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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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te Worte genau ausstrich, an ihre Stelle andere setz-
te, und die Augen immer geschlossen hatte; -- sind
unstreitig größtentheils aus bloßer Angewöhnung zu er-
klären, obschon man Einiges von dergleichen Erscheinun-
gen auch einem geheimen Vorsatze zueignen muß.

Die Macht der Gewohnheit wirkt nicht nur im
Schlafe, sondern selbst noch beym Verfalle der Sin-
ne. Ein Mann, der sehr fleißig studirte, wurde plötz-
lich von einem Schlagfluße befallen; er hatte sonst die
Gewohnheit, allemal zu einer bestimmten Stunde zu
schreiben; sobald jezt die Zeit kam, machte er mit der
Hand und den Fingern die Bewegungen eines Schrei-
benden, und trieb dieses eben so lange, als er alle-
mal in gesunden Tagen geschrieben hatte. So kannte
Testa auch einen neunzigjährigen Greisen, welcher
noch alle Morgen und Nachmittage zu bestimmten
Stunden seine gewöhnlichen Gebete herbetete. Ein
Layenbruder war schon lange daran gewöhnt, zu ge-
wissen Stunden mit dem Glockenschlage die Horas zu
singen, und dieß that er genau zu eben der Stunde,
wenn ihn auch keine Glocke daran erinnerte. Ein
ähnliches Beyspiel hat Tiedemann von einem, der im
Wahnsinn zur bestimmten Zeit die Stunden zählte,
obschon er keine Glocke schlagen hörte.

Dieses sind nun lauter, durch öftere Wieder-
holungen der nämlichen Bewegungen entstandene An-
gewöhnungen. Auf diese Art entstand in der von Ro-
senblad
beschriebenen krampfhaften Epidemie nach oft
wiederholten Zuckungen zuweilen eine wahre Fallsucht,
welche manchmal geheilt wurde, manchmal tödete;

oft-

te Worte genau ausſtrich, an ihre Stelle andere ſetz-
te, und die Augen immer geſchloſſen hatte; — ſind
unſtreitig groͤßtentheils aus bloßer Angewoͤhnung zu er-
klaͤren, obſchon man Einiges von dergleichen Erſcheinun-
gen auch einem geheimen Vorſatze zueignen muß.

Die Macht der Gewohnheit wirkt nicht nur im
Schlafe, ſondern ſelbſt noch beym Verfalle der Sin-
ne. Ein Mann, der ſehr fleißig ſtudirte, wurde ploͤtz-
lich von einem Schlagfluße befallen; er hatte ſonſt die
Gewohnheit, allemal zu einer beſtimmten Stunde zu
ſchreiben; ſobald jezt die Zeit kam, machte er mit der
Hand und den Fingern die Bewegungen eines Schrei-
benden, und trieb dieſes eben ſo lange, als er alle-
mal in geſunden Tagen geſchrieben hatte. So kannte
Teſta auch einen neunzigjaͤhrigen Greiſen, welcher
noch alle Morgen und Nachmittage zu beſtimmten
Stunden ſeine gewoͤhnlichen Gebete herbetete. Ein
Layenbruder war ſchon lange daran gewoͤhnt, zu ge-
wiſſen Stunden mit dem Glockenſchlage die Horas zu
ſingen, und dieß that er genau zu eben der Stunde,
wenn ihn auch keine Glocke daran erinnerte. Ein
aͤhnliches Beyſpiel hat Tiedemann von einem, der im
Wahnſinn zur beſtimmten Zeit die Stunden zaͤhlte,
obſchon er keine Glocke ſchlagen hoͤrte.

Dieſes ſind nun lauter, durch oͤftere Wieder-
holungen der naͤmlichen Bewegungen entſtandene An-
gewoͤhnungen. Auf dieſe Art entſtand in der von Ro-
ſenblad
beſchriebenen krampfhaften Epidemie nach oft
wiederholten Zuckungen zuweilen eine wahre Fallſucht,
welche manchmal geheilt wurde, manchmal toͤdete;

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[648/0667] te Worte genau ausſtrich, an ihre Stelle andere ſetz- te, und die Augen immer geſchloſſen hatte; — ſind unſtreitig groͤßtentheils aus bloßer Angewoͤhnung zu er- klaͤren, obſchon man Einiges von dergleichen Erſcheinun- gen auch einem geheimen Vorſatze zueignen muß. Die Macht der Gewohnheit wirkt nicht nur im Schlafe, ſondern ſelbſt noch beym Verfalle der Sin- ne. Ein Mann, der ſehr fleißig ſtudirte, wurde ploͤtz- lich von einem Schlagfluße befallen; er hatte ſonſt die Gewohnheit, allemal zu einer beſtimmten Stunde zu ſchreiben; ſobald jezt die Zeit kam, machte er mit der Hand und den Fingern die Bewegungen eines Schrei- benden, und trieb dieſes eben ſo lange, als er alle- mal in geſunden Tagen geſchrieben hatte. So kannte Teſta auch einen neunzigjaͤhrigen Greiſen, welcher noch alle Morgen und Nachmittage zu beſtimmten Stunden ſeine gewoͤhnlichen Gebete herbetete. Ein Layenbruder war ſchon lange daran gewoͤhnt, zu ge- wiſſen Stunden mit dem Glockenſchlage die Horas zu ſingen, und dieß that er genau zu eben der Stunde, wenn ihn auch keine Glocke daran erinnerte. Ein aͤhnliches Beyſpiel hat Tiedemann von einem, der im Wahnſinn zur beſtimmten Zeit die Stunden zaͤhlte, obſchon er keine Glocke ſchlagen hoͤrte. Dieſes ſind nun lauter, durch oͤftere Wieder- holungen der naͤmlichen Bewegungen entſtandene An- gewoͤhnungen. Auf dieſe Art entſtand in der von Ro- ſenblad beſchriebenen krampfhaften Epidemie nach oft wiederholten Zuckungen zuweilen eine wahre Fallſucht, welche manchmal geheilt wurde, manchmal toͤdete; oft-

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/667>, abgerufen am 27.04.2024.