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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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gelegten Töpfe weghüpfen, daß es ihm fast unbegreif-
lich schien, wie geschickt sie die Füsse in die kleinen
Zwischenräume setzte. Das Volk belustigte sich an die-
sem Schauspiele, und sie gehorchte ebenfalls jedem,
der sie so oder anderst springen hieß. Man sagte ihm
zwar, das Mädchen habe öfters solche Anfälle. --
Indessen hielt er die ganze Erscheinung für ein Spiel
der Uibung und der Bosheit. In seinem zwey und
zwanzigsten Jahr wurde er mit einem Nervenfaulfie-
ber befallen. Die fünf Tage, während welchen alle
Zufälle am heftigsten waren, hatte er seinem melan-
cholischen Temperamente zu Folge unabläßlich mit den
theils erhabensten, theils sonderbarsten Vorstellungen
zu thun. Er dünkte sich Gott Vater, und sprach im zu-
sriedensten, gebietendsten Tone -- sprengte die türkische
Flotte aus den Tiefen des Meeres in die Luft u. d. gl.
Weil er aber immer zu entlaufen suchte, und durch-
aus keiner Bändigung fähig war, so gab man ihm
einen herkulischen Sesselträger zum Wärter; dieser wu-
ste ihm so viel Kraft entgegen zu stellen, daß er von
dessen Uibergewicht überzeugt von Haß entbrannte,
und Rache suchte. Er ergriff ein Messer vom Tische,
und als ihm der Wärter Arzneyen reichte, stach er auf
ihn; Allein dieser war auf seiner Hut, und rang ihm
unbeschädigt das Messer aus der Hand. -- Sehr oft
fieng er ganz gräßlich an zu schreyen, sperrte die Au-
gen und das Maul weit auf, so, daß wir alle glaub-
ten, Tollheit und Bosheit hätten gleichviel Antheil
daran. Er that dieses seinem Gefühle nach mit so
uneingeschränkter Freyheit, daß er sich selbst wieder

zu

gelegten Toͤpfe weghuͤpfen, daß es ihm faſt unbegreif-
lich ſchien, wie geſchickt ſie die Fuͤſſe in die kleinen
Zwiſchenraͤume ſetzte. Das Volk beluſtigte ſich an die-
ſem Schauſpiele, und ſie gehorchte ebenfalls jedem,
der ſie ſo oder anderſt ſpringen hieß. Man ſagte ihm
zwar, das Maͤdchen habe oͤfters ſolche Anfaͤlle. —
Indeſſen hielt er die ganze Erſcheinung fuͤr ein Spiel
der Uibung und der Bosheit. In ſeinem zwey und
zwanzigſten Jahr wurde er mit einem Nervenfaulfie-
ber befallen. Die fuͤnf Tage, waͤhrend welchen alle
Zufaͤlle am heftigſten waren, hatte er ſeinem melan-
choliſchen Temperamente zu Folge unablaͤßlich mit den
theils erhabenſten, theils ſonderbarſten Vorſtellungen
zu thun. Er duͤnkte ſich Gott Vater, und ſprach im zu-
ſriedenſten, gebietendſten Tone — ſprengte die tuͤrkiſche
Flotte aus den Tiefen des Meeres in die Luft u. d. gl.
Weil er aber immer zu entlaufen ſuchte, und durch-
aus keiner Baͤndigung faͤhig war, ſo gab man ihm
einen herkuliſchen Seſſeltraͤger zum Waͤrter; dieſer wu-
ſte ihm ſo viel Kraft entgegen zu ſtellen, daß er von
deſſen Uibergewicht uͤberzeugt von Haß entbrannte,
und Rache ſuchte. Er ergriff ein Meſſer vom Tiſche,
und als ihm der Waͤrter Arzneyen reichte, ſtach er auf
ihn; Allein dieſer war auf ſeiner Hut, und rang ihm
unbeſchaͤdigt das Meſſer aus der Hand. — Sehr oft
fieng er ganz graͤßlich an zu ſchreyen, ſperrte die Au-
gen und das Maul weit auf, ſo, daß wir alle glaub-
ten, Tollheit und Bosheit haͤtten gleichviel Antheil
daran. Er that dieſes ſeinem Gefuͤhle nach mit ſo
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zu
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[188/0207] gelegten Toͤpfe weghuͤpfen, daß es ihm faſt unbegreif- lich ſchien, wie geſchickt ſie die Fuͤſſe in die kleinen Zwiſchenraͤume ſetzte. Das Volk beluſtigte ſich an die- ſem Schauſpiele, und ſie gehorchte ebenfalls jedem, der ſie ſo oder anderſt ſpringen hieß. Man ſagte ihm zwar, das Maͤdchen habe oͤfters ſolche Anfaͤlle. — Indeſſen hielt er die ganze Erſcheinung fuͤr ein Spiel der Uibung und der Bosheit. In ſeinem zwey und zwanzigſten Jahr wurde er mit einem Nervenfaulfie- ber befallen. Die fuͤnf Tage, waͤhrend welchen alle Zufaͤlle am heftigſten waren, hatte er ſeinem melan- choliſchen Temperamente zu Folge unablaͤßlich mit den theils erhabenſten, theils ſonderbarſten Vorſtellungen zu thun. Er duͤnkte ſich Gott Vater, und ſprach im zu- ſriedenſten, gebietendſten Tone — ſprengte die tuͤrkiſche Flotte aus den Tiefen des Meeres in die Luft u. d. gl. Weil er aber immer zu entlaufen ſuchte, und durch- aus keiner Baͤndigung faͤhig war, ſo gab man ihm einen herkuliſchen Seſſeltraͤger zum Waͤrter; dieſer wu- ſte ihm ſo viel Kraft entgegen zu ſtellen, daß er von deſſen Uibergewicht uͤberzeugt von Haß entbrannte, und Rache ſuchte. Er ergriff ein Meſſer vom Tiſche, und als ihm der Waͤrter Arzneyen reichte, ſtach er auf ihn; Allein dieſer war auf ſeiner Hut, und rang ihm unbeſchaͤdigt das Meſſer aus der Hand. — Sehr oft fieng er ganz graͤßlich an zu ſchreyen, ſperrte die Au- gen und das Maul weit auf, ſo, daß wir alle glaub- ten, Tollheit und Bosheit haͤtten gleichviel Antheil daran. Er that dieſes ſeinem Gefuͤhle nach mit ſo uneingeſchraͤnkter Freyheit, daß er ſich ſelbſt wieder zu

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/207>, abgerufen am 27.04.2024.