Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.Unterleib, bis Blut und bald darauf die Frucht abging, eine Operation, an der natürlich viele Weiber sogleich oder kurz darauf starben, andere wenigstens ihr ganzes Leben siechten (Azara a.a.O.). Auch bei den Abiponen herrschte dieser Gebrauch; mehr als zwei Kinder zogen sie nicht auf (Waitz 3, 476). Die Tobas (zwischen Abiponen und Guaikurus, östlich vom Paraguay) tödten viele ihrer Kinder (Waitz 3, 475), die Lules (östlich von den Tobas) alle unehelichen, von Zwillingskindern, welche für ein Zeichen von Untreue gelten, immer eins, und wenn die Matter stirbt, so begraben sie den Säugling mit ihr (Waitz 3, 480). Die Yurakares, westlich vom Titikaka-See, mordeten ihre Kinder, wenn sie keine Lust hatten, sie weiter zu verpflegen (Waitz b, 100). Die Moxos tödteten von Zwillingen immer das eine Kind und begruben kleine Kinder mit ihrer Mutter, wenn diese starb (Waitz 3, 537). Gegen Zwillingskinder wandten sie diese Massregel an, weil man in einer solchen Doppelgeburt etwas Thierähnliches sah (Waitz b, 100). Die Chiquitos (zwischen dem oberen Paraguay und dem Titikaka) hatten so wenig Anhänglichkeit an ihre Kinder, dass sie dieselben leicht fortgaben oder verkauften (Waitz 3, 530) und von den Minuanes (am unteren Parana) erzählt Azara 191 ganz ähnliches; waren die Kinder entwöhnt, so kümmerten sich die Eltern gar nicht mehr um sie, vielmehr wurden sie von verheiratheten Verwandten aufgezogen. Bei den caribischen Völkern herrschten dieselben Sitten, wie dies Humboldt b 4, 225-28 genauer schildert. Von Zwillingen tödten sie immer ein Kind, um nicht wie Ratten, Beuteltiere und das niederste Gethier, das viele Jungen zugleich wirft, zu sein, oder weil man auch hier in einer solchen Doppelgeburt ein Zeichen von Untreue sieht. Auch missgestaltete, ja selbst schwächliche Kinder werden getödtet, um sich der Last, die man später mit ihnen haben würde, zu entziehen. Die Frauen dieser Völker haben verschiedene Pflanzenaufgüsse, welche sie zum Abtreiben anwenden und zwar in verschiedenen Gegenden zu verschiedener Zeit, je nachdem sie es für die Gesundheit und die Schönheit früh oder spät Kinder zu bekommen für zuträglich halten. Auch bei den Makusis sieht Schomburgk (2, 312), so sehr er auch sich gegen diese Annahme sträubt, sich genöthigt, an künstliche Fehlgeburten zu glauben. Wenn er aber meint (313), dass Zwillinge bei ihnen nicht getödtet würden, und dass überhaupt solche Geburten höchst selten bei ihnen seien, weil er nur zweimal unter den Eingeborenen von Guyana, einmal unter den Makusis, einmal unter den Waikas Zwillinge sah und nie von ihnen reden hörte, so ist das sicherlich unrichtig, denn er selbst erzählt, dass die Frauen jener Völker auf seine Bemerkung, die Europäerinnen bekämen bisweilen zwei, ja drei Kinder, den Mund spöttisch verziehend geantwortet hätten: wir sind keine Hündinnen, die einen Haufen Junge Unterleib, bis Blut und bald darauf die Frucht abging, eine Operation, an der natürlich viele Weiber sogleich oder kurz darauf starben, andere wenigstens ihr ganzes Leben siechten (Azara a.a.O.). Auch bei den Abiponen herrschte dieser Gebrauch; mehr als zwei Kinder zogen sie nicht auf (Waitz 3, 476). Die Tobas (zwischen Abiponen und Guaikurus, östlich vom Paraguay) tödten viele ihrer Kinder (Waitz 3, 475), die Lules (östlich von den Tobas) alle unehelichen, von Zwillingskindern, welche für ein Zeichen von Untreue gelten, immer eins, und wenn die Matter stirbt, so begraben sie den Säugling mit ihr (Waitz 3, 480). Die Yurakares, westlich vom Titikaka-See, mordeten ihre Kinder, wenn sie keine Lust hatten, sie weiter zu verpflegen (Waitz b, 100). Die Moxos tödteten von Zwillingen immer das eine Kind und begruben kleine Kinder mit ihrer Mutter, wenn diese starb (Waitz 3, 537). Gegen Zwillingskinder wandten sie diese Massregel an, weil man in einer solchen Doppelgeburt etwas Thierähnliches sah (Waitz b, 100). Die Chiquitos (zwischen dem oberen Paraguay und dem Titikaka) hatten so wenig Anhänglichkeit an ihre Kinder, dass sie dieselben leicht fortgaben oder verkauften (Waitz 3, 530) und von den Minuanes (am unteren Parana) erzählt Azara 191 ganz ähnliches; waren die Kinder entwöhnt, so kümmerten sich die Eltern gar nicht mehr um sie, vielmehr wurden sie von verheiratheten Verwandten aufgezogen. Bei den caribischen Völkern herrschten dieselben Sitten, wie dies Humboldt b 4, 225-28 genauer schildert. Von Zwillingen tödten sie immer ein Kind, um nicht wie Ratten, Beuteltiere und das niederste Gethier, das viele Jungen zugleich wirft, zu sein, oder weil man auch hier in einer solchen Doppelgeburt ein Zeichen von Untreue sieht. Auch missgestaltete, ja selbst schwächliche Kinder werden getödtet, um sich der Last, die man später mit ihnen haben würde, zu entziehen. Die Frauen dieser Völker haben verschiedene Pflanzenaufgüsse, welche sie zum Abtreiben anwenden und zwar in verschiedenen Gegenden zu verschiedener Zeit, je nachdem sie es für die Gesundheit und die Schönheit früh oder spät Kinder zu bekommen für zuträglich halten. Auch bei den Makusis sieht Schomburgk (2, 312), so sehr er auch sich gegen diese Annahme sträubt, sich genöthigt, an künstliche Fehlgeburten zu glauben. Wenn er aber meint (313), dass Zwillinge bei ihnen nicht getödtet würden, und dass überhaupt solche Geburten höchst selten bei ihnen seien, weil er nur zweimal unter den Eingeborenen von Guyana, einmal unter den Makusis, einmal unter den Waikas Zwillinge sah und nie von ihnen reden hörte, so ist das sicherlich unrichtig, denn er selbst erzählt, dass die Frauen jener Völker auf seine Bemerkung, die Europäerinnen bekämen bisweilen zwei, ja drei Kinder, den Mund spöttisch verziehend geantwortet hätten: wir sind keine Hündinnen, die einen Haufen Junge <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0064"/> Unterleib, bis Blut und bald darauf die Frucht abging, eine Operation, an der natürlich viele Weiber sogleich oder kurz darauf starben, andere wenigstens ihr ganzes Leben siechten (Azara a.a.O.). Auch bei den Abiponen herrschte dieser Gebrauch; mehr als zwei Kinder zogen sie nicht auf (Waitz 3, 476). Die Tobas (zwischen Abiponen und Guaikurus, östlich vom Paraguay) tödten viele ihrer Kinder (Waitz 3, 475), die Lules (östlich von den Tobas) alle unehelichen, von Zwillingskindern, welche für ein Zeichen von Untreue gelten, immer eins, und wenn die Matter stirbt, so begraben sie den Säugling mit ihr (Waitz 3, 480). Die Yurakares, westlich vom Titikaka-See, mordeten ihre Kinder, wenn sie keine Lust hatten, sie weiter zu verpflegen (Waitz b, 100). Die Moxos tödteten von Zwillingen immer das eine Kind und begruben kleine Kinder mit ihrer Mutter, wenn diese starb (Waitz 3, 537). Gegen Zwillingskinder wandten sie diese Massregel an, weil man in einer solchen Doppelgeburt etwas Thierähnliches sah (Waitz b, 100). Die Chiquitos (zwischen dem oberen Paraguay und dem Titikaka) hatten so wenig Anhänglichkeit an ihre Kinder, dass sie dieselben leicht fortgaben oder verkauften (Waitz 3, 530) und von den Minuanes (am unteren Parana) erzählt Azara 191 ganz ähnliches; waren die Kinder entwöhnt, so kümmerten sich die Eltern gar nicht mehr um sie, vielmehr wurden sie von verheiratheten Verwandten aufgezogen. Bei den caribischen Völkern herrschten dieselben Sitten, wie dies Humboldt b 4, 225-28 genauer schildert. Von Zwillingen tödten sie immer ein Kind, um nicht wie Ratten, Beuteltiere und das niederste Gethier, das viele Jungen zugleich wirft, zu sein, oder weil man auch hier in einer solchen Doppelgeburt ein Zeichen von Untreue sieht. Auch missgestaltete, ja selbst schwächliche Kinder werden getödtet, um sich der Last, die man später mit ihnen haben würde, zu entziehen. Die Frauen dieser Völker haben verschiedene Pflanzenaufgüsse, welche sie zum Abtreiben anwenden und zwar in