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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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sie ertragen Kälte, Hunger, Hitze, Wachen, schlech-
te sonst nicht genießbare Speisen bis zum Erstaunen.
Da in dieser Krankheit derjenige Theil angegriffen
wird, der den meisten Nerven, oder in gewissem
Verstand allen Nerven Unterstüzung giebt; da dieser
Theil sogar manchmal ganz verdorben wird, so sollte
man schließen, der ganze Körper müsse in eine voll-
kommene Entkräftung versinken. In einem Ochsen,
der mehrmal die Stricke abriß, fand man ein ver-
trocknetes Gehirn. Dergleichen Beyspiele sind von
Menschen gar nicht selten.

Wenn man nun die in den zwey vorgenomme-
nen Vergleichen angeführten Erscheinungen mustert,
so wird man, nur wenige bey den Thieren ausgenom-
men, finden, daß sie alle die natürlichen und Lebens-
verrichtungen betreffen. -- Ich behaupte also gerade
zu, daß die Seele darauf weder einen allzeitigen,
noch wesentlichen Einfluß habe; daß sie daher we-
fentlich
nichts zum Kreislauf, zur Verdauung, Nah-
rung, zum Wachsthum, zu den Ab- und Aussonde-
rungen, nichts zum Bau der festen und nichts zur
Mischung der flüßigen Theile, nichts zum Zeugungs-
geschäft, zum Athemholen, zu den Verrichtungen
der Eingeweide, Einsaugung, Hunger, Durst, nichts
wesentliches zur Herstellung der Gesundheit beytra-
gen. Sondern "die beste Verwahrung des Lebens und
der Gesundheit ist in den vielfältigen bewegenden Kräf-
ten des lebenden Körpers zu suchen, die sich vorzüg-
lich dann erst, wenn sie von schädlichen Dingen an-
gegriffen werden, zu äußern pflegen. Darauf gründen

sich

ſie ertragen Kaͤlte, Hunger, Hitze, Wachen, ſchlech-
te ſonſt nicht genießbare Speiſen bis zum Erſtaunen.
Da in dieſer Krankheit derjenige Theil angegriffen
wird, der den meiſten Nerven, oder in gewiſſem
Verſtand allen Nerven Unterſtuͤzung giebt; da dieſer
Theil ſogar manchmal ganz verdorben wird, ſo ſollte
man ſchließen, der ganze Koͤrper muͤſſe in eine voll-
kommene Entkraͤftung verſinken. In einem Ochſen,
der mehrmal die Stricke abriß, fand man ein ver-
trocknetes Gehirn. Dergleichen Beyſpiele ſind von
Menſchen gar nicht ſelten.

Wenn man nun die in den zwey vorgenomme-
nen Vergleichen angefuͤhrten Erſcheinungen muſtert,
ſo wird man, nur wenige bey den Thieren ausgenom-
men, finden, daß ſie alle die natuͤrlichen und Lebens-
verrichtungen betreffen. — Ich behaupte alſo gerade
zu, daß die Seele darauf weder einen allzeitigen,
noch weſentlichen Einfluß habe; daß ſie daher we-
fentlich
nichts zum Kreislauf, zur Verdauung, Nah-
rung, zum Wachsthum, zu den Ab- und Ausſonde-
rungen, nichts zum Bau der feſten und nichts zur
Miſchung der fluͤßigen Theile, nichts zum Zeugungs-
geſchaͤft, zum Athemholen, zu den Verrichtungen
der Eingeweide, Einſaugung, Hunger, Durſt, nichts
weſentliches zur Herſtellung der Geſundheit beytra-
gen. Sondern 〟die beſte Verwahrung des Lebens und
der Geſundheit iſt in den vielfaͤltigen bewegenden Kraͤf-
ten des lebenden Koͤrpers zu ſuchen, die ſich vorzuͤg-
lich dann erſt, wenn ſie von ſchaͤdlichen Dingen an-
gegriffen werden, zu aͤußern pflegen. Darauf gruͤnden

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[168/0187] ſie ertragen Kaͤlte, Hunger, Hitze, Wachen, ſchlech- te ſonſt nicht genießbare Speiſen bis zum Erſtaunen. Da in dieſer Krankheit derjenige Theil angegriffen wird, der den meiſten Nerven, oder in gewiſſem Verſtand allen Nerven Unterſtuͤzung giebt; da dieſer Theil ſogar manchmal ganz verdorben wird, ſo ſollte man ſchließen, der ganze Koͤrper muͤſſe in eine voll- kommene Entkraͤftung verſinken. In einem Ochſen, der mehrmal die Stricke abriß, fand man ein ver- trocknetes Gehirn. Dergleichen Beyſpiele ſind von Menſchen gar nicht ſelten. Wenn man nun die in den zwey vorgenomme- nen Vergleichen angefuͤhrten Erſcheinungen muſtert, ſo wird man, nur wenige bey den Thieren ausgenom- men, finden, daß ſie alle die natuͤrlichen und Lebens- verrichtungen betreffen. — Ich behaupte alſo gerade zu, daß die Seele darauf weder einen allzeitigen, noch weſentlichen Einfluß habe; daß ſie daher we- fentlich nichts zum Kreislauf, zur Verdauung, Nah- rung, zum Wachsthum, zu den Ab- und Ausſonde- rungen, nichts zum Bau der feſten und nichts zur Miſchung der fluͤßigen Theile, nichts zum Zeugungs- geſchaͤft, zum Athemholen, zu den Verrichtungen der Eingeweide, Einſaugung, Hunger, Durſt, nichts weſentliches zur Herſtellung der Geſundheit beytra- gen. Sondern 〟die beſte Verwahrung des Lebens und der Geſundheit iſt in den vielfaͤltigen bewegenden Kraͤf- ten des lebenden Koͤrpers zu ſuchen, die ſich vorzuͤg- lich dann erſt, wenn ſie von ſchaͤdlichen Dingen an- gegriffen werden, zu aͤußern pflegen. Darauf gruͤnden ſich

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/187>, abgerufen am 30.04.2024.