Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 56. Competenz der Justiz.
der Einwirkung, nämlich die Feststellung und Durch-
führung des absoluten Rechts. Diess ist der einzige
Einfluss der Staatsgewalt, den die privatrechtliche Frei-
heit des Einzelnen (abgesehen von besonderen Aus-
nahmszuständen) duldet. Hieran sollte auch der Um-
stand, dass ein Privatrecht eine Beziehung zu öffent-
lichen Interessen hat,4 oder dass ein solches auf der
Grundlage eines Thatbestands des öffentlichen Rechts
entstanden ist,5 Nichts ändern. Noch weniger kann
es von Einfluss sein, dass eine der in einem privat-
rechtlichen Streite befangenen Parteien zugleich eine
besondere Stellung im Staate hat, wie Gemeinden oder
andere Corporationen, indem ja auch der Staat als
Fiscus Processpartei sein kann.

4 Mit diesem vagen Gedanken, dass alle Privatrechte, welche
nur irgendwie an öffentliche Interessen anstreifen, der Justiz ent-
zogen werden müssten, ist es in manchen Ländern gelungen, die
Justiz fast ganz zu verkümmern und beinahe auf Schuld-, Pfand-
sachen und etwa noch Erbschaftsprocesse zu reduciren. In solchen
Ländern ist man dahin gelangt, die Competenz der Justiz gar nicht
mehr als das Regelmässige und Natürliche anzusehen, sondern
beantwortet bei jedem neuen Gesetze über Gewerbe-, Assecuranz-,
Agriculturverhältnisse u. s. w. die allgemeine Frage, wer nun über
die hierbei in Frage kommenden privatrechtlichen Streitigkeiten
entscheiden solle, wie eine offene und der willkührlichsten Erledi-
gung fähige.
5 Z. B. die Condicirung zuviel gezahlter Steuern, die For-
derung des Beamtengehaltes, der Apanage, der auf einem Staats-
vertrage beruhenden Renten, Regalien und regale Gerechtigkeiten.
Siehe auch meine Schrift über öffentliche Rechte S. 43. Sehr
seltsam ist die hie und da auftauchende Theorie, dass man unter-
scheiden müsse, ob ein Anspruch auf einem Vertrage beruhe oder
nicht. Als wenn nur der Vertrag ein Rechtstitel für Privatrechte
wäre! Offenbar kommt bei der Beurtheilung der Natur eines Rechts
Alles auf seinen Inhalt, nicht auf seinen Entstehungsgrund an.

§. 56. Competenz der Justiz.
der Einwirkung, nämlich die Feststellung und Durch-
führung des absoluten Rechts. Diess ist der einzige
Einfluss der Staatsgewalt, den die privatrechtliche Frei-
heit des Einzelnen (abgesehen von besonderen Aus-
nahmszuständen) duldet. Hieran sollte auch der Um-
stand, dass ein Privatrecht eine Beziehung zu öffent-
lichen Interessen hat,4 oder dass ein solches auf der
Grundlage eines Thatbestands des öffentlichen Rechts
entstanden ist,5 Nichts ändern. Noch weniger kann
es von Einfluss sein, dass eine der in einem privat-
rechtlichen Streite befangenen Parteien zugleich eine
besondere Stellung im Staate hat, wie Gemeinden oder
andere Corporationen, indem ja auch der Staat als
Fiscus Processpartei sein kann.

