Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

sperrten Beinen. Er war ganz ohne Schlaf. In-
nerhalb zwanzig Tagen legte sich die Hitze. Gersten-
wasser war ihm nicht trinkbar, wohl aber genaß er
einen gleichen, gerösteten Trank von Aepfeln, Gra-
natäpfelsaft, auch dünne, kalte Suppen von gerö-
steten Linsen, kalt abgesottenes Mehlwasser, und
einen dünnen Graupenschleim. -- Er kam durch. --
Dieser Fall war schwer, und das Heilverfahren höchst
einfach.

Nicht selten widersteht ein solcher Zustand sogar
der verheerenden Heilart der Aerzte, weßwegen der Ver-
fasse vom Mißbrauche des Aderlassens sagt: "Ist der
Kranke von einem starken und lebhaften Tempera-
mente, so bleibt glücklicher Weise, ungeachtet der
vielen Ausleerungen, manchmal das Fieber im näm-
lichen Zustande, und endigt sich von selbst durch eine
glückliche Entscheidung am siebenten, eilften, vier-
zehnten Tage.

§. 33.
Zufälle und Zeichen der verdorbenen Leibes-
beschaffenheit.

Wie sehr aber die Natur von ihrer Wirksam-
keit verlieren, oder vielmehr wie ohnmächtig sie wer-
den müsse, wenn die Leibesbeschaffenheit zerrüttet ist,
kann ich meinen Lesern auf keine Art anschaulicher
darstellen, als wenn ich ihnen die Zufälle, welche
der schlechten Leibesbeschaffenheit (Cachexia) eigen sind,
nach ihrer Stufenfolge hererzähle. Es wird unver-
kennbar bey jedem Schritte die Abnahme der Lebens-

kräfte

ſperrten Beinen. Er war ganz ohne Schlaf. In-
nerhalb zwanzig Tagen legte ſich die Hitze. Gerſten-
waſſer war ihm nicht trinkbar, wohl aber genaß er
einen gleichen, geroͤſteten Trank von Aepfeln, Gra-
nataͤpfelſaft, auch duͤnne, kalte Suppen von geroͤ-
ſteten Linſen, kalt abgeſottenes Mehlwaſſer, und
einen duͤnnen Graupenſchleim. — Er kam durch. —
Dieſer Fall war ſchwer, und das Heilverfahren hoͤchſt
einfach.

Nicht ſelten widerſteht ein ſolcher Zuſtand ſogar
der verheerenden Heilart der Aerzte, weßwegen der Ver-
faſſe vom Mißbrauche des Aderlaſſens ſagt: “Iſt der
Kranke von einem ſtarken und lebhaften Tempera-
mente, ſo bleibt gluͤcklicher Weiſe, ungeachtet der
vielen Ausleerungen, manchmal das Fieber im naͤm-
lichen Zuſtande, und endigt ſich von ſelbſt durch eine
gluͤckliche Entſcheidung am ſiebenten, eilften, vier-
zehnten Tage.

§. 33.
Zufaͤlle und Zeichen der verdorbenen Leibes-
beſchaffenheit.

Wie ſehr aber die Natur von ihrer Wirkſam-
keit verlieren, oder vielmehr wie ohnmaͤchtig ſie wer-
den muͤſſe, wenn die Leibesbeſchaffenheit zerruͤttet iſt,
kann ich meinen Leſern auf keine Art anſchaulicher
darſtellen, als wenn ich ihnen die Zufaͤlle, welche
der ſchlechten Leibesbeſchaffenheit (Cachexia) eigen ſind,
nach ihrer Stufenfolge hererzaͤhle. Es wird unver-
kennbar bey jedem Schritte die Abnahme der Lebens-

