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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G**


Dieses sind die beiden Briefe, die mein
Gemahl in seiner Gefangenschaft an mich ge-
schrieben. Er hat von dem Abgange des letz-
ten Briefs an, ungefehr noch anderthalb
Jahre in Siberien zugebracht. Jch will das
übrige so erzählen, wie er mirs mündlich er-
zählet hat.

Einige Wochen nach des Juden Abreise
sprach er, ward ich zum Gouverneur geholt.
Jch übergab ihm mit vieler Demuth den Riß,
den er mir zu machen befohlen hatte. Er war
ziemlich wohl damit zufrieden; allein er war
doch der Gouverneur und ich sein Gefangner.
Kurz, er schämte sich, mir eine Art der Hoch-
achtung äusserlich sehn zu lassen, die er mir
vielleicht im Herzen nicht ganz abschlagen konn-
te. Er fragte mich, ob mir der Jude so und
so viel Geld zurückgelassen hätte und ich beant-
wortete es mit Ja. Darauf befahl er, daß
der Gefangene hereintreten sollte; dieses war
mein lieber Steeley, den ich fast seit vier Jah-
ren nicht gesehen hatte. Jch vergaß vor Freu-
den, daß ich vor dem Gouverneur stund, und
lief auf Steeleyn mit offnen Armen zu. Er
soll euer Gesellschaffter seyn, fieng der Gou-
verneuer an; allein wie lange, das kann ich

euch
Graͤfinn von G**


Dieſes ſind die beiden Briefe, die mein
Gemahl in ſeiner Gefangenſchaft an mich ge-
ſchrieben. Er hat von dem Abgange des letz-
ten Briefs an, ungefehr noch anderthalb
Jahre in Siberien zugebracht. Jch will das
uͤbrige ſo erzaͤhlen, wie er mirs muͤndlich er-
zaͤhlet hat.

Einige Wochen nach des Juden Abreiſe
ſprach er, ward ich zum Gouverneur geholt.
Jch uͤbergab ihm mit vieler Demuth den Riß,
den er mir zu machen befohlen hatte. Er war
ziemlich wohl damit zufrieden; allein er war
doch der Gouverneur und ich ſein Gefangner.
Kurz, er ſchaͤmte ſich, mir eine Art der Hoch-
achtung aͤuſſerlich ſehn zu laſſen, die er mir
vielleicht im Herzen nicht ganz abſchlagen konn-
te. Er fragte mich, ob mir der Jude ſo und
ſo viel Geld zuruͤckgelaſſen haͤtte und ich beant-
wortete es mit Ja. Darauf befahl er, daß
der Gefangene hereintreten ſollte; dieſes war
mein lieber Steeley, den ich faſt ſeit vier Jah-
ren nicht geſehen hatte. Jch vergaß vor Freu-
den, daß ich vor dem Gouverneur ſtund, und
lief auf Steeleyn mit offnen Armen zu. Er
ſoll euer Geſellſchaffter ſeyn, fieng der Gou-
verneuer an; allein wie lange, das kann ich

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[47/0047] Graͤfinn von G** Dieſes ſind die beiden Briefe, die mein Gemahl in ſeiner Gefangenſchaft an mich ge- ſchrieben. Er hat von dem Abgange des letz- ten Briefs an, ungefehr noch anderthalb Jahre in Siberien zugebracht. Jch will das uͤbrige ſo erzaͤhlen, wie er mirs muͤndlich er- zaͤhlet hat. Einige Wochen nach des Juden Abreiſe ſprach er, ward ich zum Gouverneur geholt. Jch uͤbergab ihm mit vieler Demuth den Riß, den er mir zu machen befohlen hatte. Er war ziemlich wohl damit zufrieden; allein er war doch der Gouverneur und ich ſein Gefangner. Kurz, er ſchaͤmte ſich, mir eine Art der Hoch- achtung aͤuſſerlich ſehn zu laſſen, die er mir vielleicht im Herzen nicht ganz abſchlagen konn- te. Er fragte mich, ob mir der Jude ſo und ſo viel Geld zuruͤckgelaſſen haͤtte und ich beant- wortete es mit Ja. Darauf befahl er, daß der Gefangene hereintreten ſollte; dieſes war mein lieber Steeley, den ich faſt ſeit vier Jah- ren nicht geſehen hatte. Jch vergaß vor Freu- den, daß ich vor dem Gouverneur ſtund, und lief auf Steeleyn mit offnen Armen zu. Er ſoll euer Geſellſchaffter ſeyn, fieng der Gou- verneuer an; allein wie lange, das kann ich euch

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/47>, abgerufen am 13.10.2024.