Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.sehr ausgedehnt. So brauchen nach Angas 1, 68 die Eingeborenen von Lake Albert die Schädel ihrer Feinde als Trinkgeschirre, ganz wie die Inkas von Peru (Waitz 4, 413) und die Abiponer, und nach dem bekannten Zeugniss des Paulus Diaconus, die Langobarden.*) Ferner sollen Kannibalen im Innern des Landes leben (Angas 2, 231); ganz sicher verzehren im Norden Freunde ein Stück vom verstorbenen Freund und an Moretonbai assen (Angas 1, 73) Eltern aus Liebe von dem Fleische ihrer todten Kinder, eine Sitte, welche nach Anderen auf geliebte Verwandte überhaupt ausgedehnt ist (Howitt a, 289. Austral, Felix 134). Sie findet sich auch zu Hawaii: dort ass das Volk aus Liebe Fleisch von der Leiche seiner verstorbenen Fürsten (Remy XLVIII. 125.**)) Auch Aberglaube diente dazu den Kannibalismus zu verbreiten. Wie bei den Potowatomi und den Miami in Nordamerika, wie in so manchem indisch-arabischen Mährchen der Genuss des Menschenfleisches höhere übermenschliche Kraft gibt -- ein Zug, der auch, wie wohl verdunkelt, in deutschen Sagen vorkommt (Bechstein, Sagen des Rhöngeb. u. d. Grabfeldes 60 ff.)***) -- ebenso *) Jak. Grimm, Gesch. d. d. Sprache 1. Aufl. (1848) S. 143 ff. stellt eine Menge Völker zusammen, bei welchen derselbe Gebrauch vorkam: Scythen (Issedonen, nach Mela 3. Auflage 1868), Kelten (3. Auflage), Germanen verschiedener Stämme (Deutsche, Schweden) Romanen und Slaven. Merkwürdig ist, dass auch bei Heiligen-Schädeln der Gebrauch vorkommt, so zu Trier, zu Neuss, und nach Aventin (Ausg. v. 1566 fol. 33, a) zu Ebersberg und Regensburg. Der Gebrauch ist also derselbe; man sieht, es war wohl zunächst eine Art von Kannibalismus, dann aber auch ein Zeichen der Freundschaft, der Liebe, dankbarer Erinnerung. Zu beachten ist noch, dass Aventin sagt, Niemand hätte aus einem solchen Schädel trinken dürfen, wer nicht einen Feind erschlagen hätte, da auch dieser Zug an manches Aehnliche unter den Naturvölkern erinnert. Doch können wir diese höchst merkwürdigen Uebereinstimmungen hier nicht weiter verfolgen. **) Herod. 4, 26 (nach Grimm a.a.O.) sagt von den Issedonen epeaan andri apothane paer, oi prosekhontes pantes prosagousi probatakhai epeiten tauta thusantes khai khatatamontes ta khrea khattaamnousi khai ton tou dekhomenou tethneota gonea, anamixantes de panta ta khrea daita protitheatai. Auch die Wilzen und Skythen assen ihre verstorbenen Eltern. Die Wenden tödteten noch im 16. Jahrhundert ihre arbeitsuntüchtigen Väter unter besonderen Ceremonien (Kühn, märkische Sagen und Mährchen 335). Auch hier stehen wir vor einer uralten und weit verbreiteten Sitte, die wir hier ebenfalls nur berühren, nicht abhandeln können. Vgl. was etwas weiter unten über Mare und Neuguinea gesagt wird. Ueber dieselbe Sitte bei Römern, Griechen, Phöniziern (Sardinien), spanischen, deutschen u.a. Völkern siehe Merklin in den Memoires de l'academie de Petersbourg 1852 S. 119 und Osenbrüggen in der Vorrede zu Cicero pro S. Roscio p. 51 ff. Auch das litauische Sprichwort (Schleicher lit. Mährchen 179) "wie das Söhnchen heranwächst, hat es auch den Vater erwürgt", könnte auf eine ähnliche, jetzt längst abgekommene Sitte hinweisen. ***) Bei Bechst. bekommen Knaben nach Genuss einer Zauberspeise die Fähigkeit zu fliegen. In einem sehr ähnlichen indischen Mährchen bei Somadeva (Brockhaus 104) ist diese Speise Menschenfleisch. Ein Zusammenhang beider Erzählungen wäre nicht undenkbar.
