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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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erschüttert wird. Und wäre sie es wirklich, so müsste sie doch überall sich bei den betreffenden Racen zeigen. Aber das ist gar nicht der Fall. In Neuholland z. B., wo allerdings Heirathen in demselben Stamme so gut wie gar nicht vorkommen, werden fruchtbare Ehen gar nicht selten erwähnt. Grey (a.a.O.) sah 41 Weiber, welche zusammen 188 Kinder hatten; und gar manches Volk in Amerika gibt es, welches eine sehr reichliche Kinderzahl besitzt, so die Stämme der Nordwestküste, die Nordindianer, welche Hearne besuchte, die Chippewais, die Sioux, die Mandans, und manche Südamerikaner, welche Waitz 1, 171-72 zusammenstellt. Und während einzelne Theile melanesischer Bevölkerung meist nur kinderarme Familien aufweisen, ist das Gegentheil bei anderen, z. B. den Fidschis der Fall; dieselben Gegensätze zeigt Mikronesien und Polynesien, in welchem letzteren Gebiet z. B. Tonga ganz anders als Tahiti und die Markesasinseln nur fruchtbare Ehen kennt. Und wer hat je etwas der Art von dem Brudervolk der Polynesier, von den Malaien gehört? Gedeihen sie nicht reichlich in ihrer Inselwelt und müsste nicht, wäre die Unfruchtbarkeit Racencharakter, sie sich auch bei ihnen vorfinden?

Umgekehrt aber findet sie sich bei Kulturvölkern, bei denen die oben besprochenen Gründe wirksam sind, wofür Waitz 1, 173 einige Beispiele aufstellt. Wo diese Gründe aber wegfallen, da sind die Weiber auch sonst minder fruchtbarer Stämme mit Kindern gesegnet. Neuseeländerinnen mit Europäern (Dieffenbach 2, 152) und Botokudinnen mit Weissen oder Negern vermählt (Tschudi 2, 284) pflegen sehr fruchtbar zu sein, weil dann die Frau meist ein ruhigeres, besseres Leben hat, wie Tschudi dies sehr richtig a.a.O. erklärt, nicht aber etwa in Folge der Vermischung und des Einflusses einer höheren Race, da ja in der Ehe mit Negern dasselbe Verhältniss eintritt.

Wir würden schon hieraus die Unfruchtbarkeit der Weiber vollkommen erklärlich finden, ohne Hinzunahme einer so wenig begründeten Theorie, wie die von der minderen Zeugungsfähigkeit der hinschwindenden Racen. Aber einen der wichtigsten Gründe, welcher nicht nur diese Unfruchtbarkeit, sondern überhaupt die Verringerung der Naturvölker nicht zum mindesten Theil erklärt, haben wir noch zu besprechen: es ist das weitverbreitete Tödten der Kinder vor oder gleich nach der Geburt.

Bei den Hottentotten (Sparmann 320) herrschte die Sitte, Säuglinge, deren Mutter starb, mit dieser zugleich zu begraben oder auszusetzen; ebenso tödteten sie von Zwillingen das eine Kind. Künstliche Fehlgeburten kamen häufig bei ihnen vor. Noch häufiger war dies alles bei den Buschmännern, welche bei ehelichen Streitigkeiten, bei Nahrungsmangel, der sie oft genug betraf, und bei eiliger Verfolgung die Kinder tödteten, aus Rache und Zorn gegen den Ehe-

erschüttert wird. Und wäre sie es wirklich, so müsste sie doch überall sich bei den betreffenden Raçen zeigen. Aber das ist gar nicht der Fall. In Neuholland z. B., wo allerdings Heirathen in demselben Stamme so gut wie gar nicht vorkommen, werden fruchtbare Ehen gar nicht selten erwähnt. Grey (a.a.O.) sah 41 Weiber, welche zusammen 188 Kinder hatten; und gar manches Volk in Amerika gibt es, welches eine sehr reichliche Kinderzahl besitzt, so die Stämme der Nordwestküste, die Nordindianer, welche Hearne besuchte, die Chippewais, die Sioux, die Mandans, und manche Südamerikaner, welche Waitz 1, 171-72 zusammenstellt. Und während einzelne Theile melanesischer Bevölkerung meist nur kinderarme Familien aufweisen, ist das Gegentheil bei anderen, z. B. den Fidschis der Fall; dieselben Gegensätze zeigt Mikronesien und Polynesien, in welchem letzteren Gebiet z. B. Tonga ganz anders als Tahiti und die Markesasinseln nur fruchtbare Ehen kennt. Und wer hat je etwas der Art von dem Brudervolk der Polynesier, von den Malaien gehört? Gedeihen sie nicht reichlich in ihrer Inselwelt und müsste nicht, wäre die Unfruchtbarkeit Raçencharakter, sie sich auch bei ihnen vorfinden?

