Das Recht, im einzelnen deutschen Staate Monarch zu sein, ist das angestammte, nicht erst von aussen angetragene Recht der deutschen Fürsten: es ist ein Recht, dessen Ursprung in dem Erwerbskreise der fürstlichen Dynastie liegt, und lediglich durch Ent- wickelung der im ehemaligen fürstlichen Patrimonial- rechte enthaltenen Keime zu seiner heutigen Gestaltung gelangt ist. Die ältere deutsche Landeshoheit war eine Summe einzelner Herrschaftsrechte, in deren Inne- habung der Fürst im Ganzen als das Subject einer eigenthümlichen in Land und Leuten bestehenden Ver- mögensmacht hervortrat; Land und Leute waren in der Rechtssphäre ihres Landesfürsten localisirt. Diess hat sich in einem zuerst allmählichen, dann in diesem Jahr- hunderte beschleunigten Entwickelungsprocesse völlig verändert. Land und Leute sind aus der Vermögens- sphäre des Fürsten herausgetreten, die Unterthanen sind zu dem Begriffe des geeinten Volks mit nationalem Bewusstsein erwachsen, aus ihm ist in den neueren Ver- fassungsgesetzen der Staat als selbständiger persönlicher Organismus hervorgegangen, und der Landesherr hat seine ehemalige Stellung als eines ausserhalb des Volks stehenden Rechtssubjects mit der Stellung des obersten Willensorgans in ihm vertauscht.1 So gross und bedeutend jedoch auch diese Veränderung am In-
1 Siehe meine Abhandlung in Aegidi's Zeitschrift für deut- sches Staatsrecht, 1. Bd. S. 11 flg.
v. Gerber, Staatsrecht. 6
§. 28. Der Monarch.
d) Allgemeine rechtliche Characteristik.
§. 28.
Das Recht, im einzelnen deutschen Staate Monarch zu sein, ist das angestammte, nicht erst von aussen angetragene Recht der deutschen Fürsten: es ist ein Recht, dessen Ursprung in dem Erwerbskreise der fürstlichen Dynastie liegt, und lediglich durch Ent- wickelung der im ehemaligen fürstlichen Patrimonial- rechte enthaltenen Keime zu seiner heutigen Gestaltung gelangt ist. Die ältere deutsche Landeshoheit war eine Summe einzelner Herrschaftsrechte, in deren Inne- habung der Fürst im Ganzen als das Subject einer eigenthümlichen in Land und Leuten bestehenden Ver- mögensmacht hervortrat; Land und Leute waren in der Rechtssphäre ihres Landesfürsten localisirt. Diess hat sich in einem zuerst allmählichen, dann in diesem Jahr- hunderte beschleunigten Entwickelungsprocesse völlig verändert. Land und Leute sind aus der Vermögens- sphäre des Fürsten herausgetreten, die Unterthanen sind zu dem Begriffe des geeinten Volks mit nationalem Bewusstsein erwachsen, aus ihm ist in den neueren Ver- fassungsgesetzen der Staat als selbständiger persönlicher Organismus hervorgegangen, und der Landesherr hat seine ehemalige Stellung als eines ausserhalb des Volks stehenden Rechtssubjects mit der Stellung des obersten Willensorgans in ihm vertauscht.1 So gross und bedeutend jedoch auch diese Veränderung am In-
1 Siehe meine Abhandlung in Aegidi’s Zeitschrift für deut- sches Staatsrecht, 1. Bd. S. 11 flg.
v. Gerber, Staatsrecht. 6
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§. 28. Der Monarch.
d) Allgemeine rechtliche Characteristik.
§. 28.
Das Recht, im einzelnen deutschen Staate Monarch
zu sein, ist das angestammte, nicht erst von aussen
angetragene Recht der deutschen Fürsten: es ist ein
Recht, dessen Ursprung in dem Erwerbskreise der
fürstlichen Dynastie liegt, und lediglich durch Ent-
wickelung der im ehemaligen fürstlichen Patrimonial-
rechte enthaltenen Keime zu seiner heutigen Gestaltung
gelangt ist. Die ältere deutsche Landeshoheit war eine
Summe einzelner Herrschaftsrechte, in deren Inne-
habung der Fürst im Ganzen als das Subject einer
eigenthümlichen in Land und Leuten bestehenden Ver-
mögensmacht hervortrat; Land und Leute waren in der
Rechtssphäre ihres Landesfürsten localisirt. Diess hat
sich in einem zuerst allmählichen, dann in diesem Jahr-
hunderte beschleunigten Entwickelungsprocesse völlig
verändert. Land und Leute sind aus der Vermögens-
sphäre des Fürsten herausgetreten, die Unterthanen
sind zu dem Begriffe des geeinten Volks mit nationalem
Bewusstsein erwachsen, aus ihm ist in den neueren Ver-
fassungsgesetzen der Staat als selbständiger persönlicher
Organismus hervorgegangen, und der Landesherr hat
seine ehemalige Stellung als eines ausserhalb des
Volks stehenden Rechtssubjects mit der Stellung des
obersten Willensorgans in ihm vertauscht. 1 So gross
und bedeutend jedoch auch diese Veränderung am In-
1 Siehe meine Abhandlung in Aegidi’s Zeitschrift für deut-
sches Staatsrecht, 1. Bd. S. 11 flg.
v. Gerber, Staatsrecht. 6
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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/99>, abgerufen am 29.11.2023.
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