Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

über das Interessirende.
ben, wo ein alberner Mensch durch seine Verle-
genheit die Zuschauer erlustiget. Bey einem ed-
len und großen Charakter hingegen, und wenn die
Vorfälle wichtig sind, und die Wahl einen gros-
sen Ausschlag giebt: dann wird diese Unruhe rüh-
rend.

Wir könnten hier den Streit zwischen Leiden-
schaft und Vernunft, als eine besondre Gattung
hinzufügen, wenn er sich nicht auf gewisse Weise
über alle die vorigen Arten erstreckte.

Nämlich, was wir eigentlich Leidenschaft nen-
nen, ist eine sinnliche Begierde, die vom Körper
herrührt, die durch den Lauf der Säfte und die
Bewegung der Lebensgeister unterstüzt wird. Ver-
nunft ist der Geist, insofern er aus sich selbst und
abgezogen vom Körper wirkt und handelt. So-
bald also nur der Mensch selbst thätig ist, und so
weit er es ist, da und so weit wirkt seine Vernunft.
Aber jeder Streit der Leidenschaften macht den
Menschen selbst thätig; also erweckt jeder Streit
der Leidenschaft die Vernunft.

uͤber das Intereſſirende.
ben, wo ein alberner Menſch durch ſeine Verle-
genheit die Zuſchauer erluſtiget. Bey einem ed-
len und großen Charakter hingegen, und wenn die
Vorfaͤlle wichtig ſind, und die Wahl einen groſ-
ſen Ausſchlag giebt: dann wird dieſe Unruhe ruͤh-
rend.

Wir koͤnnten hier den Streit zwiſchen Leiden-
ſchaft und Vernunft, als eine beſondre Gattung
hinzufuͤgen, wenn er ſich nicht auf gewiſſe Weiſe
uͤber alle die vorigen Arten erſtreckte.

Naͤmlich, was wir eigentlich Leidenſchaft nen-
nen, iſt eine ſinnliche Begierde, die vom Koͤrper
herruͤhrt, die durch den Lauf der Saͤfte und die
Bewegung der Lebensgeiſter unterſtuͤzt wird. Ver-
nunft iſt der Geiſt, inſofern er aus ſich ſelbſt und
abgezogen vom Koͤrper wirkt und handelt. So-
bald alſo nur der Menſch ſelbſt thaͤtig iſt, und ſo
weit er es iſt, da und ſo weit wirkt ſeine Vernunft.
Aber jeder Streit der Leidenſchaften macht den
Menſchen ſelbſt thaͤtig; alſo erweckt jeder Streit
der Leidenſchaft die Vernunft.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0353" n="347"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber das Intere&#x017F;&#x017F;irende.</hi></fw><lb/>
ben, wo ein alberner Men&#x017F;ch durch &#x017F;eine Verle-<lb/>
genheit die Zu&#x017F;chauer erlu&#x017F;tiget. Bey einem ed-<lb/>
len und großen Charakter hingegen, und wenn die<lb/>
Vorfa&#x0364;lle wichtig &#x017F;ind, und die Wahl einen gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Aus&#x017F;chlag giebt: dann wird die&#x017F;e Unruhe ru&#x0364;h-<lb/>
rend.</p><lb/>
        <p>Wir ko&#x0364;nnten hier den Streit zwi&#x017F;chen Leiden-<lb/>
&#x017F;chaft und Vernunft, als eine be&#x017F;ondre Gattung<lb/>
hinzufu&#x0364;gen, wenn er &#x017F;ich nicht auf gewi&#x017F;&#x017F;e Wei&#x017F;e<lb/>
u&#x0364;ber alle die vorigen Arten er&#x017F;treckte.</p><lb/>
        <p>Na&#x0364;mlich, was wir eigentlich Leiden&#x017F;chaft nen-<lb/>
nen, i&#x017F;t eine &#x017F;innliche Begierde, die vom Ko&#x0364;rper<lb/>
herru&#x0364;hrt, die durch den Lauf der Sa&#x0364;fte und die<lb/>
Bewegung der Lebensgei&#x017F;ter unter&#x017F;tu&#x0364;zt wird. Ver-<lb/>
nunft i&#x017F;t der Gei&#x017F;t, in&#x017F;ofern er aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und<lb/>
abgezogen vom Ko&#x0364;rper wirkt und handelt. So-<lb/>
bald al&#x017F;o nur der Men&#x017F;ch &#x017F;elb&#x017F;t tha&#x0364;tig i&#x017F;t, und &#x017F;o<lb/>
weit er es i&#x017F;t, da und &#x017F;o weit wirkt &#x017F;eine Vernunft.<lb/>
Aber jeder Streit der Leiden&#x017F;chaften macht den<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;elb&#x017F;t tha&#x0364;tig; al&#x017F;o erweckt jeder Streit<lb/>
der Leiden&#x017F;chaft die Vernunft.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0353] uͤber das Intereſſirende. ben, wo ein alberner Menſch durch ſeine Verle- genheit die Zuſchauer erluſtiget. Bey einem ed- len und großen Charakter hingegen, und wenn die Vorfaͤlle wichtig ſind, und die Wahl einen groſ- ſen Ausſchlag giebt: dann wird dieſe Unruhe ruͤh- rend. Wir koͤnnten hier den Streit zwiſchen Leiden- ſchaft und Vernunft, als eine beſondre Gattung hinzufuͤgen, wenn er ſich nicht auf gewiſſe Weiſe uͤber alle die vorigen Arten erſtreckte. Naͤmlich, was wir eigentlich Leidenſchaft nen- nen, iſt eine ſinnliche Begierde, die vom Koͤrper herruͤhrt, die durch den Lauf der Saͤfte und die Bewegung der Lebensgeiſter unterſtuͤzt wird. Ver- nunft iſt der Geiſt, inſofern er aus ſich ſelbſt und abgezogen vom Koͤrper wirkt und handelt. So- bald alſo nur der Menſch ſelbſt thaͤtig iſt, und ſo weit er es iſt, da und ſo weit wirkt ſeine Vernunft. Aber jeder Streit der Leidenſchaften macht den Menſchen ſelbſt thaͤtig; alſo erweckt jeder Streit der Leidenſchaft die Vernunft.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/353
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/353>, abgerufen am 08.05.2024.