4 Mit diesem vagen Gedanken, dass alle Privatrechte, welche
nur irgendwie an öffentliche Interessen anstreifen, der Justiz ent-
zogen werden müssten, ist es in manchen Ländern gelungen, die
Justiz fast ganz zu verkümmern und beinahe auf Schuld-, Pfand-
sachen und etwa noch Erbschaftsprocesse zu reduciren. In solchen
Ländern ist man dahin gelangt, die Competenz der Justiz gar nicht
mehr als das Regelmässige und Natürliche anzusehen, sondern
beantwortet bei jedem neuen Gesetze über Gewerbe-, Assecuranz-,
Agriculturverhältnisse u. s. w. die allgemeine Frage, wer nun über
die hierbei in Frage kommenden privatrechtlichen Streitigkeiten
entscheiden solle, wie eine offene und der willkührlichsten Erledi-
gung fähige.
5 Z. B. die Condicirung zuviel gezahlter Steuern, die For-
derung des Beamtengehaltes, der Apanage, der auf einem Staats-
vertrage beruhenden Renten, Regalien und regale Gerechtigkeiten.
Siehe auch meine Schrift über öffentliche Rechte S. 43. Sehr
seltsam ist die hie und da auftauchende Theorie, dass man unter-
scheiden müsse, ob ein Anspruch auf einem Vertrage beruhe oder
nicht. Als wenn nur der Vertrag ein Rechtstitel für Privatrechte
wäre! Offenbar kommt bei der Beurtheilung der Natur eines Rechts
Alles auf seinen Inhalt, nicht auf seinen Entstehungsgrund an.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0193" n="175"/><fw place="top" type="header">§. 56. Competenz der Justiz.</fw><lb/>
der Einwirkung, nämlich die Feststellung und Durch-<lb/>
führung des absoluten Rechts. Diess ist der einzige<lb/>
Einfluss der Staatsgewalt, den die privatrechtliche Frei-<lb/>
heit des Einzelnen (abgesehen von besonderen Aus-<lb/>
nahmszuständen) duldet. Hieran sollte auch der Um-<lb/>
stand, dass ein Privatrecht eine Beziehung zu öffent-<lb/>
lichen Interessen hat,<note place="foot" n="4">Mit diesem vagen Gedanken, dass alle Privatrechte, welche<lb/>
nur irgendwie an öffentliche Interessen anstreifen, der Justiz ent-<lb/>
zogen werden müssten, ist es in manchen Ländern gelungen, die<lb/>
Justiz fast ganz zu verkümmern und beinahe auf Schuld-, Pfand-<lb/>
sachen und etwa noch Erbschaftsprocesse zu reduciren. In solchen<lb/>
Ländern ist man dahin gelangt, die Competenz der Justiz gar nicht<lb/>
mehr als das Regelmässige und Natürliche anzusehen, sondern<lb/>
beantwortet bei jedem neuen Gesetze über Gewerbe-, Assecuranz-,<lb/>
Agriculturverhältnisse u. s. w. die allgemeine Frage, wer nun über<lb/>
die hierbei in Frage kommenden privatrechtlichen Streitigkeiten<lb/>
entscheiden solle, wie eine offene und der willkührlichsten Erledi-<lb/>
gung fähige.</note> oder dass ein solches auf der<lb/>
Grundlage eines Thatbestands des öffentlichen Rechts<lb/>
entstanden ist,<note place="foot" n="5">Z. B. die Condicirung zuviel gezahlter Steuern, die For-<lb/>
derung des Beamtengehaltes, der Apanage, der auf einem Staats-<lb/>
vertrage beruhenden Renten, Regalien und regale Gerechtigkeiten.<lb/>
Siehe auch <hi rendition="#g">meine</hi> Schrift über öffentliche Rechte S. 43. Sehr<lb/>
seltsam ist die hie und da auftauchende Theorie, dass man unter-<lb/>
scheiden müsse, ob ein Anspruch auf einem Vertrage beruhe oder<lb/>
nicht. Als wenn nur der Vertrag ein Rechtstitel für Privatrechte<lb/>
wäre! Offenbar kommt bei der Beurtheilung der Natur eines Rechts<lb/>
Alles auf seinen <hi rendition="#g">Inhalt</hi>, nicht auf seinen Entstehungsgrund an.</note> Nichts ändern. Noch weniger kann<lb/>
es von Einfluss sein, dass eine der in einem privat-<lb/>
rechtlichen Streite befangenen Parteien zugleich eine<lb/>
besondere Stellung im Staate hat, wie Gemeinden oder<lb/>
andere Corporationen, indem ja auch der Staat als<lb/>
Fiscus Processpartei sein kann.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0193] §. 56. Competenz der Justiz. der Einwirkung, nämlich die Feststellung und Durch- führung des absoluten Rechts. Diess ist der einzige Einfluss der Staatsgewalt, den die privatrechtliche Frei- heit des Einzelnen (abgesehen von besonderen Aus- nahmszuständen) duldet. Hieran sollte auch der Um- stand, dass ein Privatrecht eine Beziehung zu öffent- lichen Interessen hat, 4 oder dass ein solches auf der Grundlage eines Thatbestands des öffentlichen Rechts entstanden ist, 5 Nichts ändern. Noch weniger kann es von Einfluss sein, dass eine der in einem privat- rechtlichen Streite befangenen Parteien zugleich eine besondere Stellung im Staate hat, wie Gemeinden oder andere Corporationen, indem ja auch der Staat als Fiscus Processpartei sein kann. 4 Mit diesem vagen Gedanken, dass alle Privatrechte, welche nur irgendwie an öffentliche Interessen anstreifen, der Justiz ent- zogen werden müssten, ist es in manchen Ländern gelungen, die Justiz fast ganz zu verkümmern und beinahe auf Schuld-, Pfand- sachen und etwa noch Erbschaftsprocesse zu reduciren. In solchen Ländern ist man dahin gelangt, die Competenz der Justiz gar nicht mehr als das Regelmässige und Natürliche anzusehen, sondern beantwortet bei jedem neuen Gesetze über Gewerbe-, Assecuranz-, Agriculturverhältnisse u. s. w. die allgemeine Frage, wer nun über die hierbei in Frage kommenden privatrechtlichen Streitigkeiten entscheiden solle, wie eine offene und der willkührlichsten Erledi- gung fähige. 5 Z. B. die Condicirung zuviel gezahlter Steuern, die For- derung des Beamtengehaltes, der Apanage, der auf einem Staats- vertrage beruhenden Renten, Regalien und regale Gerechtigkeiten. Siehe auch meine Schrift über öffentliche Rechte S. 43. Sehr seltsam ist die hie und da auftauchende Theorie, dass man unter- scheiden müsse, ob ein Anspruch auf einem Vertrage beruhe oder nicht. Als wenn nur der Vertrag ein Rechtstitel für Privatrechte wäre! Offenbar kommt bei der Beurtheilung der Natur eines Rechts Alles auf seinen Inhalt, nicht auf seinen Entstehungsgrund an.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/193
Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/193>, abgerufen am 15.05.2024.