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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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wieder die herrlichsten, sternförmigen Schneekrystallen
daraus bildet: Das zerstört auch den Zusammenhang
der Pflanzen und der Thiere, und bildet wieder Kei-
me für künftige Weesen. Es war dem Schöpfer
nicht schwerer, eine Kraft zu stiften, nach welcher
Gefäße und Eingeweide, als nach welcher Schneeflo-
cken und Krystallen gebildet werden musten. Die näm-
liche Kraft, welche den Samenstaub der Tulpe zu den
Samenkörnern in die Hülse führt, bewirkt auch die
Befruchtung des weiblichen Eyes durch den Samen
des Mannes. Was die Knospen am Zweige bildet,
und ihnen ein vom Stamme bald abhängiges, bald
unabhängiges Leben giebt: Das ist auch das Geheim-
niß in der wunderbaren Geschichte des Polips und des
Bandwurmes. Was die Theile in der Eichel geord-
net hat, und sie zum ungeheuren Baum entwickelt:
Das ordnet sie auch in dem Ey der Milbe und des
Menschen, und fördert beyde zu ihrer vorgeschriebe-
nen Größe. Was den reifen Apfel vom Baume ab-
löset, das hat auch die Stunde der Geburten bestimmt.
-- Die Quelle tritt aus, die Rebe thränet, das
Mädchen blutet aus dem Schooße: Wer zeigt mir ver-
schiedene Gesetze? Der nahe Winter fällt das Laub
vom Zweige, und das herannahende Alter schwächt
den Kreislauf im Menschen. Wie die Schwalbe nach
Senegalen und die Schlange in die Höhle gerufen
werden: So sehnt sich der Mensch in den Jahren der
Mannbarkeit nach dem Liebesgenuß, im Gallfieber
nach kaltem Wasser und im Faulfieber nach Eßig.
Was den Höcker über den Bruch des Astes bildet, das

Propf-

wieder die herrlichſten, ſternfoͤrmigen Schneekryſtallen
daraus bildet: Das zerſtoͤrt auch den Zuſammenhang
der Pflanzen und der Thiere, und bildet wieder Kei-
me fuͤr kuͤnftige Weeſen. Es war dem Schoͤpfer
nicht ſchwerer, eine Kraft zu ſtiften, nach welcher
Gefaͤße und Eingeweide, als nach welcher Schneeflo-
cken und Kryſtallen gebildet werden muſten. Die naͤm-
liche Kraft, welche den Samenſtaub der Tulpe zu den
Samenkoͤrnern in die Huͤlſe fuͤhrt, bewirkt auch die
Befruchtung des weiblichen Eyes durch den Samen
des Mannes. Was die Knoſpen am Zweige bildet,
und ihnen ein vom Stamme bald abhaͤngiges, bald
unabhaͤngiges Leben giebt: Das iſt auch das Geheim-
niß in der wunderbaren Geſchichte des Polips und des
Bandwurmes. Was die Theile in der Eichel geord-
net hat, und ſie zum ungeheuren Baum entwickelt:
Das ordnet ſie auch in dem Ey der Milbe und des
Menſchen, und foͤrdert beyde zu ihrer vorgeſchriebe-
nen Groͤße. Was den reifen Apfel vom Baume ab-
loͤſet, das hat auch die Stunde der Geburten beſtimmt.
— Die Quelle tritt aus, die Rebe thraͤnet, das
Maͤdchen blutet aus dem Schooße: Wer zeigt mir ver-
ſchiedene Geſetze? Der nahe Winter faͤllt das Laub
vom Zweige, und das herannahende Alter ſchwaͤcht
den Kreislauf im Menſchen. Wie die Schwalbe nach
Senegalen und die Schlange in die Hoͤhle gerufen
werden: So ſehnt ſich der Menſch in den Jahren der
Mannbarkeit nach dem Liebesgenuß, im Gallfieber
nach kaltem Waſſer und im Faulfieber nach Eßig.
Was den Hoͤcker uͤber den Bruch des Aſtes bildet, das

Propf-
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[164/0183] wieder die herrlichſten, ſternfoͤrmigen Schneekryſtallen daraus bildet: Das zerſtoͤrt auch den Zuſammenhang der Pflanzen und der Thiere, und bildet wieder Kei- me fuͤr kuͤnftige Weeſen. Es war dem Schoͤpfer nicht ſchwerer, eine Kraft zu ſtiften, nach welcher Gefaͤße und Eingeweide, als nach welcher Schneeflo- cken und Kryſtallen gebildet werden muſten. Die naͤm- liche Kraft, welche den Samenſtaub der Tulpe zu den Samenkoͤrnern in die Huͤlſe fuͤhrt, bewirkt auch die Befruchtung des weiblichen Eyes durch den Samen des Mannes. Was die Knoſpen am Zweige bildet, und ihnen ein vom Stamme bald abhaͤngiges, bald unabhaͤngiges Leben giebt: Das iſt auch das Geheim- niß in der wunderbaren Geſchichte des Polips und des Bandwurmes. Was die Theile in der Eichel geord- net hat, und ſie zum ungeheuren Baum entwickelt: Das ordnet ſie auch in dem Ey der Milbe und des Menſchen, und foͤrdert beyde zu ihrer vorgeſchriebe- nen Groͤße. Was den reifen Apfel vom Baume ab- loͤſet, das hat auch die Stunde der Geburten beſtimmt. — Die Quelle tritt aus, die Rebe thraͤnet, das Maͤdchen blutet aus dem Schooße: Wer zeigt mir ver- ſchiedene Geſetze? Der nahe Winter faͤllt das Laub vom Zweige, und das herannahende Alter ſchwaͤcht den Kreislauf im Menſchen. Wie die Schwalbe nach Senegalen und die Schlange in die Hoͤhle gerufen werden: So ſehnt ſich der Menſch in den Jahren der Mannbarkeit nach dem Liebesgenuß, im Gallfieber nach kaltem Waſſer und im Faulfieber nach Eßig. Was den Hoͤcker uͤber den Bruch des Aſtes bildet, das Propf-

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/183>, abgerufen am 29.04.2024.