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Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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fältiger, seine große, ungeschlachte Gestalt noch linkischer aus, als sonst.

Eine Schönheit ist er nicht, dachte Madame Bardet, indeß sie Wein, Maisbrod, Käse und Speckkuchen zum Vesperbrod auftrug. Aber ein Mädchen, das dreiundzwanzig Jahre alt ist, wie die Claudine, kann von Glück sagen, wenn sich noch solch ein Freier findet, und gesund ist's der hochmüthigen Närrin, wenn sie einsehen lernt, daß man nicht Alles auf einmal haben kann. Die besten Anträge hat sie ausgeschlagen . . . soll mich wundern, was sie zu diesem sagt? Nun, ich hoffe, daß Bardet und der Schwager Wort halten und ihr diesmal zeigen, wer zu befehlen hat. Jesus Maria! schrie sie plötzlich auf, denn eben trat Claudine in die Thür mit beschmutzten Kleidern und erhitztem Gesicht, das aufgelös'te Haar nachlässig unter das Kopftuch zurückgestrichen . . . so kam sie zur Brautschau! Und statt der Base zu folgen, die ihre Hand faßte, um sie in die Nebenkammer zu führen, machte sie sich los, ging geradeaus an den Tisch, wo der Henriot saß, sank mit den Worten: Bitte Oheim, laßt anspannen, unser Wagen ist zerbrochen! -- auf die Fensterbank, grüßte den Henriot mit einem Kopfnicken, wie jeden andern gleichgiltigen Menschen und berichtete dann von ihrem Unfall, als ob nichts Anderes auf der Welt von Wichtigkeit für sie wäre.

Sie waren früh aufgebrochen, der Müller hatte selbst gefahren, und sie waren schon über die St. Aventius-

fältiger, seine große, ungeschlachte Gestalt noch linkischer aus, als sonst.

Eine Schönheit ist er nicht, dachte Madame Bardet, indeß sie Wein, Maisbrod, Käse und Speckkuchen zum Vesperbrod auftrug. Aber ein Mädchen, das dreiundzwanzig Jahre alt ist, wie die Claudine, kann von Glück sagen, wenn sich noch solch ein Freier findet, und gesund ist's der hochmüthigen Närrin, wenn sie einsehen lernt, daß man nicht Alles auf einmal haben kann. Die besten Anträge hat sie ausgeschlagen . . . soll mich wundern, was sie zu diesem sagt? Nun, ich hoffe, daß Bardet und der Schwager Wort halten und ihr diesmal zeigen, wer zu befehlen hat. Jesus Maria! schrie sie plötzlich auf, denn eben trat Claudine in die Thür mit beschmutzten Kleidern und erhitztem Gesicht, das aufgelös'te Haar nachlässig unter das Kopftuch zurückgestrichen . . . so kam sie zur Brautschau! Und statt der Base zu folgen, die ihre Hand faßte, um sie in die Nebenkammer zu führen, machte sie sich los, ging geradeaus an den Tisch, wo der Henriot saß, sank mit den Worten: Bitte Oheim, laßt anspannen, unser Wagen ist zerbrochen! — auf die Fensterbank, grüßte den Henriot mit einem Kopfnicken, wie jeden andern gleichgiltigen Menschen und berichtete dann von ihrem Unfall, als ob nichts Anderes auf der Welt von Wichtigkeit für sie wäre.

Sie waren früh aufgebrochen, der Müller hatte selbst gefahren, und sie waren schon über die St. Aventius-

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[0014] fältiger, seine große, ungeschlachte Gestalt noch linkischer aus, als sonst. Eine Schönheit ist er nicht, dachte Madame Bardet, indeß sie Wein, Maisbrod, Käse und Speckkuchen zum Vesperbrod auftrug. Aber ein Mädchen, das dreiundzwanzig Jahre alt ist, wie die Claudine, kann von Glück sagen, wenn sich noch solch ein Freier findet, und gesund ist's der hochmüthigen Närrin, wenn sie einsehen lernt, daß man nicht Alles auf einmal haben kann. Die besten Anträge hat sie ausgeschlagen . . . soll mich wundern, was sie zu diesem sagt? Nun, ich hoffe, daß Bardet und der Schwager Wort halten und ihr diesmal zeigen, wer zu befehlen hat. Jesus Maria! schrie sie plötzlich auf, denn eben trat Claudine in die Thür mit beschmutzten Kleidern und erhitztem Gesicht, das aufgelös'te Haar nachlässig unter das Kopftuch zurückgestrichen . . . so kam sie zur Brautschau! Und statt der Base zu folgen, die ihre Hand faßte, um sie in die Nebenkammer zu führen, machte sie sich los, ging geradeaus an den Tisch, wo der Henriot saß, sank mit den Worten: Bitte Oheim, laßt anspannen, unser Wagen ist zerbrochen! — auf die Fensterbank, grüßte den Henriot mit einem Kopfnicken, wie jeden andern gleichgiltigen Menschen und berichtete dann von ihrem Unfall, als ob nichts Anderes auf der Welt von Wichtigkeit für sie wäre. Sie waren früh aufgebrochen, der Müller hatte selbst gefahren, und sie waren schon über die St. Aventius-

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:29:37Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:29:37Z)

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Zitationshilfe: Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/14>, abgerufen am 26.04.2024.