Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

über das Interessirende.
die Zaire, drey Hauptstücke dreyer berühmten
Nationen, haben die Eifersucht zum Stoff.

In der That wird kaum irgend eine Leiden,
schaft so viel andre Leidenschaften in sich schlies-
sen, kaum eine so mannichfaltige Bewegung
des Gemüths erregen. Wer den Eifersüchtigen
schildern will, der muß die Liebe und den Haß,
die Freude und die Traurigkeit, die Hoffnung
und die Furcht schildern. Ueberdieß kann man
der Entstehung dieser Leidenschaft mehr als ir-
gend einer andern nachspüren. Andre Leiden-
schaften entstehen entweder zu langsam oder zu
schnell, um aus ihrem Ursprunge ihre Natur
kennen zu lernen. Eine einzige Beleidigung kann
das Gemüth in Zorn bringen; die Vorstellungen
folgen hier mit solcher Geschwindigkeit auf ein-
ander, das Blut und die Lebensgeister brausen
so schnell auf, daß es dem Menschen selbst nicht
möglich ist, den Gang der Leidenschaften zu ent-
wickeln. Die Liebe, wenn sie ganz sinnlich ist,
entsteht eben so schnell und oft bey dem ersten
Anblicke. Ist sie hingegen moralisch, so wächst

Y 2

uͤber das Intereſſirende.
die Zaire, drey Hauptſtuͤcke dreyer beruͤhmten
Nationen, haben die Eiferſucht zum Stoff.

In der That wird kaum irgend eine Leiden,
ſchaft ſo viel andre Leidenſchaften in ſich ſchlieſ-
ſen, kaum eine ſo mannichfaltige Bewegung
des Gemuͤths erregen. Wer den Eiferſuͤchtigen
ſchildern will, der muß die Liebe und den Haß,
die Freude und die Traurigkeit, die Hoffnung
und die Furcht ſchildern. Ueberdieß kann man
der Entſtehung dieſer Leidenſchaft mehr als ir-
gend einer andern nachſpuͤren. Andre Leiden-
ſchaften entſtehen entweder zu langſam oder zu
ſchnell, um aus ihrem Urſprunge ihre Natur
kennen zu lernen. Eine einzige Beleidigung kann
das Gemuͤth in Zorn bringen; die Vorſtellungen
folgen hier mit ſolcher Geſchwindigkeit auf ein-
ander, das Blut und die Lebensgeiſter brauſen
ſo ſchnell auf, daß es dem Menſchen ſelbſt nicht
moͤglich iſt, den Gang der Leidenſchaften zu ent-
wickeln. Die Liebe, wenn ſie ganz ſinnlich iſt,
entſteht eben ſo ſchnell und oft bey dem erſten
Anblicke. Iſt ſie hingegen moraliſch, ſo waͤchſt

Y 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0345" n="339"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber das Intere&#x017F;&#x017F;irende.</hi></fw><lb/>
die Zaire, drey Haupt&#x017F;tu&#x0364;cke dreyer beru&#x0364;hmten<lb/>
Nationen, haben die Eifer&#x017F;ucht zum Stoff.</p><lb/>
        <p>In der That wird kaum irgend eine Leiden,<lb/>
&#x017F;chaft &#x017F;o viel andre Leiden&#x017F;chaften in &#x017F;ich &#x017F;chlie&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, kaum <hi rendition="#fr">eine</hi> &#x017F;o mannichfaltige Bewegung<lb/>
des Gemu&#x0364;ths erregen. Wer den Eifer&#x017F;u&#x0364;chtigen<lb/>
&#x017F;childern will, der muß die Liebe und den Haß,<lb/>
die Freude und die Traurigkeit, die Hoffnung<lb/>
und die Furcht &#x017F;childern. Ueberdieß kann man<lb/>
der Ent&#x017F;tehung die&#x017F;er Leiden&#x017F;chaft mehr als ir-<lb/>
gend einer andern nach&#x017F;pu&#x0364;ren. Andre Leiden-<lb/>
&#x017F;chaften ent&#x017F;tehen entweder zu lang&#x017F;am oder zu<lb/>
&#x017F;chnell, um aus ihrem Ur&#x017F;prunge ihre Natur<lb/>
kennen zu lernen. Eine einzige Beleidigung kann<lb/>
das Gemu&#x0364;th in Zorn bringen; die Vor&#x017F;tellungen<lb/>
folgen hier mit &#x017F;olcher Ge&#x017F;chwindigkeit auf ein-<lb/>
ander, das Blut und die Lebensgei&#x017F;ter brau&#x017F;en<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chnell auf, daß es dem Men&#x017F;chen &#x017F;elb&#x017F;t nicht<lb/>
mo&#x0364;glich i&#x017F;t, den Gang der Leiden&#x017F;chaften zu ent-<lb/>
wickeln. Die Liebe, wenn &#x017F;ie ganz &#x017F;innlich i&#x017F;t,<lb/>
ent&#x017F;teht eben &#x017F;o &#x017F;chnell und oft bey dem er&#x017F;ten<lb/>
Anblicke. I&#x017F;t &#x017F;ie hingegen morali&#x017F;ch, &#x017F;o wa&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0345] uͤber das Intereſſirende. die Zaire, drey Hauptſtuͤcke dreyer beruͤhmten Nationen, haben die Eiferſucht zum Stoff. In der That wird kaum irgend eine Leiden, ſchaft ſo viel andre Leidenſchaften in ſich ſchlieſ- ſen, kaum eine ſo mannichfaltige Bewegung des Gemuͤths erregen. Wer den Eiferſuͤchtigen ſchildern will, der muß die Liebe und den Haß, die Freude und die Traurigkeit, die Hoffnung und die Furcht ſchildern. Ueberdieß kann man der Entſtehung dieſer Leidenſchaft mehr als ir- gend einer andern nachſpuͤren. Andre Leiden- ſchaften entſtehen entweder zu langſam oder zu ſchnell, um aus ihrem Urſprunge ihre Natur kennen zu lernen. Eine einzige Beleidigung kann das Gemuͤth in Zorn bringen; die Vorſtellungen folgen hier mit ſolcher Geſchwindigkeit auf ein- ander, das Blut und die Lebensgeiſter brauſen ſo ſchnell auf, daß es dem Menſchen ſelbſt nicht moͤglich iſt, den Gang der Leidenſchaften zu ent- wickeln. Die Liebe, wenn ſie ganz ſinnlich iſt, entſteht eben ſo ſchnell und oft bey dem erſten Anblicke. Iſt ſie hingegen moraliſch, ſo waͤchſt Y 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/345
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/345>, abgerufen am 09.05.2024.