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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

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Um noch mehrerer Gewißheit willen, und zugleich zu Vervollkommnung der Geographie von Frankreich ward dem Sohne des vorigen, Jacob Cassini nebst Maraldi und de la Hire im Jahre 1718 aufgetragen, die pariser Mittagslinie auch nordwärts, und durch das ganze Königreich zu verlängern. Sie fanden für beyde Bogen, wovon der südliche bis Collioure, der nördliche bis Dünkirchen gieng, folgende Resultate

BogenLänge in ToisenGrös. d Grad.
südlicher Bogen18'57"360614-57097
nördlicher -2129 1/2125454-56960
(s. Jaques Cassini Tr. de la figure et de la grandeur de la terre, in der Suite des Mem. de l'Acad. des Sc. ann. 1718. auch besonders gedruckt, Amst. 1723. 8. Jacob Cassini von der Figur und Größe der Erde, herausg. von Klimm. Leipz. 1741. 8.) Weil nun auch hier der nördliche Grad kleiner, als der südliche, angegeben ward, so bestritten von dieser Zeit an die französischen Akademisten Newtons Muthmaßung, nahmen die Erde für ein längliches Sphäroid an, und behaupteten, man müsse der Erfahrung und Messung mehr, als theoretischen Vermuthungen glauben, welche sich auf unerwiesene Voraussetzungen gründeten. Dagegen vertheidigten die Engländer, z. B. Gregory, Keill, Maclaurin, Stirling auch Hermann und Kraft die newtonische Meynung, hielten die französischen Messungen für unzuverläßig, und behaupteten mit Recht, die gemessenen Bogen lägen einander zu nahe, und auf einem allzukleinen Theile der Erdfläche beysammen, als daß man daraus sicher auf die Gestalt des ganzen Umfangs schließen könnte.

Um diesen Streit völlig zu entscheiden, bedurfte es einer Ausmessung zweyer äußersten Grade, die so nahe als möglich, der eine am Pole, der andere am Aequator, lägen. Denn hiebey mußte der Unterschied beyder so groß ausfallen, daß kein Zweifel darüber, welcher der größere sey, zurückbleiben konnte.

In dieser Absicht beschloß der französische Hof im Jahre 1735 eine der glänzendsten und für die Naturwissenschaften


Um noch mehrerer Gewißheit willen, und zugleich zu Vervollkommnung der Geographie von Frankreich ward dem Sohne des vorigen, Jacob Caſſini nebſt Maraldi und de la Hire im Jahre 1718 aufgetragen, die pariſer Mittagslinie auch nordwaͤrts, und durch das ganze Koͤnigreich zu verlaͤngern. Sie fanden fuͤr beyde Bogen, wovon der ſuͤdliche bis Collioure, der noͤrdliche bis Duͤnkirchen gieng, folgende Reſultate

BogenLaͤnge in ToiſenGroͤſ. d Grad.
ſuͤdlicher Bogen18′57″360614-57097
noͤrdlicher -2129 1/2125454-56960
(ſ. Jaques Caſſini Tr. de la figure et de la grandeur de la terre, in der Suite des Mém. de l'Acad. des Sc. ann. 1718. auch beſonders gedruckt, Amſt. 1723. 8. Jacob Caſſini von der Figur und Groͤße der Erde, herausg. von Klimm. Leipz. 1741. 8.) Weil nun auch hier der noͤrdliche Grad kleiner, als der ſuͤdliche, angegeben ward, ſo beſtritten von dieſer Zeit an die franzoͤſiſchen Akademiſten Newtons Muthmaßung, nahmen die Erde fuͤr ein laͤngliches Sphaͤroid an, und behaupteten, man muͤſſe der Erfahrung und Meſſung mehr, als theoretiſchen Vermuthungen glauben, welche ſich auf unerwieſene Vorausſetzungen gruͤndeten. Dagegen vertheidigten die Englaͤnder, z. B. Gregory, Keill, Maclaurin, Stirling auch Hermann und Kraft die newtoniſche Meynung, hielten die franzoͤſiſchen Meſſungen fuͤr unzuverlaͤßig, und behaupteten mit Recht, die gemeſſenen Bogen laͤgen einander zu nahe, und auf einem allzukleinen Theile der Erdflaͤche beyſammen, als daß man daraus ſicher auf die Geſtalt des ganzen Umfangs ſchließen koͤnnte.

