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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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das ist nur allzubekannt. Ein Nordindianer (Waitz 3, 141) sagte in einer öffentlichen und viel erwähnten Rede: "ich hätte sogar daran gedacht, ganz unter euch zu leben, hätte nicht ein Mann mir Böses gethan. Oberst Cresap ermordete im letzten Frühjahr (1774) mit kaltem Blut und aus eigenem Antriebe alle meine Verwandten, selbst meine Weiber und Kinder verschonte er nicht. Kein Tropfen von meinem Blut läuft mehr in den Adern eines lebenden Wesens." Dies eine Zeugniss genüge.

Eine der hervorragendsten Eigenschaften der Naturvölker ist ihr Stolz. Die Amerikaner halten sich für die ersten aller Menschen; Geschickt wie ein Indianer und dumm wie ein Europäer sind bei ihnen Sprichwörter (Waitz 3, 170). Verletzung dieses Stolzes war auch das Härteste, was sie unter sich einander zufügten. Die Polynesier glaubten alles Ernstes, die Europäer kämen zu ihnen, um jetzt erst wahres Leben kennen zu lernen und an ihrer Glückseligkeit, an ihrer Vollkommenheit Theil zu nehmen. Selbstmord aus Scham oder verletztem Ehrgefühl ist unter ihnen gar nicht so selten (Dieffenbach 2, 112. Thomson 319. Will. u. Calvert 1, 121 ff.); ihre eigenen Thaten läugnen sie eben wegen dieses Stolzes nie (Williams u. Calvert 1, 124; Tyermann u. Bennet 1, 78; Waitz a.a.O.).

Nicht minder empfindlich ist das Rechtsgefühl aller dieser Völker, welches z. B. einen Irokesen, der von Christi Leiden hörte, ganz wie jenen Friesenfürsten zu dem Ausrufe zwang: "wäre ich dabei gewesen, ich würde ihn gerächt und die Juden skalpirt haben" (Waitz 3, 169). Und diese Empfindungen, für welche Waitz a.a.O. u. b, 147 noch eine Menge Beispiele zusammenstellt, finden wir ebenso in Polynesien; ebenso wirksam wenigstens, wenn auch minder frei entwickelt, auch bei den roheren Völkern, den Südamerikanern, Hottentotten, Australiern. Schon das stete Streben, welches diese Völker nach Rache haben, beweist es. Wie grausam aber sind gerade diese Eigenschaften von der Kultur verletzt! Theils ohne ihre Schuld: denn dass die Naturvölker gar bald einsahen, wie sie gegen die Europäer nichts wären und nichts vermöchten, lag in der Natur der Sache. Theils aber tragen auch hier die Europäer die schwerste Verantwortlichkeit, denn sie haben die Rechte dieser Völker absichtlich mit Füssen getreten, sie haben, da sie die Naturvölker kaum für Menschen ansahen, nicht einmal ihr menschliches Selbstbewusstsein ihnen lassen mögen, sondern auch dieses, und oft von Staatswegen, wie die Vereinigten Staaten, wie Frankreich in Tahiti, wie die Engländer in Australien, mit Füssen getreten; und man tritt es durch den grenzenlosen Hochmuth und Hass, mit dem man diese Völker von aller Gemeinschaft und damit von aller Kultur ausschliesst, nachdem man ihnen häufig Land und Lebensmittel genommen, auch ferner mit Füssen. Und selbst in ihrem Rachedurst sind alle diese Völker den Europäern gegenüber so ohnmächtig, gegen

das ist nur allzubekannt. Ein Nordindianer (Waitz 3, 141) sagte in einer öffentlichen und viel erwähnten Rede: »ich hätte sogar daran gedacht, ganz unter euch zu leben, hätte nicht ein Mann mir Böses gethan. Oberst Cresap ermordete im letzten Frühjahr (1774) mit kaltem Blut und aus eigenem Antriebe alle meine Verwandten, selbst meine Weiber und Kinder verschonte er nicht. Kein Tropfen von meinem Blut läuft mehr in den Adern eines lebenden Wesens.« Dies eine Zeugniss genüge.

Eine der hervorragendsten Eigenschaften der Naturvölker ist ihr Stolz. Die Amerikaner halten sich für die ersten aller Menschen; Geschickt wie ein Indianer und dumm wie ein Europäer sind bei ihnen Sprichwörter (Waitz 3, 170). Verletzung dieses Stolzes war auch das Härteste, was sie unter sich einander zufügten. Die Polynesier glaubten alles Ernstes, die Europäer kämen zu ihnen, um jetzt erst wahres Leben kennen zu lernen und an ihrer Glückseligkeit, an ihrer Vollkommenheit Theil zu nehmen. Selbstmord aus Scham oder verletztem Ehrgefühl ist unter ihnen gar nicht so selten (Dieffenbach 2, 112. Thomson 319. Will. u. Calvert 1, 121 ff.); ihre eigenen Thaten läugnen sie eben wegen dieses Stolzes nie (Williams u. Calvert 1, 124; Tyermann u. Bennet 1, 78; Waitz a.a.O.).