sehr ausgedehnt. So brauchen nach Angas 1, 68 die Eingeborenen von Lake Albert die Schädel ihrer Feinde als Trinkgeschirre, ganz wie die Inkas von Peru (Waitz 4, 413) und die Abiponer, und nach dem bekannten Zeugniss des Paulus Diaconus, die Langobarden.*) Ferner sollen Kannibalen im Innern des Landes leben (Angas 2, 231); ganz sicher verzehren im Norden Freunde ein Stück vom verstorbenen Freund und an Moretonbai assen (Angas 1, 73) Eltern aus Liebe von dem Fleische ihrer todten Kinder, eine Sitte, welche nach Anderen auf geliebte Verwandte überhaupt ausgedehnt ist (Howitt a, 289. Austral, Felix 134). Sie findet sich auch zu Hawaii: dort ass das Volk aus Liebe Fleisch von der Leiche seiner verstorbenen Fürsten (Remy XLVIII. 125.**)) Auch Aberglaube diente dazu den Kannibalismus zu verbreiten. Wie bei den Potowatomi und den Miami in Nordamerika, wie in so manchem indisch-arabischen Mährchen der Genuss des Menschenfleisches höhere übermenschliche Kraft gibt — ein Zug, der auch, wie wohl verdunkelt, in deutschen Sagen vorkommt (Bechstein, Sagen des Rhöngeb. u. d. Grabfeldes 60 ff.)***) — ebenso *) Jak. Grimm, Gesch. d. d. Sprache 1. Aufl. (1848) S. 143 ff. stellt eine Menge Völker zusammen, bei welchen derselbe Gebrauch vorkam: Scythen (Issedonen, nach Mela 3. Auflage 1868), Kelten (3. Auflage), Germanen verschiedener Stämme (Deutsche, Schweden) Romanen und Slaven. Merkwürdig ist, dass auch bei Heiligen-Schädeln der Gebrauch vorkommt, so zu Trier, zu Neuss, und nach Aventin (Ausg. v. 1566 fol. 33, a) zu Ebersberg und Regensburg. Der Gebrauch ist also derselbe; man sieht, es war wohl zunächst eine Art von Kannibalismus, dann aber auch ein Zeichen der Freundschaft, der Liebe, dankbarer Erinnerung. Zu beachten ist noch, dass Aventin sagt, Niemand hätte aus einem solchen Schädel trinken dürfen, wer nicht einen Feind erschlagen hätte, da auch dieser Zug an manches Aehnliche unter den Naturvölkern erinnert. Doch können wir diese höchst merkwürdigen Uebereinstimmungen hier nicht weiter verfolgen. **) Herod. 4, 26 (nach Grimm a.a.O.) sagt von den Issedonen ἐπεὰαν ἀνδρὶ ἀποθάνη παὴρ, οἱ προσἠχοντες πάντες προσάγουσι πρόβαταχαὶ ἔπειτεν ταῠτα θὑσαντες χαὶ χαταταμόντες τὰ χρέα χατταάμνουσι χαὶ τὸν τοῠ δεχομένου τεθνεῶτα γονέα, ἀναμίξαντες δὲ πάντα τὰ χρέα δαῑτα προτιθέαται. Auch die Wilzen und Skythen assen ihre verstorbenen Eltern. Die Wenden tödteten noch im 16. Jahrhundert ihre arbeitsuntüchtigen Väter unter besonderen Ceremonien (Kühn, märkische Sagen und Mährchen 335). Auch hier stehen wir vor einer uralten und weit verbreiteten Sitte, die wir hier ebenfalls nur berühren, nicht abhandeln können. Vgl. was etwas weiter unten über Mare und Neuguinea gesagt wird. Ueber dieselbe Sitte bei Römern, Griechen, Phöniziern (Sardinien), spanischen, deutschen u.a. Völkern siehe Merklin in den Memoires de l'academie de Petersbourg 1852 S. 119 und Osenbrüggen in der Vorrede zu Cicero pro S. Roscio p. 51 ff. Auch das litauische Sprichwort (Schleicher lit. Mährchen 179) »wie das Söhnchen heranwächst, hat es auch den Vater erwürgt«, könnte auf eine ähnliche, jetzt längst abgekommene Sitte hinweisen. ***) Bei Bechst. bekommen Knaben nach Genuss einer Zauberspeise die Fähigkeit zu fliegen. In einem sehr ähnlichen indischen Mährchen bei Somadeva (Brockhaus 104) ist diese Speise Menschenfleisch. Ein Zusammenhang beider Erzählungen wäre nicht undenkbar.
