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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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dessen Schriften und Charakter.
die Dinge und Menschen, als Regeln, sie besser
zu machen: aber es sind solche, die jeder, sobald
er sie hört, als bekannt ansehen, die jeder, auch
wenn er kein großer Beobachter ist, durch seine
eigne Erfahrung rechtfertigen kann. Die Erzäh-
lung ist lebhaft, voller Munterkeit und eines ein-
nehmenden Scherzes: aber kein einziger witziger
Einfall, den es Mühe kostete zu erklären; keine
scharssinnige Sentenz, deren verborgener Sinn
erst durch einen ähnlichen Scharfsinn entdeckt
werden müßte. Die Poesie des Styls ist in ih-
rer Art die vollkommenste, die seyn kann; kein
Zwang, nicht die geringste Abweichung von der
Richtigkeit des Sinns und der Genanigkeit des
Ausdrucks um des Sylbenmaaßes willen, allent-
halben die eigentlichsten Wörter, keine neugemach-
te Redensart, keine fremde Wendung, alles mit-
ten aus dem gemeinsten Sprachgebrauche heraus-
genommen, lauter Ausdrücke, die jedermann im
Munde führet, und doch alle edel, ihrem Ge-
genstande angemessen, und in der Verbindung
neu.

deſſen Schriften und Charakter.
die Dinge und Menſchen, als Regeln, ſie beſſer
zu machen: aber es ſind ſolche, die jeder, ſobald
er ſie hoͤrt, als bekannt anſehen, die jeder, auch
wenn er kein großer Beobachter iſt, durch ſeine
eigne Erfahrung rechtfertigen kann. Die Erzaͤh-
lung iſt lebhaft, voller Munterkeit und eines ein-
nehmenden Scherzes: aber kein einziger witziger
Einfall, den es Muͤhe koſtete zu erklaͤren; keine
ſcharſſinnige Sentenz, deren verborgener Sinn
erſt durch einen aͤhnlichen Scharfſinn entdeckt
werden muͤßte. Die Poeſie des Styls iſt in ih-
rer Art die vollkommenſte, die ſeyn kann; kein
Zwang, nicht die geringſte Abweichung von der
Richtigkeit des Sinns und der Genanigkeit des
Ausdrucks um des Sylbenmaaßes willen, allent-
halben die eigentlichſten Woͤrter, keine neugemach-
te Redensart, keine fremde Wendung, alles mit-
ten aus dem gemeinſten Sprachgebrauche heraus-
genommen, lauter Ausdruͤcke, die jedermann im
Munde fuͤhret, und doch alle edel, ihrem Ge-
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[205/0211] deſſen Schriften und Charakter. die Dinge und Menſchen, als Regeln, ſie beſſer zu machen: aber es ſind ſolche, die jeder, ſobald er ſie hoͤrt, als bekannt anſehen, die jeder, auch wenn er kein großer Beobachter iſt, durch ſeine eigne Erfahrung rechtfertigen kann. Die Erzaͤh- lung iſt lebhaft, voller Munterkeit und eines ein- nehmenden Scherzes: aber kein einziger witziger Einfall, den es Muͤhe koſtete zu erklaͤren; keine ſcharſſinnige Sentenz, deren verborgener Sinn erſt durch einen aͤhnlichen Scharfſinn entdeckt werden muͤßte. Die Poeſie des Styls iſt in ih- rer Art die vollkommenſte, die ſeyn kann; kein Zwang, nicht die geringſte Abweichung von der Richtigkeit des Sinns und der Genanigkeit des Ausdrucks um des Sylbenmaaßes willen, allent- halben die eigentlichſten Woͤrter, keine neugemach- te Redensart, keine fremde Wendung, alles mit- ten aus dem gemeinſten Sprachgebrauche heraus- genommen, lauter Ausdruͤcke, die jedermann im Munde fuͤhret, und doch alle edel, ihrem Ge- genſtande angemeſſen, und in der Verbindung neu.

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/211>, abgerufen am 27.04.2024.