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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

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welche Ursachen der Feuchtigkeit und Trockenheit, als zweyter Qualitäten, seyn sollten. Das Licht hieß eine Qualität der Körper, und man stritt, ob es zu den substantiellen oder accidentellen Eigenschaften gehöre. Eine gewisse Classe solcher Kräfte, von denen sich weiter keine Ursache angeben ließ, sührte den Namen der verborgenen Eigenschaften (qualitates occultae). Die Abneigung der Natur gegen die Leere (vis attractiva ex metu vacui), und die plastische Kraft, aus welcher man die Entstehung der Formen organisirter Körper erklärte, sind Beyspiele hievon. Zwar hatten schon die griechischen Weltweisen solche seelenartige Kräfte ([fremdsprachliches Material], welches Cicero durch qualitates übersetzt) nicht als Beschaffenheiten der Körper, sondern als Ausflüsse des Welrgeistes in den Theilen der Körper angenommen, s. Materie. Die Scholastiker aber bildeten daraus eine Physik, welche die tiefste Unwissenheit unter leeren Worten verbarg, dennoch aber den Eigendünkel nährte, von der Erfahrung abzog und in unabsehliche logische und metaphysische Streitigkeiten verwickelte.

In diesen traurigen Zustand war die Naturlehre blos durch den Fehlschluß versunken, daß alle Erscheinungen der Körper etwas eignes in denselben vorhandenes voraussetzten, das mit den Erscheinungen völlig homogen sey. Man sahe das Wasser in die leeren Räume der Spritzen und Pumpen dringen, und schloß, es sey eine eigne Kraft in demselben, leere Käume auszufüllen. Man legte diese Kraft der ganzen Natur bey, weil man fand, daß auch andere Körper gegen leere Räume getrieben wurden. Man hielt die Farbe, die man am Körper sahe, für eine eigne mit der Farbe ganz übereinstimmende Beschaffenheit des Körpers oder der Oberfläche selbst u. s. w. Die Erperimentaluntersuchung zerstörte endlich dieses scholastische Gebäude, und bewieß, wie übereilt es sey, vom Scheine auf gleichartige Wirklichkeit zu schließen.

Unter diesen verborgnen Eigenschaften der Scholastiker hatte sich auch eine sogenannte anziehen de Kraft befunden, die von Descartes mit den übrigen verborgnen Qualitäten aus der Physik verbannt worden war. Als nun


welche Urſachen der Feuchtigkeit und Trockenheit, als zweyter Qualitaͤten, ſeyn ſollten. Das Licht hieß eine Qualitaͤt der Koͤrper, und man ſtritt, ob es zu den ſubſtantiellen oder accidentellen Eigenſchaften gehoͤre. Eine gewiſſe Claſſe ſolcher Kraͤfte, von denen ſich weiter keine Urſache angeben ließ, ſuͤhrte den Namen der verborgenen Eigenſchaften (qualitates occultae). Die Abneigung der Natur gegen die Leere (vis attractiva ex metu vacui), und die plaſtiſche Kraft, aus welcher man die Entſtehung der Formen organiſirter Koͤrper erklaͤrte, ſind Beyſpiele hievon. Zwar hatten ſchon die griechiſchen Weltweiſen ſolche ſeelenartige Kraͤfte ([fremdsprachliches Material], welches Cicero durch qualitates uͤberſetzt) nicht als Beſchaffenheiten der Koͤrper, ſondern als Ausfluͤſſe des Welrgeiſtes in den Theilen der Koͤrper angenommen, ſ. Materie. Die Scholaſtiker aber bildeten daraus eine Phyſik, welche die tiefſte Unwiſſenheit unter leeren Worten verbarg, dennoch aber den Eigenduͤnkel naͤhrte, von der Erfahrung abzog und in unabſehliche logiſche und metaphyſiſche Streitigkeiten verwickelte.

