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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

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aber diese zerlegten und im Körper ungetrennten Theile durch natürliche Kräfte getrennt werden können, ist ungewiß. Wüßten wir nur aus einem einzigen Beyspiele, daß ein solcher Atom beym Zerbrechen eines harten Körpers mit zertheilt worden wäre, so würden wir nach der obigen Regel schließen, daß man nicht blos die gröbern Theile trennen, sondern auch die letzten bis ins Unendliche theilen könne.

Wenn endlich Versuche und astronomische Beobachtungen allgemein bestätigen, daß alle Körper auf der Erdfläche gegen die Erde, jeder nach der Menge seiner Materie, schwer sind, daß der Mond gegen die Erde, gleichfalls nach der Menge seiner Materie, daß unser Meer hinwiederum gegen den Mond und alle Planeten gegen einander schwer sind, und daß die Kometen eine ähnliche Schwere gegen die Sonne haben; so wird man dieser Regel zufoige sagen müssen, daß alle Körper gegen einander gravitiren. Der Schluß aus den Phänomenen von der allgemeinen Schwere wird sogar noch stärker seyn, als der Schluß auf die Undurchdringlichkeit der Körper, von der wir bey den Himmelskörpern weder Versuche noch Beobachtungen haben. Dennoch behaupte ich nicht, daß die Schwere den Körpern wesentlich sey. Zum Wesen der Körper rechne ich von Kräften nichts, als die Trägheit. Diese ist unveränderlich. Die Schwere nimmt ab, bey größerer Entfernung von der Erde.

4) In der Erperimentalnaturlehre müssen die aus Induction geschloßnen Sätze, wenn ihnen auch Hypothesen entgegenstünden, dennoch so lange für genau oder doch beynahe wahr gehalten werden, bis sie durch andere Phänomene genauer berichtiget, oder gewissen Ausnahmen unterworfen werden. Sonst würde der Schluß aus Induction durch bloße Hypothesen aufgehoben."

Der Physiker verfährt analytisch, wenn er aus gesammelten zweckmäßigen Phänomenen das, was sie gemein haben, absondert, um daraus Naturgesetze herzuleiten, oder zur Kenntniß der Ursachen zu gelangen; synthetisch,


aber dieſe zerlegten und im Koͤrper ungetrennten Theile durch natuͤrliche Kraͤfte getrennt werden koͤnnen, iſt ungewiß. Wuͤßten wir nur aus einem einzigen Beyſpiele, daß ein ſolcher Atom beym Zerbrechen eines harten Koͤrpers mit zertheilt worden waͤre, ſo wuͤrden wir nach der obigen Regel ſchließen, daß man nicht blos die groͤbern Theile trennen, ſondern auch die letzten bis ins Unendliche theilen koͤnne.

Wenn endlich Verſuche und aſtronomiſche Beobachtungen allgemein beſtaͤtigen, daß alle Koͤrper auf der Erdflaͤche gegen die Erde, jeder nach der Menge ſeiner Materie, ſchwer ſind, daß der Mond gegen die Erde, gleichfalls nach der Menge ſeiner Materie, daß unſer Meer hinwiederum gegen den Mond und alle Planeten gegen einander ſchwer ſind, und daß die Kometen eine aͤhnliche Schwere gegen die Sonne haben; ſo wird man dieſer Regel zufoige ſagen muͤſſen, daß alle Koͤrper gegen einander gravitiren. Der Schluß aus den Phaͤnomenen von der allgemeinen Schwere wird ſogar noch ſtaͤrker ſeyn, als der Schluß auf die Undurchdringlichkeit der Koͤrper, von der wir bey den Himmelskoͤrpern weder Verſuche noch Beobachtungen haben. Dennoch behaupte ich nicht, daß die Schwere den Koͤrpern weſentlich ſey. Zum Weſen der Koͤrper rechne ich von Kraͤften nichts, als die Traͤgheit. Dieſe iſt unveraͤnderlich. Die Schwere nimmt ab, bey groͤßerer Entfernung von der Erde.

4) In der Erperimentalnaturlehre muͤſſen die aus Induction geſchloßnen Saͤtze, wenn ihnen auch Hypotheſen entgegenſtuͤnden, dennoch ſo lange fuͤr genau oder doch beynahe wahr gehalten werden, bis ſie durch andere Phaͤnomene genauer berichtiget, oder gewiſſen Ausnahmen unterworfen werden. Sonſt wuͤrde der Schluß aus Induction durch bloße Hypotheſen aufgehoben.“

Der Phyſiker verfaͤhrt analytiſch, wenn er aus geſammelten zweckmaͤßigen Phaͤnomenen das, was ſie gemein haben, abſondert, um daraus Naturgeſetze herzuleiten, oder zur Kenntniß der Urſachen zu gelangen; ſynthetiſch,

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[459/0465] aber dieſe zerlegten und im Koͤrper ungetrennten Theile durch natuͤrliche Kraͤfte getrennt werden koͤnnen, iſt ungewiß. Wuͤßten wir nur aus einem einzigen Beyſpiele, daß ein ſolcher Atom beym Zerbrechen eines harten Koͤrpers mit zertheilt worden waͤre, ſo wuͤrden wir nach der obigen Regel ſchließen, daß man nicht blos die groͤbern Theile trennen, ſondern auch die letzten bis ins Unendliche theilen koͤnne. Wenn endlich Verſuche und aſtronomiſche Beobachtungen allgemein beſtaͤtigen, daß alle Koͤrper auf der Erdflaͤche gegen die Erde, jeder nach der Menge ſeiner Materie, ſchwer ſind, daß der Mond gegen die Erde, gleichfalls nach der Menge ſeiner Materie, daß unſer Meer hinwiederum gegen den Mond und alle Planeten gegen einander ſchwer ſind, und daß die Kometen eine aͤhnliche Schwere gegen die Sonne haben; ſo wird man dieſer Regel zufoige ſagen muͤſſen, daß alle Koͤrper gegen einander gravitiren. Der Schluß aus den Phaͤnomenen von der allgemeinen Schwere wird ſogar noch ſtaͤrker ſeyn, als der Schluß auf die Undurchdringlichkeit der Koͤrper, von der wir bey den Himmelskoͤrpern weder Verſuche noch Beobachtungen haben. Dennoch behaupte ich nicht, daß die Schwere den Koͤrpern weſentlich ſey. Zum Weſen der Koͤrper rechne ich von Kraͤften nichts, als die Traͤgheit. Dieſe iſt unveraͤnderlich. Die Schwere nimmt ab, bey groͤßerer Entfernung von der Erde. 4) In der Erperimentalnaturlehre muͤſſen die aus Induction geſchloßnen Saͤtze, wenn ihnen auch Hypotheſen entgegenſtuͤnden, dennoch ſo lange fuͤr genau oder doch beynahe wahr gehalten werden, bis ſie durch andere Phaͤnomene genauer berichtiget, oder gewiſſen Ausnahmen unterworfen werden. Sonſt wuͤrde der Schluß aus Induction durch bloße Hypotheſen aufgehoben.“ Der Phyſiker verfaͤhrt analytiſch, wenn er aus geſammelten zweckmaͤßigen Phaͤnomenen das, was ſie gemein haben, abſondert, um daraus Naturgeſetze herzuleiten, oder zur Kenntniß der Urſachen zu gelangen; ſynthetiſch,

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/465>, abgerufen am 20.05.2024.