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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Friedrich Hoffmann war schon in seiner Be-
schreibung der 1699 in Halle herrschenden Petechien-
epidemie auf diesen Umstand aufmerksam: "Ich habe,
sagt er, nicht nur in dieser Seuche, sondern auch in
andern bösartigen Krankheiten öfters bemerkt, daß,
wenn die Kranken zu lange in einer aufrechten Stel-
lung bleiben, die Heftigkeit der Krankheit so erstau-
nend zunahm, daß selbst zuweilen der Tod in kurzer
Zeit darauf erfolget ist. Die Kranken empfinden
von dieser Stellung eine grosse Entkräftung, Uebel-
keiten, Ohnmachten, Kälte der Gliedmassen, Ban-
gigkeiten; die etwannigen Ausschläge verschwinden,
und dieses jederzeit mit der dringendsten Gefahr."*)

Sydenham schreibt die meisten Todesfälle der
Kindbetterinnen dem Umstande zu, daß sie zu frühe
das Bett verlassen: "Durch die Bewegung, sagt er,
werden hysterische Anfälle erregt, welche den Kind-
betterfluß unterdrücken, worauf tödtliche Zufälle fol-
gen." Aus der Ursache rathet er schwächlichen Wei-
bern, bis zum zehnten Tag das Bett zu hüten, be-
sonders wenn sie schon vor der Entbindung den Mut-
terzuständen ergeben waren. Dagegen, setzt er hin-
zu, werden sie durch die Ruhe geschützt, und die an-
haltende Bettwärme erstattet die durch die Schmer-
zen der Geburt und die Ausleerungen, welche sie be-
gleiten, abgematteten und erschöpften Lebensgeister,
nebst dem, daß dadurch die Natur unterstützt wird,
die während der Schwangerschaft angehäuften Unrei-
nigkeiten zu verarbeiten und auszuleeren.**) Ich sah

eine
*) Histor. seb. malig epidem. petech. Halae grassant. §. 11.
**) De affectione hysterica Nro 129.

Friedrich Hoffmann war ſchon in ſeiner Be-
ſchreibung der 1699 in Halle herrſchenden Petechien-
epidemie auf dieſen Umſtand aufmerkſam: “Ich habe,
ſagt er, nicht nur in dieſer Seuche, ſondern auch in
andern boͤsartigen Krankheiten oͤfters bemerkt, daß,
wenn die Kranken zu lange in einer aufrechten Stel-
lung bleiben, die Heftigkeit der Krankheit ſo erſtau-
nend zunahm, daß ſelbſt zuweilen der Tod in kurzer
Zeit darauf erfolget iſt. Die Kranken empfinden
von dieſer Stellung eine groſſe Entkraͤftung, Uebel-
keiten, Ohnmachten, Kaͤlte der Gliedmaſſen, Ban-
gigkeiten; die etwannigen Ausſchlaͤge verſchwinden,
und dieſes jederzeit mit der dringendſten Gefahr.„*)

Sydenham ſchreibt die meiſten Todesfaͤlle der
Kindbetterinnen dem Umſtande zu, daß ſie zu fruͤhe
das Bett verlaſſen: “Durch die Bewegung, ſagt er,
werden hyſteriſche Anfaͤlle erregt, welche den Kind-
betterfluß unterdruͤcken, worauf toͤdtliche Zufaͤlle fol-
gen.„ Aus der Urſache rathet er ſchwaͤchlichen Wei-
bern, bis zum zehnten Tag das Bett zu huͤten, be-
ſonders wenn ſie ſchon vor der Entbindung den Mut-
terzuſtaͤnden ergeben waren. Dagegen, ſetzt er hin-
zu, werden ſie durch die Ruhe geſchuͤtzt, und die an-
haltende Bettwaͤrme erſtattet die durch die Schmer-
zen der Geburt und die Ausleerungen, welche ſie be-
gleiten, abgematteten und erſchoͤpften Lebensgeiſter,
nebſt dem, daß dadurch die Natur unterſtuͤtzt wird,
die waͤhrend der Schwangerſchaft angehaͤuften Unrei-
nigkeiten zu verarbeiten und auszuleeren.**) Ich ſah

eine
*) Hiſtor. ſeb. malig epidem. petech. Halæ graſſant. §. 11.
**) De affectione hyſterica Nro 129.
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[468/0487] Friedrich Hoffmann war ſchon in ſeiner Be- ſchreibung der 1699 in Halle herrſchenden Petechien- epidemie auf dieſen Umſtand aufmerkſam: “Ich habe, ſagt er, nicht nur in dieſer Seuche, ſondern auch in andern boͤsartigen Krankheiten oͤfters bemerkt, daß, wenn die Kranken zu lange in einer aufrechten Stel- lung bleiben, die Heftigkeit der Krankheit ſo erſtau- nend zunahm, daß ſelbſt zuweilen der Tod in kurzer Zeit darauf erfolget iſt. Die Kranken empfinden von dieſer Stellung eine groſſe Entkraͤftung, Uebel- keiten, Ohnmachten, Kaͤlte der Gliedmaſſen, Ban- gigkeiten; die etwannigen Ausſchlaͤge verſchwinden, und dieſes jederzeit mit der dringendſten Gefahr.„ *) Sydenham ſchreibt die meiſten Todesfaͤlle der Kindbetterinnen dem Umſtande zu, daß ſie zu fruͤhe das Bett verlaſſen: “Durch die Bewegung, ſagt er, werden hyſteriſche Anfaͤlle erregt, welche den Kind- betterfluß unterdruͤcken, worauf toͤdtliche Zufaͤlle fol- gen.„ Aus der Urſache rathet er ſchwaͤchlichen Wei- bern, bis zum zehnten Tag das Bett zu huͤten, be- ſonders wenn ſie ſchon vor der Entbindung den Mut- terzuſtaͤnden ergeben waren. Dagegen, ſetzt er hin- zu, werden ſie durch die Ruhe geſchuͤtzt, und die an- haltende Bettwaͤrme erſtattet die durch die Schmer- zen der Geburt und die Ausleerungen, welche ſie be- gleiten, abgematteten und erſchoͤpften Lebensgeiſter, nebſt dem, daß dadurch die Natur unterſtuͤtzt wird, die waͤhrend der Schwangerſchaft angehaͤuften Unrei- nigkeiten zu verarbeiten und auszuleeren. **) Ich ſah eine *) Hiſtor. ſeb. malig epidem. petech. Halæ graſſant. §. 11. **) De affectione hyſterica Nro 129.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/487>, abgerufen am 01.05.2024.