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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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§. 7. Allgem. Character der Staatsgewalt.
nicht auf einer willkührlichen Bestimmung und überleg-
ten Schöpfung, sondern sie ist eine Naturkraft, welche
im Staate, als der wichtigsten Socialform der Mensch-
heit, ursprünglich enthalten ist.2 Die rechtliche Aeus-
serung der Staatsgewalt ist das Herrschen. Diess be-
deutet eine für die Aufgaben der staatlichen Verbindung
wirksame Willensmacht, welcher das ganze Volk in allen
seinen Gliedern unterworfen ist.3 Ihr Erfolg, auch dem
innerlich Widerstrebenden gegenüber, beruht darauf,

die Ansicht endlich, dass unsere Auffassung den Monarchen zum
"Beamten" degradire, oder unter den Begriff des gewöhnlichen
Repräsentanten einer Corporation bringe, wird unten durch die
Fassung des Monarchenrechts ihre Widerlegung erhalten.
2 Richtig Stahl, Rechts- u. Staatslehre, 2. Abth. S. 143. Es liegt
nicht in der Aufgabe der juristischen Betrachtung des Staats,
die gesammte Physiologie desselben zu entwickeln. Diese Aufgabe
fällt der philosophischen Ethik anheim und ihre Lösung wird hier
als gegeben vorausgesetzt. Uebrigens kann es nach dem Texte nicht
zweifelhaft sein, welcher der vielen Theorieen über den Ursprung
und Rechtsgrund der Staatsgewalt der Verfasser beitritt. Zum Aus-
gangspunkte der rechtlichen Betrachtung genügt es, zu sagen, die
Staatsgewalt ist der Allgemeinwille des Volks als ethischen Ganzen
für die Zwecke des Staats, in den Mitteln und Formen des Staats.
3 Die Willenskraft des Staats ist nicht wie die privatrecht-
liche absolut und voraussetzungslos, sondern erhält ihre Richtung
und Gränze durch den ethischen Grund ihres Daseins. Daraus
erklärt sich denn auch die besondere Art der staatlichen Willens-
wirkung, das Herrschen, welchem eine Unterwerfung im Sinne
eines Gehorsams gegen die allgemeine Rechtsordnung entspricht.
Jedoch ist dem Staate deshalb das Gebiet des privatrechtlichen Wol-
lens nicht verschlossen, und es kann diess gar nicht sein, weil er
zu seiner materiellen Ausstattung des Eintritts in den privatrecht-
lichen Verkehr bedarf. Aber es darf nie vergessen werden, dass
der Staat in dieser Beziehung, nämlich als Fiscus, nicht in seiner
characteristischen Wesenheit auftritt, sondern nur in einer Neben-
eigenschaft, welche er zur Unterstützung seiner principalen Le-
bensaufgabe bedarf.

§. 7. Allgem. Character der Staatsgewalt.
nicht auf einer willkührlichen Bestimmung und überleg-
ten Schöpfung, sondern sie ist eine Naturkraft, welche
im Staate, als der wichtigsten Socialform der Mensch-
heit, ursprünglich enthalten ist.2 Die rechtliche Aeus-
serung der Staatsgewalt ist das Herrschen. Diess be-
deutet eine für die Aufgaben der staatlichen Verbindung
wirksame Willensmacht, welcher das ganze Volk in allen
seinen Gliedern unterworfen ist.3 Ihr Erfolg, auch dem
innerlich Widerstrebenden gegenüber, beruht darauf,

