Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Dritter Abschnitt.
den Entwurf nicht völlig abgelehnt, so beginnt über die
Vorlage der Regierung und die hierzu von der früheren
Kammer beantragten Veränderungen die Berathung der
anderen Kammer; beide Kammern treten sodann in
Wechselverkehr, bis eine vollständige Einigung der-
selben und damit ein Beschluss der Stände erzielt ist.7
Dem Monarchen steht es jederzeit frei, den eingebrachten
Gesetzentwurf zurückzuziehen; er würde hieran selbst
durch die unveränderte Annahme desselben von Seiten
der Stände nicht gehindert sein.8 Erst wenn die stän-
dische Berathung und Beschlussfassung beendigt ist, hat
er sich frei darüber zu entschliessen, ob er den Entwurf
in seiner nunmehrigen Gestalt durch seine Sanction
zum Gesetze erheben will.9 Er thut diess, indem er

7 Manche Verfassungsurkunden haben ein besonderes Ver-
einigungsverfahren eingerichtet. -- Die Redaction der gefassten
Beschlüsse wird in den meisten Staaten der Regierung überlassen.
Siehe aber die Bemerkungen Mohl's, Staatsrecht, Völkerrecht,
Politik, Bd. 2. S. 563 flg.
8 Die entgegengesetzte Ansicht könnte nur von der völlig
unrichtigen Vorstellung ausgehen, als wenn die Vorlage eines
Gesetzentwurfs wie eine privatrechtliche Vertragsofferte des Mo-
narchen aufzufassen sei, welche durch Acceptation der Stände
zum fertigen Vertrage würde.
9 Für die Frage, bis zu welcher Zeit die Entschliessung des
Monarchen geschehen müsse, damit die ständische Zustimmung
noch als bestehend gelte, enthalten nur einzelne Gesetze eine
Vorschrift, z. B. verlangt das Bayerische Gesetz vom 25. Juli
1850 Art. 40., dass die Entscheidung des Königs spätestens beim
Schlusse der Ständeversammlung im Landtagsabschiede erfolge.
(Siehe auch Sächsische Verfassungsurkunde §. 113.) v. Rönne
a. a. O. S. 177 behauptet, dass die Sanction bis zum Zusammentritte
der nächsten Ständeversammlung geschehen müsse, und stützt sich
dafür auf die Discontinuität der Kammern. Dieser Grund ist
jedenfalls unrichtig, da aus dieser Discontinuität keineswegs folgt,

Dritter Abschnitt.
den Entwurf nicht völlig abgelehnt, so beginnt über die
Vorlage der Regierung und die hierzu von der früheren
Kammer beantragten Veränderungen die Berathung der
anderen Kammer; beide Kammern treten sodann in
Wechselverkehr, bis eine vollständige Einigung der-
selben und damit ein Beschluss der Stände erzielt ist.7
Dem Monarchen steht es jederzeit frei, den eingebrachten
Gesetzentwurf zurückzuziehen; er würde hieran selbst
durch die unveränderte Annahme desselben von Seiten
der Stände nicht gehindert sein.8 Erst wenn die stän-
dische Berathung und Beschlussfassung beendigt ist, hat
er sich frei darüber zu entschliessen, ob er den Entwurf
in seiner nunmehrigen Gestalt durch seine Sanction
zum Gesetze erheben will.9 Er thut diess, indem er