In dieſen traurigen Zuſtand war die Naturlehre blos durch den Fehlſchluß verſunken, daß alle Erſcheinungen der Koͤrper etwas eignes in denſelben vorhandenes vorausſetzten, das mit den Erſcheinungen voͤllig homogen ſey. Man ſahe das Waſſer in die leeren Raͤume der Spritzen und Pumpen dringen, und ſchloß, es ſey eine eigne Kraft in demſelben, leere Kaͤume auszufuͤllen. Man legte dieſe Kraft der ganzen Natur bey, weil man fand, daß auch andere Koͤrper gegen leere Raͤume getrieben wurden. Man hielt die Farbe, die man am Koͤrper ſahe, fuͤr eine eigne mit der Farbe ganz uͤbereinſtimmende Beſchaffenheit des Koͤrpers oder der Oberflaͤche ſelbſt u. ſ. w. Die Erperimentalunterſuchung zerſtoͤrte endlich dieſes ſcholaſtiſche Gebaͤude, und bewieß, wie uͤbereilt es ſey, vom Scheine auf gleichartige Wirklichkeit zu ſchließen.

Unter dieſen verborgnen Eigenſchaften der Scholaſtiker hatte ſich auch eine ſogenannte anziehen de Kraft befunden, die von Descartes mit den uͤbrigen verborgnen Qualitaͤten aus der Phyſik verbannt worden war. Als nun

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[593/0599] welche Urſachen der Feuchtigkeit und Trockenheit, als zweyter Qualitaͤten, ſeyn ſollten. Das Licht hieß eine Qualitaͤt der Koͤrper, und man ſtritt, ob es zu den ſubſtantiellen oder accidentellen Eigenſchaften gehoͤre. Eine gewiſſe Claſſe ſolcher Kraͤfte, von denen ſich weiter keine Urſache angeben ließ, ſuͤhrte den Namen der verborgenen Eigenſchaften (qualitates occultae). Die Abneigung der Natur gegen die Leere (vis attractiva ex metu vacui), und die plaſtiſche Kraft, aus welcher man die Entſtehung der Formen organiſirter Koͤrper erklaͤrte, ſind Beyſpiele hievon. Zwar hatten ſchon die griechiſchen Weltweiſen ſolche ſeelenartige Kraͤfte (_ , welches Cicero durch qualitates uͤberſetzt) nicht als Beſchaffenheiten der Koͤrper, ſondern als Ausfluͤſſe des Welrgeiſtes in den Theilen der Koͤrper angenommen, ſ. Materie. Die Scholaſtiker aber bildeten daraus eine Phyſik, welche die tiefſte Unwiſſenheit unter leeren Worten verbarg, dennoch aber den Eigenduͤnkel naͤhrte, von der Erfahrung abzog und in unabſehliche logiſche und metaphyſiſche Streitigkeiten verwickelte. In dieſen traurigen Zuſtand war die Naturlehre blos durch den Fehlſchluß verſunken, daß alle Erſcheinungen der Koͤrper etwas eignes in denſelben vorhandenes vorausſetzten, das mit den Erſcheinungen voͤllig homogen ſey. Man ſahe das Waſſer in die leeren Raͤume der Spritzen und Pumpen dringen, und ſchloß, es ſey eine eigne Kraft in demſelben, leere Kaͤume auszufuͤllen. Man legte dieſe Kraft der ganzen Natur bey, weil man fand, daß auch andere Koͤrper gegen leere Raͤume getrieben wurden. Man hielt die Farbe, die man am Koͤrper ſahe, fuͤr eine eigne mit der Farbe ganz uͤbereinſtimmende Beſchaffenheit des Koͤrpers oder der Oberflaͤche ſelbſt u. ſ. w. Die Erperimentalunterſuchung zerſtoͤrte endlich dieſes ſcholaſtiſche Gebaͤude, und bewieß, wie uͤbereilt es ſey, vom Scheine auf gleichartige Wirklichkeit zu ſchließen. Unter dieſen verborgnen Eigenſchaften der Scholaſtiker hatte ſich auch eine ſogenannte anziehen de Kraft befunden, die von Descartes mit den uͤbrigen verborgnen Qualitaͤten aus der Phyſik verbannt worden war. Als nun

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/599>, abgerufen am 20.05.2024.