Umgekehrt aber findet sie sich bei Kulturvölkern, bei denen die oben besprochenen Gründe wirksam sind, wofür Waitz 1, 173 einige Beispiele aufstellt. Wo diese Gründe aber wegfallen, da sind die Weiber auch sonst minder fruchtbarer Stämme mit Kindern gesegnet. Neuseeländerinnen mit Europäern (Dieffenbach 2, 152) und Botokudinnen mit Weissen oder Negern vermählt (Tschudi 2, 284) pflegen sehr fruchtbar zu sein, weil dann die Frau meist ein ruhigeres, besseres Leben hat, wie Tschudi dies sehr richtig a.a.O. erklärt, nicht aber etwa in Folge der Vermischung und des Einflusses einer höheren Raçe, da ja in der Ehe mit Negern dasselbe Verhältniss eintritt.

Wir würden schon hieraus die Unfruchtbarkeit der Weiber vollkommen erklärlich finden, ohne Hinzunahme einer so wenig begründeten Theorie, wie die von der minderen Zeugungsfähigkeit der hinschwindenden Raçen. Aber einen der wichtigsten Gründe, welcher nicht nur diese Unfruchtbarkeit, sondern überhaupt die Verringerung der Naturvölker nicht zum mindesten Theil erklärt, haben wir noch zu besprechen: es ist das weitverbreitete Tödten der Kinder vor oder gleich nach der Geburt.

Bei den Hottentotten (Sparmann 320) herrschte die Sitte, Säuglinge, deren Mutter starb, mit dieser zugleich zu begraben oder auszusetzen; ebenso tödteten sie von Zwillingen das eine Kind. Künstliche Fehlgeburten kamen häufig bei ihnen vor. Noch häufiger war dies alles bei den Buschmännern, welche bei ehelichen Streitigkeiten, bei Nahrungsmangel, der sie oft genug betraf, und bei eiliger Verfolgung die Kinder tödteten, aus Rache und Zorn gegen den Ehe-