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sehr ausgedehnt. So brauchen nach Angas 1, 68 die Eingeborenen von Lake Albert die Schädel ihrer Feinde als Trinkgeschirre, ganz wie die Inkas von Peru (Waitz 4, 413) und die Abiponer, und nach dem bekannten Zeugniss des Paulus Diaconus, die Langobarden. *) Ferner sollen Kannibalen im Innern des Landes leben (Angas 2, 231); ganz sicher verzehren im Norden Freunde ein Stück vom verstorbenen Freund und an Moretonbai assen (Angas 1, 73) Eltern aus Liebe von dem Fleische ihrer todten Kinder, eine Sitte, welche nach Anderen auf geliebte Verwandte überhaupt ausgedehnt ist (Howitt a, 289. Austral, Felix 134). Sie findet sich auch zu Hawaii: dort ass das Volk aus Liebe Fleisch von der Leiche seiner verstorbenen Fürsten (Remy XLVIII. 125. **)) Auch Aberglaube diente dazu den Kannibalismus zu verbreiten. Wie bei den Potowatomi und den Miami in Nordamerika, wie in so manchem indisch-arabischen Mährchen der Genuss des Menschenfleisches höhere übermenschliche Kraft gibt — ein Zug, der auch, wie wohl verdunkelt, in deutschen Sagen vorkommt (Bechstein, Sagen des Rhöngeb. u. d. Grabfeldes 60 ff.) ***) — ebenso
*) Jak. Grimm, Gesch. d. d. Sprache 1. Aufl. (1848) S. 143 ff. stellt eine Menge Völker zusammen, bei welchen derselbe Gebrauch vorkam: Scythen (Issedonen, nach Mela 3. Auflage 1868), Kelten (3. Auflage), Germanen verschiedener Stämme (Deutsche, Schweden) Romanen und Slaven. Merkwürdig ist, dass auch bei Heiligen-Schädeln der Gebrauch vorkommt, so zu Trier, zu Neuss, und nach Aventin (Ausg. v. 1566 fol. 33, a) zu Ebersberg und Regensburg. Der Gebrauch ist also derselbe; man sieht, es war wohl zunächst eine Art von Kannibalismus, dann aber auch ein Zeichen der Freundschaft, der Liebe, dankbarer Erinnerung. Zu beachten ist noch, dass Aventin sagt, Niemand hätte aus einem solchen Schädel trinken dürfen, wer nicht einen Feind erschlagen hätte, da auch dieser Zug an manches Aehnliche unter den Naturvölkern erinnert. Doch können wir diese höchst merkwürdigen Uebereinstimmungen hier nicht weiter verfolgen.
**) Herod. 4, 26 (nach Grimm a.a.O.) sagt von den Issedonen ἐπεὰαν ἀνδρὶ ἀποθάνη παὴρ, οἱ προσἠχοντες πάντες προσάγουσι πρόβαταχαὶ ἔπειτεν ταῠτα θὑσαντες χαὶ χαταταμόντες τὰ χρέα χατταάμνουσι χαὶ τὸν τοῠ δεχομένου τεθνεῶτα γονέα, ἀναμίξαντες δὲ πάντα τὰ χρέα δαῑτα προτιθέαται. Auch die Wilzen und Skythen assen ihre verstorbenen Eltern. Die Wenden tödteten noch im 16. Jahrhundert ihre arbeitsuntüchtigen Väter unter besonderen Ceremonien (Kühn, märkische Sagen und Mährchen 335). Auch hier stehen wir vor einer uralten und weit verbreiteten Sitte, die wir hier ebenfalls nur berühren, nicht abhandeln können. Vgl. was etwas weiter unten über Mare und Neuguinea gesagt wird. Ueber dieselbe Sitte bei Römern, Griechen, Phöniziern (Sardinien), spanischen, deutschen u.a. Völkern siehe Merklin in den Memoires de l'academie de Petersbourg 1852 S. 119 und Osenbrüggen in der Vorrede zu Cicero pro S. Roscio p. 51 ff. Auch das litauische Sprichwort (Schleicher lit. Mährchen 179) »wie das Söhnchen heranwächst, hat es auch den Vater erwürgt«, könnte auf eine ähnliche, jetzt längst abgekommene Sitte hinweisen.
***) Bei Bechst. bekommen Knaben nach Genuss einer Zauberspeise die Fähigkeit zu fliegen. In einem sehr ähnlichen indischen Mährchen bei Somadeva (Brockhaus 104) ist diese Speise Menschenfleisch. Ein Zusammenhang beider Erzählungen wäre nicht undenkbar.
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Zitationshilfe: | Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/78>, abgerufen am 16.06.2024. |