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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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Lusineem (Anagramm von Melusine) und wurden
Gründer eines mächtigen Hauses, und zählten Könige
und Herzoge unter ihren Söhnen. Bis auf die Zeiten
der Catharina von Medicis giengen die Sagen von
der Fee in der Gegend um; nach Brantomes Bericht
erzählte das Volk von dieser Königin, wie man sie oft
an der Quelle baden sähe, in Gestalt eines schönen
Weibes in Wittwenkleidern. Andere berichteten,
wie sie Samstags um die Vesperzeit, aber
selten, weil sie sich da nicht gern sehen lasse,
badend halb als schönes Weib, halb als Schlange
erscheine; noch Andere, wie sie bisweilen auf einem
hohen Thurm sich zeige in schöner Gestalt und auch oft
als Schlange. So oft ein großes Unglück dem König-
reich bevorstehe, oder ihren Nachkommen, wollte man
sie gleichfalls drei Tage vorher ein scharfes, furchtbares
Geschrei ausstoßen gehört haben. Alle diese Sagen
hatte die Familie seit langen Zeiten schon gesammelt,
und in ihren Archiven niedergelegt, und daraus hatte
Jean d'Arras das Gedicht in Versen um 1387 gebildet,
das 1500 zuerst in Fol. Paris gedruckt wurde, 1584
revidirt in 4, nachher in Prosa aufgelöst und moderni-
sirt, und von dieser Umarbeitung von Nodot ist dann
das Volksbuch ausgegangen.


Luſineem (Anagramm von Meluſine) und wurden
Gründer eines mächtigen Hauſes, und zählten Könige
und Herzoge unter ihren Söhnen. Bis auf die Zeiten
der Catharina von Medicis giengen die Sagen von
der Fee in der Gegend um; nach Brantomes Bericht
erzählte das Volk von dieſer Königin, wie man ſie oft
an der Quelle baden ſähe, in Geſtalt eines ſchönen
Weibes in Wittwenkleidern. Andere berichteten,
wie ſie Samſtags um die Veſperzeit, aber
ſelten, weil ſie ſich da nicht gern ſehen laſſe,
badend halb als ſchönes Weib, halb als Schlange
erſcheine; noch Andere, wie ſie bisweilen auf einem
hohen Thurm ſich zeige in ſchöner Geſtalt und auch oft
als Schlange. So oft ein großes Unglück dem König-
reich bevorſtehe, oder ihren Nachkommen, wollte man
ſie gleichfalls drei Tage vorher ein ſcharfes, furchtbares
Geſchrei ausſtoßen gehört haben. Alle dieſe Sagen
hatte die Familie ſeit langen Zeiten ſchon geſammelt,
und in ihren Archiven niedergelegt, und daraus hatte
Jean d’Arras das Gedicht in Verſen um 1387 gebildet,
das 1500 zuerſt in Fol. Paris gedruckt wurde, 1584
revidirt in 4, nachher in Proſa aufgelöſt und moderni-
ſirt, und von dieſer Umarbeitung von Nodot iſt dann
das Volksbuch ausgegangen.


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[237/0255] Luſineem (Anagramm von Meluſine) und wurden Gründer eines mächtigen Hauſes, und zählten Könige und Herzoge unter ihren Söhnen. Bis auf die Zeiten der Catharina von Medicis giengen die Sagen von der Fee in der Gegend um; nach Brantomes Bericht erzählte das Volk von dieſer Königin, wie man ſie oft an der Quelle baden ſähe, in Geſtalt eines ſchönen Weibes in Wittwenkleidern. Andere berichteten, wie ſie Samſtags um die Veſperzeit, aber ſelten, weil ſie ſich da nicht gern ſehen laſſe, badend halb als ſchönes Weib, halb als Schlange erſcheine; noch Andere, wie ſie bisweilen auf einem hohen Thurm ſich zeige in ſchöner Geſtalt und auch oft als Schlange. So oft ein großes Unglück dem König- reich bevorſtehe, oder ihren Nachkommen, wollte man ſie gleichfalls drei Tage vorher ein ſcharfes, furchtbares Geſchrei ausſtoßen gehört haben. Alle dieſe Sagen hatte die Familie ſeit langen Zeiten ſchon geſammelt, und in ihren Archiven niedergelegt, und daraus hatte Jean d’Arras das Gedicht in Verſen um 1387 gebildet, das 1500 zuerſt in Fol. Paris gedruckt wurde, 1584 revidirt in 4, nachher in Proſa aufgelöſt und moderni- ſirt, und von dieſer Umarbeitung von Nodot iſt dann das Volksbuch ausgegangen.

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/255>, abgerufen am 29.04.2024.