Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Dritter Abschnitt.
gesetzlich revidirt werden -- Gewerbeordnungen, polizei-
liche Ordnungen der mannichfaltigsten Art, Militärge-
setze, Schulgesetze u. s. w.; nicht minder bedarf die Er-
haltung und Förderung der Rechtsordnung einer fort-
dauernden gesetzgeberischen Thätigkeit -- Justizgesetze
für alle Zweige des Rechts; endlich wird auch der für
eine bestimmte Finanzperiode geltende Plan des Staats-
haushalts
in der Form eines s. g. Finanzgesetzes fest-
gestellt. Es ist nun nicht zu verkennen, dass die Be-
deutung der Gesetzesform nicht bei allen diesen ver-
schiedenen Arten von Gesetzen gleich, dass vielmehr
die Kraft und Wirksamkeit derselben sehr wesentlich
von dem Einflusse ihres Inhalts bedingt ist. Den Ver-
fassungs- und Verwaltungsgesetzen gemeinsam ist es,
dass sie grösstentheils unmittelbare Regulatoren der
Staatsgewalt selbst sein wollen; aber während jene als
immerwährende und womöglich unangreifbare Normen
gedacht werden, unterliegen diese den wandelbaren
Ansprüchen wirthschaftlicher, socialer und politischer
Interessen. Eine eigenthümliche Stabilität kommt den
Justiz-, insbesondere den Privatrechtsgesetzen zu; denn
die Regulirung der Privatrechtsverhältnisse wird von der
Strömung der grossen Tagesinteressen nur wenig berührt
und kann, wenn sie einmal zweckmässig geschehen ist,
im Ganzen dem fortbildenden Einflusse der Jurisprudenz
und des Rechtslebens überlassen werden.2 Die geringste

2 Justiz-, insbesondere Privatrechtsgesetze stehen auf einem
politisch neutralen Boden. Während die Verfassungs- und Ver-
waltungsgesetze, welche sich auf die Bewegung eines concreten
Staatsorganismus beziehen, mit diesem stehen und fallen, sehen
wir die Justizgesetze oft nicht nur ihr Jahrhundert, sondern auch

Dritter Abschnitt.
gesetzlich revidirt werden — Gewerbeordnungen, polizei-
liche Ordnungen der mannichfaltigsten Art, Militärge-
setze, Schulgesetze u. s. w.; nicht minder bedarf die Er-
haltung und Förderung der Rechtsordnung einer fort-
dauernden gesetzgeberischen Thätigkeit — Justizgesetze
für alle Zweige des Rechts; endlich wird auch der für
eine bestimmte Finanzperiode geltende Plan des Staats-
haushalts
in der Form eines s. g. Finanzgesetzes fest-
gestellt. Es ist nun nicht zu verkennen, dass die Be-
deutung der Gesetzesform nicht bei allen diesen ver-
schiedenen Arten von Gesetzen gleich, dass vielmehr
die Kraft und Wirksamkeit derselben sehr wesentlich
von dem Einflusse ihres Inhalts bedingt ist. Den Ver-
fassungs- und Verwaltungsgesetzen gemeinsam ist es,
dass sie grösstentheils unmittelbare Regulatoren der
Staatsgewalt selbst sein wollen; aber während jene als
immerwährende und womöglich unangreifbare Normen
gedacht werden, unterliegen diese den wandelbaren
Ansprüchen wirthschaftlicher, socialer und politischer
Interessen. Eine eigenthümliche Stabilität kommt den
Justiz-, insbesondere den Privatrechtsgesetzen zu; denn
die Regulirung der Privatrechtsverhältnisse wird von der
Strömung der grossen Tagesinteressen nur wenig berührt
und kann, wenn sie einmal zweckmässig geschehen ist,
im Ganzen dem fortbildenden Einflusse der Jurisprudenz
und des Rechtslebens überlassen werden.2 Die geringste