die Ansicht endlich, dass unsere Auffassung den Monarchen zum
„Beamten“ degradire, oder unter den Begriff des gewöhnlichen
Repräsentanten einer Corporation bringe, wird unten durch die
Fassung des Monarchenrechts ihre Widerlegung erhalten.
2 Richtig Stahl, Rechts- u. Staatslehre, 2. Abth. S. 143. Es liegt
nicht in der Aufgabe der juristischen Betrachtung des Staats,
die gesammte Physiologie desselben zu entwickeln. Diese Aufgabe
fällt der philosophischen Ethik anheim und ihre Lösung wird hier
als gegeben vorausgesetzt. Uebrigens kann es nach dem Texte nicht
zweifelhaft sein, welcher der vielen Theorieen über den Ursprung
und Rechtsgrund der Staatsgewalt der Verfasser beitritt. Zum Aus-
gangspunkte der rechtlichen Betrachtung genügt es, zu sagen, die
Staatsgewalt ist der Allgemeinwille des Volks als ethischen Ganzen
für die Zwecke des Staats, in den Mitteln und Formen des Staats.
3 Die Willenskraft des Staats ist nicht wie die privatrecht-
liche absolut und voraussetzungslos, sondern erhält ihre Richtung
und Gränze durch den ethischen Grund ihres Daseins. Daraus
erklärt sich denn auch die besondere Art der staatlichen Willens-
wirkung, das Herrschen, welchem eine Unterwerfung im Sinne
eines Gehorsams gegen die allgemeine Rechtsordnung entspricht.
Jedoch ist dem Staate deshalb das Gebiet des privatrechtlichen Wol-
lens nicht verschlossen, und es kann diess gar nicht sein, weil er
zu seiner materiellen Ausstattung des Eintritts in den privatrecht-
lichen Verkehr bedarf. Aber es darf nie vergessen werden, dass
der Staat in dieser Beziehung, nämlich als Fiscus, nicht in seiner
characteristischen Wesenheit auftritt, sondern nur in einer Neben-
eigenschaft, welche er zur Unterstützung seiner principalen Le-
bensaufgabe bedarf.
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[21/0039] §. 7. Allgem. Character der Staatsgewalt. nicht auf einer willkührlichen Bestimmung und überleg- ten Schöpfung, sondern sie ist eine Naturkraft, welche im Staate, als der wichtigsten Socialform der Mensch- heit, ursprünglich enthalten ist. 2 Die rechtliche Aeus- serung der Staatsgewalt ist das Herrschen. Diess be- deutet eine für die Aufgaben der staatlichen Verbindung wirksame Willensmacht, welcher das ganze Volk in allen seinen Gliedern unterworfen ist. 3 Ihr Erfolg, auch dem innerlich Widerstrebenden gegenüber, beruht darauf, 1 2 Richtig Stahl, Rechts- u. Staatslehre, 2. Abth. S. 143. Es liegt nicht in der Aufgabe der juristischen Betrachtung des Staats, die gesammte Physiologie desselben zu entwickeln. Diese Aufgabe fällt der philosophischen Ethik anheim und ihre Lösung wird hier als gegeben vorausgesetzt. Uebrigens kann es nach dem Texte nicht zweifelhaft sein, welcher der vielen Theorieen über den Ursprung und Rechtsgrund der Staatsgewalt der Verfasser beitritt. Zum Aus- gangspunkte der rechtlichen Betrachtung genügt es, zu sagen, die Staatsgewalt ist der Allgemeinwille des Volks als ethischen Ganzen für die Zwecke des Staats, in den Mitteln und Formen des Staats. 3 Die Willenskraft des Staats ist nicht wie die privatrecht- liche absolut und voraussetzungslos, sondern erhält ihre Richtung und Gränze durch den ethischen Grund ihres Daseins. Daraus erklärt sich denn auch die besondere Art der staatlichen Willens- wirkung, das Herrschen, welchem eine Unterwerfung im Sinne eines Gehorsams gegen die allgemeine Rechtsordnung entspricht. Jedoch ist dem Staate deshalb das Gebiet des privatrechtlichen Wol- lens nicht verschlossen, und es kann diess gar nicht sein, weil er zu seiner materiellen Ausstattung des Eintritts in den privatrecht- lichen Verkehr bedarf. Aber es darf nie vergessen werden, dass der Staat in dieser Beziehung, nämlich als Fiscus, nicht in seiner characteristischen Wesenheit auftritt, sondern nur in einer Neben- eigenschaft, welche er zur Unterstützung seiner principalen Le- bensaufgabe bedarf. 1 die Ansicht endlich, dass unsere Auffassung den Monarchen zum „Beamten“ degradire, oder unter den Begriff des gewöhnlichen Repräsentanten einer Corporation bringe, wird unten durch die Fassung des Monarchenrechts ihre Widerlegung erhalten.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/39>, abgerufen am 29.04.2024.