben so mannigfaltig ist die Fortpflan- zung der Thiere: In der Begattung der Flöhe nimmt das Weibchen die obere Stelle ein; bey unsern Stu- benfliegen schiebt das Weibchen seinen Stachel zwi- schen die Zeugungstheile des Männchens; der Frosch befruchtet die Eyer, während dem er sie mit den Pfoten dem Weibchen aus dem Leibe zieht; der Fisch bestreicht sein Weibchen in dem Augenblicke, wo es den Rogen ausläst; die männliche Libelle trägt ih- re Zeugungstheile auf der Brust, und fliegt in der Umarmung des Weibchens durch die Lüfte; die Spin- ne verbirgt sie in den keulenförmigen Freßspitzen, und das Liebsgeschäft droht ihr den Untergang; das Ku- gelthier und die Plattlause enthalten zur nämlichen Zeit mehrere Generationen; jede Schnecke ist ein
Zwit-
*) Herdes.
neue Welt.„.*) Jedes hat andere Sinne, andere Beduͤrfniſſe, andere Kunſtfertigkeiten; jedes wird auf einem andern Weege ſein Daſeyn durchgefuͤhrt; die entgegengeſetzteſten Kraͤfte ſtreben uͤberall gegen ein- ander. Und dieſe unzaͤhligen Mannigfaltigkeiten flie- ßen vor dem Angeſicht des Weiſen in ein einſtimmi- ges, herrliches Ganze zuſammen!
Wie verſchieden iſt die Weiſe, nach welcher jedes Thier ſeiner Lebensbeute habhaft wird! Der Hund faͤllt ſie mit offenem Muthe an; der Tiger um- ſchleicht ſie mit feiger Hinterliſt; der Adler belauſcht ſie von den Wolken herab; der Ameiſenloͤwe unter dem Sande; und die Spinne verſtrickt ſie in ihr kle- brichtes Netz, das ſie unter hellem Himmel aufge- ſpannt hat. Eben ſo mannigfaltig iſt die Fortpflan- zung der Thiere: In der Begattung der Floͤhe nimmt das Weibchen die obere Stelle ein; bey unſern Stu- benfliegen ſchiebt das Weibchen ſeinen Stachel zwi- ſchen die Zeugungstheile des Maͤnnchens; der Froſch befruchtet die Eyer, waͤhrend dem er ſie mit den Pfoten dem Weibchen aus dem Leibe zieht; der Fiſch beſtreicht ſein Weibchen in dem Augenblicke, wo es den Rogen auslaͤſt; die maͤnnliche Libelle traͤgt ih- re Zeugungstheile auf der Bruſt, und fliegt in der Umarmung des Weibchens durch die Luͤfte; die Spin- ne verbirgt ſie in den keulenfoͤrmigen Freßſpitzen, und das Liebsgeſchaͤft droht ihr den Untergang; das Ku- gelthier und die Plattlauſe enthalten zur naͤmlichen Zeit mehrere Generationen; jede Schnecke iſt ein
Zwit-
*) Herdes.
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neue Welt.„. *) Jedes hat andere Sinne, andere
Beduͤrfniſſe, andere Kunſtfertigkeiten; jedes wird auf
einem andern Weege ſein Daſeyn durchgefuͤhrt; die
entgegengeſetzteſten Kraͤfte ſtreben uͤberall gegen ein-
ander. Und dieſe unzaͤhligen Mannigfaltigkeiten flie-
ßen vor dem Angeſicht des Weiſen in ein einſtimmi-
ges, herrliches Ganze zuſammen!
Wie verſchieden iſt die Weiſe, nach welcher
jedes Thier ſeiner Lebensbeute habhaft wird! Der
Hund faͤllt ſie mit offenem Muthe an; der Tiger um-
ſchleicht ſie mit feiger Hinterliſt; der Adler belauſcht
ſie von den Wolken herab; der Ameiſenloͤwe unter
dem Sande; und die Spinne verſtrickt ſie in ihr kle-
brichtes Netz, das ſie unter hellem Himmel aufge-
ſpannt hat. Eben ſo mannigfaltig iſt die Fortpflan-
zung der Thiere: In der Begattung der Floͤhe nimmt
das Weibchen die obere Stelle ein; bey unſern Stu-
benfliegen ſchiebt das Weibchen ſeinen Stachel zwi-
ſchen die Zeugungstheile des Maͤnnchens; der Froſch
befruchtet die Eyer, waͤhrend dem er ſie mit den
Pfoten dem Weibchen aus dem Leibe zieht; der Fiſch
beſtreicht ſein Weibchen in dem Augenblicke, wo es
den Rogen auslaͤſt; die maͤnnliche Libelle traͤgt ih-
re Zeugungstheile auf der Bruſt, und fliegt in der
Umarmung des Weibchens durch die Luͤfte; die Spin-
ne verbirgt ſie in den keulenfoͤrmigen Freßſpitzen, und
das Liebsgeſchaͤft droht ihr den Untergang; das Ku-
gelthier und die Plattlauſe enthalten zur naͤmlichen
Zeit mehrere Generationen; jede Schnecke iſt ein
Zwit-
*) Herdes.
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/153>, abgerufen am 27.04.2024.
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