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erschüttert wird. Und wäre sie es wirklich, so
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 Raçen zeigen. Aber das ist gar nicht der Fall. In Neuholland
 z. B., wo allerdings Heirathen in demselben Stamme so gut wie gar
 nicht vorkommen, werden fruchtbare Ehen gar nicht selten
 erwähnt. Grey (a.a.O.) sah 41 Weiber, welche zusammen 188
 Kinder hatten; und gar manches Volk in Amerika gibt es, welches
 eine sehr reichliche Kinderzahl besitzt, so die Stämme der
 Nordwestküste, die Nordindianer, welche Hearne besuchte, die
 Chippewais, die Sioux, die Mandans, und manche Südamerikaner,
 welche Waitz 1, 171-72 zusammenstellt. Und während einzelne
 Theile melanesischer Bevölkerung meist nur kinderarme Familien
 aufweisen, ist das Gegentheil bei anderen, z. B. den Fidschis der
 Fall; dieselben Gegensätze zeigt Mikronesien und Polynesien,
 in welchem letzteren Gebiet z. B. Tonga ganz anders als Tahiti und
 die Markesasinseln nur fruchtbare Ehen kennt. Und wer hat je etwas
 der Art von dem Brudervolk der Polynesier, von den Malaien
 gehört? Gedeihen sie nicht reichlich in ihrer Inselwelt und
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 Raçencharakter, sie sich auch bei ihnen vorfinden?</p>
        <p>Umgekehrt aber findet sie sich bei Kulturvölkern, bei denen
 die oben besprochenen Gründe wirksam sind, wofür Waitz 1,
 173 einige Beispiele aufstellt. Wo diese Gründe aber
 wegfallen, da sind die Weiber auch sonst minder fruchtbarer
 Stämme mit Kindern gesegnet. Neuseeländerinnen mit
 Europäern (Dieffenbach 2, 152) und Botokudinnen mit Weissen
 oder Negern vermählt (Tschudi 2, 284) pflegen sehr fruchtbar
 zu sein, weil dann die Frau meist ein ruhigeres, besseres Leben
 hat, wie Tschudi dies sehr richtig a.a.O. erklärt, nicht aber
 etwa in Folge der Vermischung und des Einflusses einer höheren
 Raçe, da ja in der Ehe mit Negern dasselbe Verhältniss
 eintritt.</p>
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 begründeten Theorie, wie die von der minderen
 Zeugungsfähigkeit der hinschwindenden Raçen. Aber einen
 der wichtigsten Gründe, welcher nicht nur diese
 Unfruchtbarkeit, sondern überhaupt die Verringerung der
 Naturvölker nicht zum mindesten Theil erklärt, haben wir
 noch zu besprechen: es ist das weitverbreitete Tödten der
 Kinder vor oder gleich nach der Geburt.</p>
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 Säuglinge, deren Mutter starb, mit dieser zugleich zu begraben
 oder auszusetzen; ebenso tödteten sie von Zwillingen das eine
 Kind. Künstliche Fehlgeburten kamen häufig bei ihnen vor.
 Noch häufiger war dies alles bei den Buschmännern, welche
 bei ehelichen Streitigkeiten, bei Nahrungsmangel, der sie oft genug
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[0062] erschüttert wird. Und wäre sie es wirklich, so müsste sie doch überall sich bei den betreffenden Raçen zeigen. Aber das ist gar nicht der Fall. In Neuholland z. B., wo allerdings Heirathen in demselben Stamme so gut wie gar nicht vorkommen, werden fruchtbare Ehen gar nicht selten erwähnt. Grey (a.a.O.) sah 41 Weiber, welche zusammen 188 Kinder hatten; und gar manches Volk in Amerika gibt es, welches eine sehr reichliche Kinderzahl besitzt, so die Stämme der Nordwestküste, die Nordindianer, welche Hearne besuchte, die Chippewais, die Sioux, die Mandans, und manche Südamerikaner, welche Waitz 1, 171-72 zusammenstellt. Und während einzelne Theile melanesischer Bevölkerung meist nur kinderarme Familien aufweisen, ist das Gegentheil bei anderen, z. B. den Fidschis der Fall; dieselben Gegensätze zeigt Mikronesien und Polynesien, in welchem letzteren Gebiet z. B. Tonga ganz anders als Tahiti und die Markesasinseln nur fruchtbare Ehen kennt. Und wer hat je etwas der Art von dem Brudervolk der Polynesier, von den Malaien gehört? Gedeihen sie nicht reichlich in ihrer Inselwelt und müsste nicht, wäre die Unfruchtbarkeit Raçencharakter, sie sich auch bei ihnen vorfinden? Umgekehrt aber findet sie sich bei Kulturvölkern, bei denen die oben besprochenen Gründe wirksam sind, wofür Waitz 1, 173 einige Beispiele aufstellt. Wo diese Gründe aber wegfallen, da sind die Weiber auch sonst minder fruchtbarer Stämme mit Kindern gesegnet. Neuseeländerinnen mit Europäern (Dieffenbach 2, 152) und Botokudinnen mit Weissen oder Negern vermählt (Tschudi 2, 284) pflegen sehr fruchtbar zu sein, weil dann die Frau meist ein ruhigeres, besseres Leben hat, wie Tschudi dies sehr richtig a.a.O. erklärt, nicht aber etwa in Folge der Vermischung und des Einflusses einer höheren Raçe, da ja in der Ehe mit Negern dasselbe Verhältniss eintritt. Wir würden schon hieraus die Unfruchtbarkeit der Weiber vollkommen erklärlich finden, ohne Hinzunahme einer so wenig begründeten Theorie, wie die von der minderen Zeugungsfähigkeit der hinschwindenden Raçen. Aber einen der wichtigsten Gründe, welcher nicht nur diese Unfruchtbarkeit, sondern überhaupt die Verringerung der Naturvölker nicht zum mindesten Theil erklärt, haben wir noch zu besprechen: es ist das weitverbreitete Tödten der Kinder vor oder gleich nach der Geburt. Bei den Hottentotten (Sparmann 320) herrschte die Sitte, Säuglinge, deren Mutter starb, mit dieser zugleich zu begraben oder auszusetzen; ebenso tödteten sie von Zwillingen das eine Kind. Künstliche Fehlgeburten kamen häufig bei ihnen vor. Noch häufiger war dies alles bei den Buschmännern, welche bei ehelichen Streitigkeiten, bei Nahrungsmangel, der sie oft genug betraf, und bei eiliger Verfolgung die Kinder tödteten, aus Rache und Zorn gegen den Ehe-

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/62>, abgerufen am 30.04.2024.