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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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Zweiter Abschnitt.
nung wenigstens eines3 verantwortlichen Ministers gültig
erlassen werden kann.

Unter den Beweggründen, welche den Monarchen
bestimmen können, die Minister vorübergehend zu einer
mehr als gewöhnlichen Selbständigkeit in der Erledigung
der obersten Regierungsgeschäfte zu ermächtigen, nimmt
eine hervorragende Stelle die Verhinderung eigenen per-
sönlichen Handelns in Fällen der Abwesenheit oder
Krankheit ein. Wirken aber diese Verhinderungsgründe
so stark, dass der Monarch auch diejenigen Handlungen,
welche er sich vorzugsweise zu persönlicher Ausführung
vorbehielt, fremder Erledigung überlassen muss, so
mag er wohl für die Zeit seiner Verhinderung einen
Stellvertreter durch öffentliche Erklärung bestellen,4

neuer Minister versagte, leicht in die Unmöglichkeit versetzt wer-
den könnte, Minister zu berufen. Dass der Monarch als oberster
Befehlshaber des Kriegsheers und in Ausübung seiner protestanti-
schen Episcopalrechte die Contrasignatur nicht bedarf, ist nicht
als eine Ausnahme obigen Grundsatzes zu betrachten. Offenbar
aber ist es eine Uebertreibung, wenn man diesen Satz häufig so
auffasst, dass dadurch der Monarch auch bei jeder persönlichen
Kundgebung, welche nicht ein Regierungsact ist, z. B. einer An-
sprache an die Stände, an die Mitwirkung der Minister gebunden
sei. Deutsches Verfassungsrecht ist diess sicher nicht.
3 Dass der contrasignirende Minister derjenige sei, in dessen
Geschäftskreis die fragliche Verfügung fällt, ist zwar natürlich und
der Ordnung entsprechend; aber dem rechtlichen Erfordernisse
der Contrasignatur würde doch schon durch die Gegenzeichnung
irgend eines Ministers genügt sein, wenn nicht die Verfassung
ausdrücklich etwas Anderes vorschreibt. Das Letztere ist z. B.
der Fall in dem Bayerischen Gesetze vom 4. Juni 1848 §. 4., dem
Hannoverischen Gesetze vom 5. September 1848 §. 102. und in ge-
wisser Beziehung auch der Sächsischen Verfassungsurkunde §. 43.
4 Eine verständige Besprechung dieses Gegenstandes giebt
Mittnacht in der deutschen Vierteljahrsschrift von 1864, 2. Heft

Zweiter Abschnitt.
nung wenigstens eines3 verantwortlichen Ministers gültig
erlassen werden kann.

Unter den Beweggründen, welche den Monarchen
bestimmen können, die Minister vorübergehend zu einer
mehr als gewöhnlichen Selbständigkeit in der Erledigung
der obersten Regierungsgeschäfte zu ermächtigen, nimmt
eine hervorragende Stelle die Verhinderung eigenen per-
sönlichen Handelns in Fällen der Abwesenheit oder
Krankheit ein. Wirken aber diese Verhinderungsgründe
so stark, dass der Monarch auch diejenigen Handlungen,
welche er sich vorzugsweise zu persönlicher Ausführung
vorbehielt, fremder Erledigung überlassen muss, so
mag er wohl für die Zeit seiner Verhinderung einen
Stellvertreter durch öffentliche Erklärung bestellen,4

neuer Minister versagte, leicht in die Unmöglichkeit versetzt wer-
den könnte, Minister zu berufen. Dass der Monarch als oberster
Befehlshaber des Kriegsheers und in Ausübung seiner protestanti-
schen Episcopalrechte die Contrasignatur nicht bedarf, ist nicht
als eine Ausnahme obigen Grundsatzes zu betrachten. Offenbar
aber ist es eine Uebertreibung, wenn man diesen Satz häufig so
auffasst, dass dadurch der Monarch auch bei jeder persönlichen
Kundgebung, welche nicht ein Regierungsact ist, z. B. einer An-
sprache an die Stände, an die Mitwirkung der Minister gebunden
sei. Deutsches Verfassungsrecht ist diess sicher nicht.
3 Dass der contrasignirende Minister derjenige sei, in dessen
Geschäftskreis die fragliche Verfügung fällt, ist zwar natürlich und
der Ordnung entsprechend; aber dem rechtlichen Erfordernisse
der Contrasignatur würde doch schon durch die Gegenzeichnung
irgend eines Ministers genügt sein, wenn nicht die Verfassung
ausdrücklich etwas Anderes vorschreibt. Das Letztere ist z. B.
der Fall in dem Bayerischen Gesetze vom 4. Juni 1848 §. 4., dem
Hannoverischen Gesetze vom 5. September 1848 §. 102. und in ge-
wisser Beziehung auch der Sächsischen Verfassungsurkunde §. 43.
4 Eine verständige Besprechung dieses Gegenstandes giebt
Mittnacht in der deutschen Vierteljahrsschrift von 1864, 2. Heft
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[96/0114] Zweiter Abschnitt. nung wenigstens eines 3 verantwortlichen Ministers gültig erlassen werden kann. Unter den Beweggründen, welche den Monarchen bestimmen können, die Minister vorübergehend zu einer mehr als gewöhnlichen Selbständigkeit in der Erledigung der obersten Regierungsgeschäfte zu ermächtigen, nimmt eine hervorragende Stelle die Verhinderung eigenen per- sönlichen Handelns in Fällen der Abwesenheit oder Krankheit ein. Wirken aber diese Verhinderungsgründe so stark, dass der Monarch auch diejenigen Handlungen, welche er sich vorzugsweise zu persönlicher Ausführung vorbehielt, fremder Erledigung überlassen muss, so mag er wohl für die Zeit seiner Verhinderung einen Stellvertreter durch öffentliche Erklärung bestellen, 4 2 3 Dass der contrasignirende Minister derjenige sei, in dessen Geschäftskreis die fragliche Verfügung fällt, ist zwar natürlich und der Ordnung entsprechend; aber dem rechtlichen Erfordernisse der Contrasignatur würde doch schon durch die Gegenzeichnung irgend eines Ministers genügt sein, wenn nicht die Verfassung ausdrücklich etwas Anderes vorschreibt. Das Letztere ist z. B. der Fall in dem Bayerischen Gesetze vom 4. Juni 1848 §. 4., dem Hannoverischen Gesetze vom 5. September 1848 §. 102. und in ge- wisser Beziehung auch der Sächsischen Verfassungsurkunde §. 43. 4 Eine verständige Besprechung dieses Gegenstandes giebt Mittnacht in der deutschen Vierteljahrsschrift von 1864, 2. Heft 2 neuer Minister versagte, leicht in die Unmöglichkeit versetzt wer- den könnte, Minister zu berufen. Dass der Monarch als oberster Befehlshaber des Kriegsheers und in Ausübung seiner protestanti- schen Episcopalrechte die Contrasignatur nicht bedarf, ist nicht als eine Ausnahme obigen Grundsatzes zu betrachten. Offenbar aber ist es eine Uebertreibung, wenn man diesen Satz häufig so auffasst, dass dadurch der Monarch auch bei jeder persönlichen Kundgebung, welche nicht ein Regierungsact ist, z. B. einer An- sprache an die Stände, an die Mitwirkung der Minister gebunden sei. Deutsches Verfassungsrecht ist diess sicher nicht.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/114>, abgerufen am 14.05.2024.