Nicht minder empfindlich ist das Rechtsgefühl aller dieser Völker, welches z. B. einen Irokesen, der von Christi Leiden hörte, ganz wie jenen Friesenfürsten zu dem Ausrufe zwang: »wäre ich dabei gewesen, ich würde ihn gerächt und die Juden skalpirt haben« (Waitz 3, 169). Und diese Empfindungen, für welche Waitz a.a.O. u. b, 147 noch eine Menge Beispiele zusammenstellt, finden wir ebenso in Polynesien; ebenso wirksam wenigstens, wenn auch minder frei entwickelt, auch bei den roheren Völkern, den Südamerikanern, Hottentotten, Australiern. Schon das stete Streben, welches diese Völker nach Rache haben, beweist es. Wie grausam aber sind gerade diese Eigenschaften von der Kultur verletzt! Theils ohne ihre Schuld: denn dass die Naturvölker gar bald einsahen, wie sie gegen die Europäer nichts wären und nichts vermöchten, lag in der Natur der Sache. Theils aber tragen auch hier die Europäer die schwerste Verantwortlichkeit, denn sie haben die Rechte dieser Völker absichtlich mit Füssen getreten, sie haben, da sie die Naturvölker kaum für Menschen ansahen, nicht einmal ihr menschliches Selbstbewusstsein ihnen lassen mögen, sondern auch dieses, und oft von Staatswegen, wie die Vereinigten Staaten, wie Frankreich in Tahiti, wie die Engländer in Australien, mit Füssen getreten; und man tritt es durch den grenzenlosen Hochmuth und Hass, mit dem man diese Völker von aller Gemeinschaft und damit von aller Kultur ausschliesst, nachdem man ihnen häufig Land und Lebensmittel genommen, auch ferner mit Füssen. Und selbst in ihrem Rachedurst sind alle diese Völker den Europäern gegenüber so ohnmächtig, gegen

