Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

über das Interessirende.
aus überreden, daß den Homer nichts größer
mache, als sein Jupiter, wenn er mit seinem
Haupte den Olymp erschüttert, und die Pferde
des Mars, wenn sie mit einem Schritte so weit
ausgreifen, als man von einem hohen Berge se-
hen kann; daß Schakespears Genie nirgends mehr
hervorleuchte, als wo er seine Hexen und Unge-
heuer reden läßt; und daß Pope bloß ein feiner
Versifikateur seyn würde, wenn er nicht zum
Glücke den Gabalis gelesen, und in seinen Locken-
raub Sylphen und Gnomen gebracht hätte.
Wenn diese Kunstrichter nach ihrem wirklichen Ge-
fühle reden, so ist es freylich ein sicherer Beweis,
daß das unsrige kein allgemeines Gefühl sey.
Denn dieß geht ganz darauf, daß es ein größer
Genie erfodere, das Wirkliche und das Natürliche,
als das Erdichtete und das Uebernatürliche zu
schildern, (wir reden hier bloß von den redenden
Künsten,) oder daß, wenn auch das lezte mehr
Bewunderung erregen sollte, doch das erste nur
interessiren könne. -- Die wirkliche Natur ist
weit reicher in dem Stoffe, aus dem sie jedes Ding

S 3

uͤber das Intereſſirende.
aus uͤberreden, daß den Homer nichts groͤßer
mache, als ſein Jupiter, wenn er mit ſeinem
Haupte den Olymp erſchuͤttert, und die Pferde
des Mars, wenn ſie mit einem Schritte ſo weit
ausgreifen, als man von einem hohen Berge ſe-
hen kann; daß Schakeſpears Genie nirgends mehr
hervorleuchte, als wo er ſeine Hexen und Unge-
heuer reden laͤßt; und daß Pope bloß ein feiner
Verſifikateur ſeyn wuͤrde, wenn er nicht zum
Gluͤcke den Gabalis geleſen, und in ſeinen Locken-
raub Sylphen und Gnomen gebracht haͤtte.
Wenn dieſe Kunſtrichter nach ihrem wirklichen Ge-
fuͤhle reden, ſo iſt es freylich ein ſicherer Beweis,
daß das unſrige kein allgemeines Gefuͤhl ſey.
Denn dieß geht ganz darauf, daß es ein groͤßer
Genie erfodere, das Wirkliche und das Natuͤrliche,
als das Erdichtete und das Uebernatuͤrliche zu
ſchildern, (wir reden hier bloß von den redenden
Kuͤnſten,) oder daß, wenn auch das lezte mehr
Bewunderung erregen ſollte, doch das erſte nur
intereſſiren koͤnne. — Die wirkliche Natur iſt
weit reicher in dem Stoffe, aus dem ſie jedes Ding

S 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0283" n="277"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber das Intere&#x017F;&#x017F;irende.</hi></fw><lb/>
aus u&#x0364;berreden, daß den Homer nichts gro&#x0364;ßer<lb/>
mache, als &#x017F;ein Jupiter, wenn er mit &#x017F;einem<lb/>
Haupte den Olymp er&#x017F;chu&#x0364;ttert, und die Pferde<lb/>
des Mars, wenn &#x017F;ie mit einem Schritte &#x017F;o weit<lb/>
ausgreifen, als man von einem hohen Berge &#x017F;e-<lb/>
hen kann; daß Schake&#x017F;pears Genie nirgends mehr<lb/>
hervorleuchte, als wo er &#x017F;eine Hexen und Unge-<lb/>
heuer reden la&#x0364;ßt; und daß Pope bloß ein feiner<lb/>
Ver&#x017F;ifikateur &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, wenn er nicht zum<lb/>
Glu&#x0364;cke den Gabalis gele&#x017F;en, und in &#x017F;einen Locken-<lb/>
raub Sylphen und Gnomen gebracht ha&#x0364;tte.<lb/>
Wenn die&#x017F;e Kun&#x017F;trichter nach ihrem wirklichen Ge-<lb/>
fu&#x0364;hle reden, &#x017F;o i&#x017F;t es freylich ein &#x017F;icherer Beweis,<lb/>
daß das un&#x017F;rige kein allgemeines Gefu&#x0364;hl &#x017F;ey.<lb/>
Denn dieß geht ganz darauf, daß es ein gro&#x0364;ßer<lb/>
Genie erfodere, das Wirkliche und das Natu&#x0364;rliche,<lb/>
als das Erdichtete und das Uebernatu&#x0364;rliche zu<lb/>
&#x017F;childern, (wir reden hier bloß von den redenden<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;ten,) oder daß, wenn auch das lezte mehr<lb/>
Bewunderung erregen &#x017F;ollte, doch das er&#x017F;te nur<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;iren ko&#x0364;nne. &#x2014; Die wirkliche Natur i&#x017F;t<lb/>
weit reicher in dem Stoffe, aus dem &#x017F;ie jedes Ding<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0283] uͤber das Intereſſirende. aus uͤberreden, daß den Homer nichts groͤßer mache, als ſein Jupiter, wenn er mit ſeinem Haupte den Olymp erſchuͤttert, und die Pferde des Mars, wenn ſie mit einem Schritte ſo weit ausgreifen, als man von einem hohen Berge ſe- hen kann; daß Schakeſpears Genie nirgends mehr hervorleuchte, als wo er ſeine Hexen und Unge- heuer reden laͤßt; und daß Pope bloß ein feiner Verſifikateur ſeyn wuͤrde, wenn er nicht zum Gluͤcke den Gabalis geleſen, und in ſeinen Locken- raub Sylphen und Gnomen gebracht haͤtte. Wenn dieſe Kunſtrichter nach ihrem wirklichen Ge- fuͤhle reden, ſo iſt es freylich ein ſicherer Beweis, daß das unſrige kein allgemeines Gefuͤhl ſey. Denn dieß geht ganz darauf, daß es ein groͤßer Genie erfodere, das Wirkliche und das Natuͤrliche, als das Erdichtete und das Uebernatuͤrliche zu ſchildern, (wir reden hier bloß von den redenden Kuͤnſten,) oder daß, wenn auch das lezte mehr Bewunderung erregen ſollte, doch das erſte nur intereſſiren koͤnne. — Die wirkliche Natur iſt weit reicher in dem Stoffe, aus dem ſie jedes Ding S 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/283
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/283>, abgerufen am 09.05.2024.