2 Justiz-, insbesondere Privatrechtsgesetze stehen auf einem
politisch neutralen Boden. Während die Verfassungs- und Ver-
waltungsgesetze, welche sich auf die Bewegung eines concreten
Staatsorganismus beziehen, mit diesem stehen und fallen, sehen
wir die Justizgesetze oft nicht nur ihr Jahrhundert, sondern auch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0156" n="138"/><fw place="top" type="header">Dritter Abschnitt.</fw><lb/>
gesetzlich revidirt werden &#x2014; Gewerbeordnungen, polizei-<lb/>
liche Ordnungen der mannichfaltigsten Art, Militärge-<lb/>
setze, Schulgesetze u. s. w.; nicht minder bedarf die Er-<lb/>
haltung und Förderung der <hi rendition="#g">Rechtsordnung</hi> einer fort-<lb/>
dauernden gesetzgeberischen Thätigkeit &#x2014; Justizgesetze<lb/>
für alle Zweige des Rechts; endlich wird auch der für<lb/>
eine bestimmte Finanzperiode geltende Plan des <hi rendition="#g">Staats-<lb/>
haushalts</hi> in der Form eines s. g. Finanzgesetzes fest-<lb/>
gestellt. Es ist nun nicht zu verkennen, dass die Be-<lb/>
deutung der Gesetzesform nicht bei allen diesen ver-<lb/>
schiedenen Arten von Gesetzen gleich, dass vielmehr<lb/>
die Kraft und Wirksamkeit derselben sehr wesentlich<lb/>
von dem Einflusse ihres Inhalts bedingt ist. Den Ver-<lb/>
fassungs- und Verwaltungsgesetzen gemeinsam ist es,<lb/>
dass sie grösstentheils unmittelbare Regulatoren der<lb/>
Staatsgewalt selbst sein wollen; aber während jene als<lb/>
immerwährende und womöglich unangreifbare Normen<lb/>
gedacht werden, unterliegen diese den wandelbaren<lb/>
Ansprüchen wirthschaftlicher, socialer und politischer<lb/>
Interessen. Eine eigenthümliche Stabilität kommt den<lb/>
Justiz-, insbesondere den Privatrechtsgesetzen zu; denn<lb/>
die Regulirung der Privatrechtsverhältnisse wird von der<lb/>
Strömung der grossen Tagesinteressen nur wenig berührt<lb/>
und kann, wenn sie einmal zweckmässig geschehen ist,<lb/>
im Ganzen dem fortbildenden Einflusse der Jurisprudenz<lb/>
und des Rechtslebens überlassen werden.<note xml:id="note-0156" next="#note-0157" place="foot" n="2">Justiz-, insbesondere Privatrechtsgesetze stehen auf einem<lb/>
politisch neutralen Boden. Während die Verfassungs- und Ver-<lb/>
waltungsgesetze, welche sich auf die Bewegung eines concreten<lb/>
Staatsorganismus beziehen, mit diesem stehen und fallen, sehen<lb/>
wir die Justizgesetze oft nicht nur ihr Jahrhundert, sondern auch</note> Die geringste<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0156] Dritter Abschnitt. gesetzlich revidirt werden — Gewerbeordnungen, polizei- liche Ordnungen der mannichfaltigsten Art, Militärge- setze, Schulgesetze u. s. w.; nicht minder bedarf die Er- haltung und Förderung der Rechtsordnung einer fort- dauernden gesetzgeberischen Thätigkeit — Justizgesetze für alle Zweige des Rechts; endlich wird auch der für eine bestimmte Finanzperiode geltende Plan des Staats- haushalts in der Form eines s. g. Finanzgesetzes fest- gestellt. Es ist nun nicht zu verkennen, dass die Be- deutung der Gesetzesform nicht bei allen diesen ver- schiedenen Arten von Gesetzen gleich, dass vielmehr die Kraft und Wirksamkeit derselben sehr wesentlich von dem Einflusse ihres Inhalts bedingt ist. Den Ver- fassungs- und Verwaltungsgesetzen gemeinsam ist es, dass sie grösstentheils unmittelbare Regulatoren der Staatsgewalt selbst sein wollen; aber während jene als immerwährende und womöglich unangreifbare Normen gedacht werden, unterliegen diese den wandelbaren Ansprüchen wirthschaftlicher, socialer und politischer Interessen. Eine eigenthümliche Stabilität kommt den Justiz-, insbesondere den Privatrechtsgesetzen zu; denn die Regulirung der Privatrechtsverhältnisse wird von der Strömung der grossen Tagesinteressen nur wenig berührt und kann, wenn sie einmal zweckmässig geschehen ist, im Ganzen dem fortbildenden Einflusse der Jurisprudenz und des Rechtslebens überlassen werden. 2 Die geringste 2 Justiz-, insbesondere Privatrechtsgesetze stehen auf einem politisch neutralen Boden. Während die Verfassungs- und Ver- waltungsgesetze, welche sich auf die Bewegung eines concreten Staatsorganismus beziehen, mit diesem stehen und fallen, sehen wir die Justizgesetze oft nicht nur ihr Jahrhundert, sondern auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/156
Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/156>, abgerufen am 29.04.2024.