Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Einige Gedanken
ordnen muß, was ihr denkbar und empfindbar
seyn soll. Die Aufmerksamkeit hat schon ihre ge-
wissen Objekte, und an jedem Dinge ihre gewissen
Theile, nach welchen sie sich allemal mit Vorbey-
gehung der übrigen hinkehrt; und wer also diese
Aufmerksamkeit gewinnen will, der muß der Seele
gerade diese Objekte, oder diese Theile jedes Ob-
jekts vorhalten.

Ueberdieß legt jede Begebenheit, die dem
Menschen aufstößt, jeder Zustand, in den er ge-
räth, einen gewissen Stoff in sein Gedächtniß nie-
der, der bearbeitet werden soll; jede Idee, die er
bekömmt, bereitet ihn zu einer neuen vor, oder
enthält den Samen zu derselben. -- Was nun
also aus diesen in ihm schon vorhandenen Mate-
rialien erbaut wird, was aus diesem in ihm lie-
genden Samen aufschießt und reift, ist ihm weit
wichtiger, gehöret weit mehr zu ihm, bringt seinen
Kopf in weit größere Thätigkeit, und seine Einbil-
dungskraft in weit größere Wärme, als was aus
ganz fremdem Stoffe zusammengesezt, und auf
ausländischem Boden gezeugt ist.

Einige Gedanken
ordnen muß, was ihr denkbar und empfindbar
ſeyn ſoll. Die Aufmerkſamkeit hat ſchon ihre ge-
wiſſen Objekte, und an jedem Dinge ihre gewiſſen
Theile, nach welchen ſie ſich allemal mit Vorbey-
gehung der uͤbrigen hinkehrt; und wer alſo dieſe
Aufmerkſamkeit gewinnen will, der muß der Seele
gerade dieſe Objekte, oder dieſe Theile jedes Ob-
jekts vorhalten.

Ueberdieß legt jede Begebenheit, die dem
Menſchen aufſtoͤßt, jeder Zuſtand, in den er ge-
raͤth, einen gewiſſen Stoff in ſein Gedaͤchtniß nie-
der, der bearbeitet werden ſoll; jede Idee, die er
bekoͤmmt, bereitet ihn zu einer neuen vor, oder
enthaͤlt den Samen zu derſelben. — Was nun
alſo aus dieſen in ihm ſchon vorhandenen Mate-
rialien erbaut wird, was aus dieſem in ihm lie-
genden Samen aufſchießt und reift, iſt ihm weit
wichtiger, gehoͤret weit mehr zu ihm, bringt ſeinen
Kopf in weit groͤßere Thaͤtigkeit, und ſeine Einbil-
dungskraft in weit groͤßere Waͤrme, als was aus
ganz fremdem Stoffe zuſammengeſezt, und auf
auslaͤndiſchem Boden gezeugt iſt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0278" n="272"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Einige Gedanken</hi></fw><lb/>
ordnen muß, was ihr denkbar und empfindbar<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;oll. Die Aufmerk&#x017F;amkeit hat &#x017F;chon ihre ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Objekte, und an jedem Dinge ihre gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Theile, nach welchen &#x017F;ie &#x017F;ich allemal mit Vorbey-<lb/>
gehung der u&#x0364;brigen hinkehrt; und wer al&#x017F;o die&#x017F;e<lb/>
Aufmerk&#x017F;amkeit gewinnen will, der muß der Seele<lb/>
gerade die&#x017F;e Objekte, oder die&#x017F;e Theile jedes Ob-<lb/>
jekts vorhalten.</p><lb/>
        <p>Ueberdieß legt jede Begebenheit, die dem<lb/>
Men&#x017F;chen auf&#x017F;to&#x0364;ßt, jeder Zu&#x017F;tand, in den er ge-<lb/>
ra&#x0364;th, einen gewi&#x017F;&#x017F;en Stoff in &#x017F;ein Geda&#x0364;chtniß nie-<lb/>
der, der bearbeitet werden &#x017F;oll; jede Idee, die er<lb/>
beko&#x0364;mmt, bereitet ihn zu einer neuen vor, oder<lb/>
entha&#x0364;lt den Samen zu der&#x017F;elben. &#x2014; Was nun<lb/>
al&#x017F;o aus die&#x017F;en in ihm &#x017F;chon vorhandenen Mate-<lb/>
rialien erbaut wird, was aus die&#x017F;em in ihm lie-<lb/>
genden Samen auf&#x017F;chießt und reift, i&#x017F;t ihm weit<lb/>
wichtiger, geho&#x0364;ret weit mehr zu ihm, bringt &#x017F;einen<lb/>
Kopf in weit gro&#x0364;ßere Tha&#x0364;tigkeit, und &#x017F;eine Einbil-<lb/>
dungskraft in weit gro&#x0364;ßere Wa&#x0364;rme, als was aus<lb/>
ganz fremdem Stoffe zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezt, und auf<lb/>
ausla&#x0364;ndi&#x017F;chem Boden gezeugt i&#x017F;t.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0278] Einige Gedanken ordnen muß, was ihr denkbar und empfindbar ſeyn ſoll. Die Aufmerkſamkeit hat ſchon ihre ge- wiſſen Objekte, und an jedem Dinge ihre gewiſſen Theile, nach welchen ſie ſich allemal mit Vorbey- gehung der uͤbrigen hinkehrt; und wer alſo dieſe Aufmerkſamkeit gewinnen will, der muß der Seele gerade dieſe Objekte, oder dieſe Theile jedes Ob- jekts vorhalten. Ueberdieß legt jede Begebenheit, die dem Menſchen aufſtoͤßt, jeder Zuſtand, in den er ge- raͤth, einen gewiſſen Stoff in ſein Gedaͤchtniß nie- der, der bearbeitet werden ſoll; jede Idee, die er bekoͤmmt, bereitet ihn zu einer neuen vor, oder enthaͤlt den Samen zu derſelben. — Was nun alſo aus dieſen in ihm ſchon vorhandenen Mate- rialien erbaut wird, was aus dieſem in ihm lie- genden Samen aufſchießt und reift, iſt ihm weit wichtiger, gehoͤret weit mehr zu ihm, bringt ſeinen Kopf in weit groͤßere Thaͤtigkeit, und ſeine Einbil- dungskraft in weit groͤßere Waͤrme, als was aus ganz fremdem Stoffe zuſammengeſezt, und auf auslaͤndiſchem Boden gezeugt iſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/278
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/278>, abgerufen am 09.05.2024.