auf seinen ganzen übrigen Charakter so viel Ein- fluß hatte, brachte auch diese vielleicht zu weit ge- triebne Behutsamkeit hervor.
Seine sinnlichen Begierden waren von Natur mäßig. Seine Krankheit hatte ihm eine strenge Enthaltsamkeit aufgelegt; und seine Gottesfurcht machte ihn geneigt, lieber eine unnöthige Ver- leugnung zu übernehmen, als sich der nothwen- digen zu weigern. Er foderte zu den Bequem- lichkeiten und zu den Zierrathen des Lebens nur wenig. Und in der That ist Eitelkeit gewiß die Leidenschaft, die ein großer Geist am ersten unter die Füße tritt. Denn es ist unmöglich, daß die Seele mit etwas Großem und Gutem sich abge- ben, oder daß sie mit wichtigen Gedanken und Absichten erfüllt seyn kann, wenn ihr noch der Unterschied der Kleider und des Hausgeräthes wichtig scheint. Bey Gellerten konnte nur die Gewohnheit, nicht die sinnliche Begierde, eine Art neuer Bedürfnisse erzeugen. Er verlangte keine Sache prächtig oder sehr bequem; aber er verlangte sie so, wie er sie immer gehabt hatte.
Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
auf ſeinen ganzen uͤbrigen Charakter ſo viel Ein- fluß hatte, brachte auch dieſe vielleicht zu weit ge- triebne Behutſamkeit hervor.
Seine ſinnlichen Begierden waren von Natur maͤßig. Seine Krankheit hatte ihm eine ſtrenge Enthaltſamkeit aufgelegt; und ſeine Gottesfurcht machte ihn geneigt, lieber eine unnoͤthige Ver- leugnung zu uͤbernehmen, als ſich der nothwen- digen zu weigern. Er foderte zu den Bequem- lichkeiten und zu den Zierrathen des Lebens nur wenig. Und in der That iſt Eitelkeit gewiß die Leidenſchaft, die ein großer Geiſt am erſten unter die Fuͤße tritt. Denn es iſt unmoͤglich, daß die Seele mit etwas Großem und Gutem ſich abge- ben, oder daß ſie mit wichtigen Gedanken und Abſichten erfuͤllt ſeyn kann, wenn ihr noch der Unterſchied der Kleider und des Hausgeraͤthes wichtig ſcheint. Bey Gellerten konnte nur die Gewohnheit, nicht die ſinnliche Begierde, eine Art neuer Beduͤrfniſſe erzeugen. Er verlangte keine Sache praͤchtig oder ſehr bequem; aber er verlangte ſie ſo, wie er ſie immer gehabt hatte.
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Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
auf ſeinen ganzen uͤbrigen Charakter ſo viel Ein-
fluß hatte, brachte auch dieſe vielleicht zu weit ge-
triebne Behutſamkeit hervor.
Seine ſinnlichen Begierden waren von Natur
maͤßig. Seine Krankheit hatte ihm eine ſtrenge
Enthaltſamkeit aufgelegt; und ſeine Gottesfurcht
machte ihn geneigt, lieber eine unnoͤthige Ver-
leugnung zu uͤbernehmen, als ſich der nothwen-
digen zu weigern. Er foderte zu den Bequem-
lichkeiten und zu den Zierrathen des Lebens nur
wenig. Und in der That iſt Eitelkeit gewiß die
Leidenſchaft, die ein großer Geiſt am erſten unter
die Fuͤße tritt. Denn es iſt unmoͤglich, daß die
Seele mit etwas Großem und Gutem ſich abge-
ben, oder daß ſie mit wichtigen Gedanken und
Abſichten erfuͤllt ſeyn kann, wenn ihr noch der
Unterſchied der Kleider und des Hausgeraͤthes
wichtig ſcheint. Bey Gellerten konnte nur die
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Art neuer Beduͤrfniſſe erzeugen. Er verlangte
keine Sache praͤchtig oder ſehr bequem; aber er
verlangte ſie ſo, wie er ſie immer gehabt hatte.
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/252>, abgerufen am 09.05.2024.
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