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Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Als du von uns fort warst, mochten wir nicht in der Waldhütte bleiben. In St. Benoeit wollte die Mariannette aber auch nicht wohnen, und so zogen wir denn nach Jurancon, wo es mir mit der Zeit gelang, unser Elternhaus an mich zu bringen. Ich ging Jahr aus, Jahr ein mit meinem Kasten im Lande umher, die Mariannette spann für Geld. So kamen wir rechtschaffen durchs Leben, ich mit Lachen und sie mit Lamentiren, wie das Jedem von uns in der Natur lag.

Ihre Klagen hörte aber Niemand als ich, denn die Mariannette war gewissermaßen menschenscheu. Ihre Rede war immer: "Die Leute sind schlecht!" und als ich einsah, daß sie sich wirklich am wohlsten fühlte, wenn sie einsam oder doch mit mir allein war, ließ ich sie in ihrem stillen Winkel.

Nur mit einem Menschen hat sie in ihren letzten Lebensjahren eine Ausnahme gemacht, mit dem Francois nämlich . . .

Mit dir? fiel Claudine ein; warum hast du mir das nie gesagt?

Weil sie mich bat, mit keinem Menschen von ihr zu sprechen, antwortete Francois. Sie hatte eine Art Freundschaft für mich gefaßt, weil ich sie eines Abends von einer Rotte böser Carnevalsbuben losmachte, die sie verhöhnten. Seitdem mußte ich immer bei ihr einkehren, wenn ich des Weges kam, und dann ließ sie sich allerhand erzählen, am liebsten von dir, Claudine. Wenn sie von dir sprach, redete sie aber, als ob du

Als du von uns fort warst, mochten wir nicht in der Waldhütte bleiben. In St. Benoît wollte die Mariannette aber auch nicht wohnen, und so zogen wir denn nach Jurançon, wo es mir mit der Zeit gelang, unser Elternhaus an mich zu bringen. Ich ging Jahr aus, Jahr ein mit meinem Kasten im Lande umher, die Mariannette spann für Geld. So kamen wir rechtschaffen durchs Leben, ich mit Lachen und sie mit Lamentiren, wie das Jedem von uns in der Natur lag.

Ihre Klagen hörte aber Niemand als ich, denn die Mariannette war gewissermaßen menschenscheu. Ihre Rede war immer: „Die Leute sind schlecht!“ und als ich einsah, daß sie sich wirklich am wohlsten fühlte, wenn sie einsam oder doch mit mir allein war, ließ ich sie in ihrem stillen Winkel.

Nur mit einem Menschen hat sie in ihren letzten Lebensjahren eine Ausnahme gemacht, mit dem François nämlich . . .

Mit dir? fiel Claudine ein; warum hast du mir das nie gesagt?

Weil sie mich bat, mit keinem Menschen von ihr zu sprechen, antwortete François. Sie hatte eine Art Freundschaft für mich gefaßt, weil ich sie eines Abends von einer Rotte böser Carnevalsbuben losmachte, die sie verhöhnten. Seitdem mußte ich immer bei ihr einkehren, wenn ich des Weges kam, und dann ließ sie sich allerhand erzählen, am liebsten von dir, Claudine. Wenn sie von dir sprach, redete sie aber, als ob du

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:29:37Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:29:37Z)

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Zitationshilfe: Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/65>, abgerufen am 08.05.2024.