kraͤfte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0355" n="336"/>
&#x017F;perrten Beinen. Er war ganz ohne Schlaf. In-<lb/>
nerhalb zwanzig Tagen legte &#x017F;ich die Hitze. Ger&#x017F;ten-<lb/>
wa&#x017F;&#x017F;er war ihm nicht trinkbar, wohl aber genaß er<lb/>
einen gleichen, gero&#x0364;&#x017F;teten Trank von Aepfeln, Gra-<lb/>
nata&#x0364;pfel&#x017F;aft, auch du&#x0364;nne, kalte Suppen von gero&#x0364;-<lb/>
&#x017F;teten Lin&#x017F;en, kalt abge&#x017F;ottenes Mehlwa&#x017F;&#x017F;er, und<lb/>
einen du&#x0364;nnen Graupen&#x017F;chleim. &#x2014; Er kam durch. &#x2014;<lb/>
Die&#x017F;er Fall war &#x017F;chwer, und das Heilverfahren ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
einfach.</p><lb/>
              <p>Nicht &#x017F;elten wider&#x017F;teht ein &#x017F;olcher Zu&#x017F;tand &#x017F;ogar<lb/>
der verheerenden Heilart der Aerzte, weßwegen der Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;e vom Mißbrauche des Aderla&#x017F;&#x017F;ens &#x017F;agt: &#x201C;I&#x017F;t der<lb/>
Kranke von einem &#x017F;tarken und lebhaften Tempera-<lb/>
mente, &#x017F;o bleibt glu&#x0364;cklicher Wei&#x017F;e, ungeachtet der<lb/>
vielen Ausleerungen, manchmal das Fieber im na&#x0364;m-<lb/>
lichen Zu&#x017F;tande, und endigt &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t durch eine<lb/>
glu&#x0364;ckliche Ent&#x017F;cheidung am &#x017F;iebenten, eilften, vier-<lb/>
zehnten Tage.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 33.<lb/><hi rendition="#b">Zufa&#x0364;lle und Zeichen der verdorbenen Leibes-<lb/>
be&#x017F;chaffenheit.</hi></head><lb/>
            <p>Wie &#x017F;ehr aber die Natur von ihrer Wirk&#x017F;am-<lb/>
keit verlieren, oder vielmehr wie ohnma&#x0364;chtig &#x017F;ie wer-<lb/>
den mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, wenn die Leibesbe&#x017F;chaffenheit zerru&#x0364;ttet i&#x017F;t,<lb/>
kann ich meinen Le&#x017F;ern auf keine Art <choice><sic>au&#x017F;chaulicher</sic><corr>an&#x017F;chaulicher</corr></choice><lb/>
dar&#x017F;tellen, als wenn ich ihnen die Zufa&#x0364;lle, welche<lb/>
der &#x017F;chlechten Leibesbe&#x017F;chaffenheit (<hi rendition="#aq">Cachexia</hi>) eigen &#x017F;ind,<lb/>
nach ihrer Stufenfolge hererza&#x0364;hle. Es wird unver-<lb/>
kennbar bey jedem Schritte die Abnahme der Lebens-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kra&#x0364;fte</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0355] ſperrten Beinen. Er war ganz ohne Schlaf. In- nerhalb zwanzig Tagen legte ſich die Hitze. Gerſten- waſſer war ihm nicht trinkbar, wohl aber genaß er einen gleichen, geroͤſteten Trank von Aepfeln, Gra- nataͤpfelſaft, auch duͤnne, kalte Suppen von geroͤ- ſteten Linſen, kalt abgeſottenes Mehlwaſſer, und einen duͤnnen Graupenſchleim. — Er kam durch. — Dieſer Fall war ſchwer, und das Heilverfahren hoͤchſt einfach. Nicht ſelten widerſteht ein ſolcher Zuſtand ſogar der verheerenden Heilart der Aerzte, weßwegen der Ver- faſſe vom Mißbrauche des Aderlaſſens ſagt: “Iſt der Kranke von einem ſtarken und lebhaften Tempera- mente, ſo bleibt gluͤcklicher Weiſe, ungeachtet der vielen Ausleerungen, manchmal das Fieber im naͤm- lichen Zuſtande, und endigt ſich von ſelbſt durch eine gluͤckliche Entſcheidung am ſiebenten, eilften, vier- zehnten Tage. §. 33. Zufaͤlle und Zeichen der verdorbenen Leibes- beſchaffenheit. Wie ſehr aber die Natur von ihrer Wirkſam- keit verlieren, oder vielmehr wie ohnmaͤchtig ſie wer- den muͤſſe, wenn die Leibesbeſchaffenheit zerruͤttet iſt, kann ich meinen Leſern auf keine Art anſchaulicher darſtellen, als wenn ich ihnen die Zufaͤlle, welche der ſchlechten Leibesbeſchaffenheit (Cachexia) eigen ſind, nach ihrer Stufenfolge hererzaͤhle. Es wird unver- kennbar bey jedem Schritte die Abnahme der Lebens- kraͤfte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/355
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/355>, abgerufen am 30.04.2024.