verschiedenen Gegenden zu verschiedener Zeit, je nachdem sie es für die Gesundheit und die Schönheit früh oder spät Kinder zu bekommen für zuträglich halten. Auch bei den Makusis sieht Schomburgk (2, 312), so sehr er auch sich gegen diese Annahme sträubt, sich genöthigt, an künstliche Fehlgeburten zu glauben. Wenn er aber meint (313), dass Zwillinge bei ihnen nicht getödtet würden, und dass überhaupt solche Geburten höchst selten bei ihnen seien, weil er nur zweimal unter den Eingeborenen von Guyana, einmal unter den Makusis, einmal unter den Waikas Zwillinge sah und nie von ihnen reden hörte, so ist das sicherlich unrichtig, denn er selbst erzählt, dass die Frauen jener Völker auf seine Bemerkung, die Europäerinnen bekämen bisweilen zwei, ja drei Kinder, den Mund spöttisch verziehend geantwortet hätten: wir sind keine Hündinnen, die einen Haufen Junge </p> </div> </body> </text> </TEI> [0064]
Unterleib, bis Blut und bald darauf die Frucht abging, eine Operation, an der natürlich viele Weiber sogleich oder kurz darauf starben, andere wenigstens ihr ganzes Leben siechten (Azara a.a.O.). Auch bei den Abiponen herrschte dieser Gebrauch; mehr als zwei Kinder zogen sie nicht auf (Waitz 3, 476). Die Tobas (zwischen Abiponen und Guaikurus, östlich vom Paraguay) tödten viele ihrer Kinder (Waitz 3, 475), die Lules (östlich von den Tobas) alle unehelichen, von Zwillingskindern, welche für ein Zeichen von Untreue gelten, immer eins, und wenn die Matter stirbt, so begraben sie den Säugling mit ihr (Waitz 3, 480). Die Yurakares, westlich vom Titikaka-See, mordeten ihre Kinder, wenn sie keine Lust hatten, sie weiter zu verpflegen (Waitz b, 100). Die Moxos tödteten von Zwillingen immer das eine Kind und begruben kleine Kinder mit ihrer Mutter, wenn diese starb (Waitz 3, 537). Gegen Zwillingskinder wandten sie diese Massregel an, weil man in einer solchen Doppelgeburt etwas Thierähnliches sah (Waitz b, 100). Die Chiquitos (zwischen dem oberen Paraguay und dem Titikaka) hatten so wenig Anhänglichkeit an ihre Kinder, dass sie dieselben leicht fortgaben oder verkauften (Waitz 3, 530) und von den Minuanes (am unteren Parana) erzählt Azara 191 ganz ähnliches; waren die Kinder entwöhnt, so kümmerten sich die Eltern gar nicht mehr um sie, vielmehr wurden sie von verheiratheten Verwandten aufgezogen. Bei den caribischen Völkern herrschten dieselben Sitten, wie dies Humboldt b 4, 225-28 genauer schildert. Von Zwillingen tödten sie immer ein Kind, um nicht wie Ratten, Beuteltiere und das niederste Gethier, das viele Jungen zugleich wirft, zu sein, oder weil man auch hier in einer solchen Doppelgeburt ein Zeichen von Untreue sieht. Auch missgestaltete, ja selbst schwächliche Kinder werden getödtet, um sich der Last, die man später mit ihnen haben würde, zu entziehen. Die Frauen dieser Völker haben verschiedene Pflanzenaufgüsse, welche sie zum Abtreiben anwenden und zwar in verschiedenen Gegenden zu verschiedener Zeit, je nachdem sie es für die Gesundheit und die Schönheit früh oder spät Kinder zu bekommen für zuträglich halten. Auch bei den Makusis sieht Schomburgk (2, 312), so sehr er auch sich gegen diese Annahme sträubt, sich genöthigt, an künstliche Fehlgeburten zu glauben. Wenn er aber meint (313), dass Zwillinge bei ihnen nicht getödtet würden, und dass überhaupt solche Geburten höchst selten bei ihnen seien, weil er nur zweimal unter den Eingeborenen von Guyana, einmal unter den Makusis, einmal unter den Waikas Zwillinge sah und nie von ihnen reden hörte, so ist das sicherlich unrichtig, denn er selbst erzählt, dass die Frauen jener Völker auf seine Bemerkung, die Europäerinnen bekämen bisweilen zwei, ja drei Kinder, den Mund spöttisch verziehend geantwortet hätten: wir sind keine Hündinnen, die einen Haufen Junge
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Zitationshilfe: | Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/64>, abgerufen am 16.06.2024. |