Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
dessen Schriften und Charakter.

Wir kommen wieder auf den Mann selbst zu-
rück, von dessen Werke wir redeten. Wir haben
keine besondere Nachrichten von seinen Lebensum-
ständen. Wir kennen ihn nur aus seinen Schrif-
ten und aus seinem Umgange. Wir werden also
nur wenig erzählen können; aber bey einem sol-
chen Manne muß uns auch dieses Wenige viel zu
denken geben.

Nichts ist schwerer zu bestimmen, als das Ei-
genthümliche eines gewissen Geistes, besonders
wenn dieser ein großer Geist, und noch mehr,
wenn er ein Genie ist. Alle Vollkommenheiten
des Geistes lassen sich auf gewisse Vollkommenhei-
ten der Gedanken bringen; oder vielmehr, nur
so viel Unterschiede und Vorzüge der Fähigkeiten
und der Kräfte kennen wir, als wir Verschieden-
heiten und Grade der Vortrefflichkeit in den Ideen
finden. Den Charakter einer bestimmten Fähig-
keit können wir also fast nicht anders angeben,
als indem wir den besondern Ursprung, die Ent-
stehungsart der Gedanken beschreiben, die dieser
Fähigkeit eigenthümlich sind. Dieses geht nun

O 4
deſſen Schriften und Charakter.

Wir kommen wieder auf den Mann ſelbſt zu-
ruͤck, von deſſen Werke wir redeten. Wir haben
keine beſondere Nachrichten von ſeinen Lebensum-
ſtaͤnden. Wir kennen ihn nur aus ſeinen Schrif-
ten und aus ſeinem Umgange. Wir werden alſo
nur wenig erzaͤhlen koͤnnen; aber bey einem ſol-
chen Manne muß uns auch dieſes Wenige viel zu
denken geben.

Nichts iſt ſchwerer zu beſtimmen, als das Ei-
genthuͤmliche eines gewiſſen Geiſtes, beſonders
wenn dieſer ein großer Geiſt, und noch mehr,
wenn er ein Genie iſt. Alle Vollkommenheiten
des Geiſtes laſſen ſich auf gewiſſe Vollkommenhei-
ten der Gedanken bringen; oder vielmehr, nur
ſo viel Unterſchiede und Vorzuͤge der Faͤhigkeiten
und der Kraͤfte kennen wir, als wir Verſchieden-
heiten und Grade der Vortrefflichkeit in den Ideen
finden. Den Charakter einer beſtimmten Faͤhig-
keit koͤnnen wir alſo faſt nicht anders angeben,
als indem wir den beſondern Urſprung, die Ent-
ſtehungsart der Gedanken beſchreiben, die dieſer
Faͤhigkeit eigenthuͤmlich ſind. Dieſes geht nun

O 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0221" n="215"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">de&#x017F;&#x017F;en Schriften und Charakter.</hi> </fw><lb/>
        <p>Wir kommen wieder auf den Mann &#x017F;elb&#x017F;t zu-<lb/>
ru&#x0364;ck, von de&#x017F;&#x017F;en Werke wir redeten. Wir haben<lb/>
keine be&#x017F;ondere Nachrichten von &#x017F;einen Lebensum-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden. Wir kennen ihn nur aus &#x017F;einen Schrif-<lb/>
ten und aus &#x017F;einem Umgange. Wir werden al&#x017F;o<lb/>
nur wenig erza&#x0364;hlen ko&#x0364;nnen; aber bey einem &#x017F;ol-<lb/>
chen Manne muß uns auch die&#x017F;es Wenige viel zu<lb/>
denken geben.</p><lb/>
        <p>Nichts i&#x017F;t &#x017F;chwerer zu be&#x017F;timmen, als das Ei-<lb/>
genthu&#x0364;mliche eines gewi&#x017F;&#x017F;en Gei&#x017F;tes, be&#x017F;onders<lb/>
wenn die&#x017F;er ein großer Gei&#x017F;t, und noch mehr,<lb/>
wenn er ein Genie i&#x017F;t. Alle Vollkommenheiten<lb/>
des Gei&#x017F;tes la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich auf gewi&#x017F;&#x017F;e Vollkommenhei-<lb/>
ten der Gedanken bringen; oder vielmehr, nur<lb/>
&#x017F;o viel Unter&#x017F;chiede und Vorzu&#x0364;ge der Fa&#x0364;higkeiten<lb/>
und der Kra&#x0364;fte kennen wir, als wir Ver&#x017F;chieden-<lb/>
heiten und Grade der Vortrefflichkeit in den Ideen<lb/>
finden. Den Charakter einer be&#x017F;timmten Fa&#x0364;hig-<lb/>
keit ko&#x0364;nnen wir al&#x017F;o fa&#x017F;t nicht anders angeben,<lb/>
als indem wir den be&#x017F;ondern Ur&#x017F;prung, die Ent-<lb/>
&#x017F;tehungsart der Gedanken be&#x017F;chreiben, die die&#x017F;er<lb/>
Fa&#x0364;higkeit eigenthu&#x0364;mlich &#x017F;ind. Die&#x017F;es geht nun<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 4</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0221] deſſen Schriften und Charakter. Wir kommen wieder auf den Mann ſelbſt zu- ruͤck, von deſſen Werke wir redeten. Wir haben keine beſondere Nachrichten von ſeinen Lebensum- ſtaͤnden. Wir kennen ihn nur aus ſeinen Schrif- ten und aus ſeinem Umgange. Wir werden alſo nur wenig erzaͤhlen koͤnnen; aber bey einem ſol- chen Manne muß uns auch dieſes Wenige viel zu denken geben. Nichts iſt ſchwerer zu beſtimmen, als das Ei- genthuͤmliche eines gewiſſen Geiſtes, beſonders wenn dieſer ein großer Geiſt, und noch mehr, wenn er ein Genie iſt. Alle Vollkommenheiten des Geiſtes laſſen ſich auf gewiſſe Vollkommenhei- ten der Gedanken bringen; oder vielmehr, nur ſo viel Unterſchiede und Vorzuͤge der Faͤhigkeiten und der Kraͤfte kennen wir, als wir Verſchieden- heiten und Grade der Vortrefflichkeit in den Ideen finden. Den Charakter einer beſtimmten Faͤhig- keit koͤnnen wir alſo faſt nicht anders angeben, als indem wir den beſondern Urſprung, die Ent- ſtehungsart der Gedanken beſchreiben, die dieſer Faͤhigkeit eigenthuͤmlich ſind. Dieſes geht nun O 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/221
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/221>, abgerufen am 27.04.2024.