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 ist nur allzubekannt. Ein Nordindianer (Waitz 3, 141) sagte in
 einer öffentlichen und viel erwähnten Rede: »ich
 hätte sogar daran gedacht, ganz unter euch zu leben,
 hätte nicht ein Mann mir Böses gethan. Oberst Cresap
 ermordete im letzten Frühjahr (1774) mit kaltem Blut und aus
 eigenem Antriebe alle meine Verwandten, selbst meine Weiber und
 Kinder verschonte er nicht. Kein Tropfen von meinem Blut läuft
 mehr in den Adern eines lebenden Wesens.« Dies eine Zeugniss
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        <p>Eine der hervorragendsten Eigenschaften der Naturvölker ist
 ihr Stolz. Die Amerikaner halten sich für die ersten aller
 Menschen; Geschickt wie ein Indianer und dumm wie ein Europäer
 sind bei ihnen Sprichwörter (Waitz 3, 170). Verletzung dieses
 Stolzes war auch das Härteste, was sie unter sich einander
 zufügten. Die Polynesier glaubten alles Ernstes, die
 Europäer kämen zu ihnen, um jetzt erst wahres Leben
 kennen zu lernen und an ihrer Glückseligkeit, an ihrer
 Vollkommenheit Theil zu nehmen. Selbstmord aus Scham oder
 verletztem Ehrgefühl ist unter ihnen gar nicht so selten
 (Dieffenbach 2, 112. Thomson 319. Will. u. Calvert 1, 121 ff.);
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 (Williams u. Calvert 1, 124; Tyermann u. Bennet 1, 78; Waitz
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 hörte, ganz wie jenen Friesenfürsten zu dem Ausrufe
 zwang: »wäre ich dabei gewesen, ich würde ihn
 gerächt und die Juden skalpirt haben« (Waitz 3, 169).
 Und diese Empfindungen, für welche Waitz a.a.O. u. b, 147 noch
 eine Menge Beispiele zusammenstellt, finden wir ebenso in
 Polynesien; ebenso wirksam wenigstens, wenn auch minder frei
 entwickelt, auch bei den roheren Völkern, den
 Südamerikanern, Hottentotten, Australiern. Schon das stete
 Streben, welches diese Völker nach Rache haben, beweist es.
 Wie grausam aber sind gerade diese Eigenschaften von der Kultur
 verletzt! Theils ohne ihre Schuld: denn dass die Naturvölker
 gar bald einsahen, wie sie gegen die Europäer nichts
 wären und nichts vermöchten, lag in der Natur der Sache.
 Theils aber tragen auch hier die Europäer die schwerste
 Verantwortlichkeit, denn sie haben die Rechte dieser Völker
 absichtlich mit Füssen getreten, sie haben, da sie die
 Naturvölker kaum für Menschen ansahen, nicht einmal ihr
 menschliches Selbstbewusstsein ihnen lassen mögen, sondern
 auch dieses, und oft von Staatswegen, wie die Vereinigten Staaten,
 wie Frankreich in Tahiti, wie die Engländer in Australien, mit
 Füssen getreten; und man tritt es durch den grenzenlosen
 Hochmuth und Hass, mit dem man diese Völker von aller
 Gemeinschaft und damit von aller Kultur ausschliesst, nachdem man
 ihnen häufig Land und Lebensmittel genommen, auch ferner mit
 Füssen. Und selbst in ihrem Rachedurst sind alle diese
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[0105] das ist nur allzubekannt. Ein Nordindianer (Waitz 3, 141) sagte in einer öffentlichen und viel erwähnten Rede: »ich hätte sogar daran gedacht, ganz unter euch zu leben, hätte nicht ein Mann mir Böses gethan. Oberst Cresap ermordete im letzten Frühjahr (1774) mit kaltem Blut und aus eigenem Antriebe alle meine Verwandten, selbst meine Weiber und Kinder verschonte er nicht. Kein Tropfen von meinem Blut läuft mehr in den Adern eines lebenden Wesens.« Dies eine Zeugniss genüge. Eine der hervorragendsten Eigenschaften der Naturvölker ist ihr Stolz. Die Amerikaner halten sich für die ersten aller Menschen; Geschickt wie ein Indianer und dumm wie ein Europäer sind bei ihnen Sprichwörter (Waitz 3, 170). Verletzung dieses Stolzes war auch das Härteste, was sie unter sich einander zufügten. Die Polynesier glaubten alles Ernstes, die Europäer kämen zu ihnen, um jetzt erst wahres Leben kennen zu lernen und an ihrer Glückseligkeit, an ihrer Vollkommenheit Theil zu nehmen. Selbstmord aus Scham oder verletztem Ehrgefühl ist unter ihnen gar nicht so selten (Dieffenbach 2, 112. Thomson 319. Will. u. Calvert 1, 121 ff.); ihre eigenen Thaten läugnen sie eben wegen dieses Stolzes nie (Williams u. Calvert 1, 124; Tyermann u. Bennet 1, 78; Waitz a.a.O.). Nicht minder empfindlich ist das Rechtsgefühl aller dieser Völker, welches z. B. einen Irokesen, der von Christi Leiden hörte, ganz wie jenen Friesenfürsten zu dem Ausrufe zwang: »wäre ich dabei gewesen, ich würde ihn gerächt und die Juden skalpirt haben« (Waitz 3, 169). Und diese Empfindungen, für welche Waitz a.a.O. u. b, 147 noch eine Menge Beispiele zusammenstellt, finden wir ebenso in Polynesien; ebenso wirksam wenigstens, wenn auch minder frei entwickelt, auch bei den roheren Völkern, den Südamerikanern, Hottentotten, Australiern. Schon das stete Streben, welches diese Völker nach Rache haben, beweist es. Wie grausam aber sind gerade diese Eigenschaften von der Kultur verletzt! Theils ohne ihre Schuld: denn dass die Naturvölker gar bald einsahen, wie sie gegen die Europäer nichts wären und nichts vermöchten, lag in der Natur der Sache. Theils aber tragen auch hier die Europäer die schwerste Verantwortlichkeit, denn sie haben die Rechte dieser Völker absichtlich mit Füssen getreten, sie haben, da sie die Naturvölker kaum für Menschen ansahen, nicht einmal ihr menschliches Selbstbewusstsein ihnen lassen mögen, sondern auch dieses, und oft von Staatswegen, wie die Vereinigten Staaten, wie Frankreich in Tahiti, wie die Engländer in Australien, mit Füssen getreten; und man tritt es durch den grenzenlosen Hochmuth und Hass, mit dem man diese Völker von aller Gemeinschaft und damit von aller Kultur ausschliesst, nachdem man ihnen häufig Land und Lebensmittel genommen, auch ferner mit Füssen. Und selbst in ihrem Rachedurst sind alle diese Völker den Europäern gegenüber so ohnmächtig, gegen

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/105>, abgerufen am 28.04.2024.