7 Manche Verfassungsurkunden haben ein besonderes Ver-
einigungsverfahren eingerichtet. — Die Redaction der gefassten
Beschlüsse wird in den meisten Staaten der Regierung überlassen.
Siehe aber die Bemerkungen Mohl’s, Staatsrecht, Völkerrecht,
Politik, Bd. 2. S. 563 flg.
8 Die entgegengesetzte Ansicht könnte nur von der völlig
unrichtigen Vorstellung ausgehen, als wenn die Vorlage eines
Gesetzentwurfs wie eine privatrechtliche Vertragsofferte des Mo-
narchen aufzufassen sei, welche durch Acceptation der Stände
zum fertigen Vertrage würde.
9 Für die Frage, bis zu welcher Zeit die Entschliessung des
Monarchen geschehen müsse, damit die ständische Zustimmung
noch als bestehend gelte, enthalten nur einzelne Gesetze eine
Vorschrift, z. B. verlangt das Bayerische Gesetz vom 25. Juli
1850 Art. 40., dass die Entscheidung des Königs spätestens beim
Schlusse der Ständeversammlung im Landtagsabschiede erfolge.
(Siehe auch Sächsische Verfassungsurkunde §. 113.) v. Rönne
a. a. O. S. 177 behauptet, dass die Sanction bis zum Zusammentritte
der nächsten Ständeversammlung geschehen müsse, und stützt sich
dafür auf die Discontinuität der Kammern. Dieser Grund ist
jedenfalls unrichtig, da aus dieser Discontinuität keineswegs folgt,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0160" n="142"/><fw place="top" type="header">Dritter Abschnitt.</fw><lb/>
den Entwurf nicht völlig abgelehnt, so beginnt über die<lb/>
Vorlage der Regierung und die hierzu von der früheren<lb/>
Kammer beantragten Veränderungen die Berathung der<lb/>
anderen Kammer; beide Kammern treten sodann in<lb/>
Wechselverkehr, bis eine vollständige Einigung der-<lb/>
selben und damit ein Beschluss der Stände erzielt ist.<note place="foot" n="7">Manche Verfassungsurkunden haben ein besonderes Ver-<lb/>
einigungsverfahren eingerichtet. &#x2014; Die Redaction der gefassten<lb/>
Beschlüsse wird in den meisten Staaten der Regierung überlassen.<lb/>
Siehe aber die Bemerkungen <hi rendition="#g">Mohl&#x2019;s</hi>, Staatsrecht, Völkerrecht,<lb/>
Politik, Bd. 2. S. 563 flg.</note><lb/>
Dem Monarchen steht es jederzeit frei, den eingebrachten<lb/>
Gesetzentwurf zurückzuziehen; er würde hieran selbst<lb/>
durch die unveränderte Annahme desselben von Seiten<lb/>
der Stände nicht gehindert sein.<note place="foot" n="8">Die entgegengesetzte Ansicht könnte nur von der völlig<lb/>
unrichtigen Vorstellung ausgehen, als wenn die Vorlage eines<lb/>
Gesetzentwurfs wie eine privatrechtliche Vertragsofferte des Mo-<lb/>
narchen aufzufassen sei, welche durch Acceptation der Stände<lb/>
zum fertigen Vertrage würde.</note> Erst wenn die stän-<lb/>
dische Berathung und Beschlussfassung beendigt ist, hat<lb/>
er sich frei darüber zu entschliessen, ob er den Entwurf<lb/>
in seiner nunmehrigen Gestalt durch seine Sanction<lb/>
zum Gesetze erheben will.<note xml:id="note-0160" next="#note-0161" place="foot" n="9">Für die Frage, bis zu welcher Zeit die Entschliessung des<lb/>
Monarchen geschehen müsse, damit die ständische Zustimmung<lb/>
noch als bestehend gelte, enthalten nur einzelne Gesetze eine<lb/>
Vorschrift, z. B. verlangt das Bayerische Gesetz vom 25. Juli<lb/>
1850 Art. 40., dass die Entscheidung des Königs spätestens beim<lb/>
Schlusse der Ständeversammlung im Landtagsabschiede erfolge.<lb/>
(Siehe auch Sächsische Verfassungsurkunde §. 113.) v. <hi rendition="#g">Rönne</hi><lb/>
a. a. O. S. 177 behauptet, dass die Sanction bis zum Zusammentritte<lb/>
der nächsten Ständeversammlung geschehen müsse, und stützt sich<lb/>
dafür auf die Discontinuität der Kammern. Dieser Grund ist<lb/>
jedenfalls unrichtig, da aus dieser Discontinuität keineswegs folgt,</note> Er thut diess, indem er<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0160] Dritter Abschnitt. den Entwurf nicht völlig abgelehnt, so beginnt über die Vorlage der Regierung und die hierzu von der früheren Kammer beantragten Veränderungen die Berathung der anderen Kammer; beide Kammern treten sodann in Wechselverkehr, bis eine vollständige Einigung der- selben und damit ein Beschluss der Stände erzielt ist. 7 Dem Monarchen steht es jederzeit frei, den eingebrachten Gesetzentwurf zurückzuziehen; er würde hieran selbst durch die unveränderte Annahme desselben von Seiten der Stände nicht gehindert sein. 8 Erst wenn die stän- dische Berathung und Beschlussfassung beendigt ist, hat er sich frei darüber zu entschliessen, ob er den Entwurf in seiner nunmehrigen Gestalt durch seine Sanction zum Gesetze erheben will. 9 Er thut diess, indem er 7 Manche Verfassungsurkunden haben ein besonderes Ver- einigungsverfahren eingerichtet. — Die Redaction der gefassten Beschlüsse wird in den meisten Staaten der Regierung überlassen. Siehe aber die Bemerkungen Mohl’s, Staatsrecht, Völkerrecht, Politik, Bd. 2. S. 563 flg. 8 Die entgegengesetzte Ansicht könnte nur von der völlig unrichtigen Vorstellung ausgehen, als wenn die Vorlage eines Gesetzentwurfs wie eine privatrechtliche Vertragsofferte des Mo- narchen aufzufassen sei, welche durch Acceptation der Stände zum fertigen Vertrage würde. 9 Für die Frage, bis zu welcher Zeit die Entschliessung des Monarchen geschehen müsse, damit die ständische Zustimmung noch als bestehend gelte, enthalten nur einzelne Gesetze eine Vorschrift, z. B. verlangt das Bayerische Gesetz vom 25. Juli 1850 Art. 40., dass die Entscheidung des Königs spätestens beim Schlusse der Ständeversammlung im Landtagsabschiede erfolge. (Siehe auch Sächsische Verfassungsurkunde §. 113.) v. Rönne a. a. O. S. 177 behauptet, dass die Sanction bis zum Zusammentritte der nächsten Ständeversammlung geschehen müsse, und stützt sich dafür auf die Discontinuität der Kammern. Dieser Grund ist jedenfalls unrichtig, da aus dieser Discontinuität keineswegs folgt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/160
Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/160>, abgerufen am 28.04.2024.