Um dieſen Streit voͤllig zu entſcheiden, bedurfte es einer Ausmeſſung zweyer aͤußerſten Grade, die ſo nahe als moͤglich, der eine am Pole, der andere am Aequator, laͤgen. Denn hiebey mußte der Unterſchied beyder ſo groß ausfallen, daß kein Zweifel daruͤber, welcher der groͤßere ſey, zuruͤckbleiben konnte.

In dieſer Abſicht beſchloß der franzoͤſiſche Hof im Jahre 1735 eine der glaͤnzendſten und fuͤr die Naturwiſſenſchaften

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[30/0036] Um noch mehrerer Gewißheit willen, und zugleich zu Vervollkommnung der Geographie von Frankreich ward dem Sohne des vorigen, Jacob Caſſini nebſt Maraldi und de la Hire im Jahre 1718 aufgetragen, die pariſer Mittagslinie auch nordwaͤrts, und durch das ganze Koͤnigreich zu verlaͤngern. Sie fanden fuͤr beyde Bogen, wovon der ſuͤdliche bis Collioure, der noͤrdliche bis Duͤnkirchen gieng, folgende Reſultate Bogen Laͤnge in Toiſen Groͤſ. d Grad. ſuͤdlicher Bogen 6° 18′ 57″ 360614 - 57097 noͤrdlicher - 2 12 9 1/2 125454 - 56960 (ſ. Jaques Caſſini Tr. de la figure et de la grandeur de la terre, in der Suite des Mém. de l'Acad. des Sc. ann. 1718. auch beſonders gedruckt, Amſt. 1723. 8. Jacob Caſſini von der Figur und Groͤße der Erde, herausg. von Klimm. Leipz. 1741. 8.) Weil nun auch hier der noͤrdliche Grad kleiner, als der ſuͤdliche, angegeben ward, ſo beſtritten von dieſer Zeit an die franzoͤſiſchen Akademiſten Newtons Muthmaßung, nahmen die Erde fuͤr ein laͤngliches Sphaͤroid an, und behaupteten, man muͤſſe der Erfahrung und Meſſung mehr, als theoretiſchen Vermuthungen glauben, welche ſich auf unerwieſene Vorausſetzungen gruͤndeten. Dagegen vertheidigten die Englaͤnder, z. B. Gregory, Keill, Maclaurin, Stirling auch Hermann und Kraft die newtoniſche Meynung, hielten die franzoͤſiſchen Meſſungen fuͤr unzuverlaͤßig, und behaupteten mit Recht, die gemeſſenen Bogen laͤgen einander zu nahe, und auf einem allzukleinen Theile der Erdflaͤche beyſammen, als daß man daraus ſicher auf die Geſtalt des ganzen Umfangs ſchließen koͤnnte. Um dieſen Streit voͤllig zu entſcheiden, bedurfte es einer Ausmeſſung zweyer aͤußerſten Grade, die ſo nahe als moͤglich, der eine am Pole, der andere am Aequator, laͤgen. Denn hiebey mußte der Unterſchied beyder ſo groß ausfallen, daß kein Zweifel daruͤber, welcher der groͤßere ſey, zuruͤckbleiben konnte. In dieſer Abſicht beſchloß der franzoͤſiſche Hof im Jahre 1735 eine der glaͤnzendſten und fuͤr die Naturwiſſenſchaften

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/36>, abgerufen am 26.04.2024.