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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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Idee näher uns befreundet, daß im allgemeinen Ge-
dankenkreise die untersten Regionen auch etwas gelten
und bedeuten mögten, und daß der große Literatur-
staat sein Haus der Gemeinen habe, in dem die Na-
tion sich selbst unmittelbar repräsentire. Giebt es aber
nun wirklich einen Kreis von Schriften, die der Ge-
nius jener Völker, die wir aufgezählt, gleichmäßig
anerkennt, die viele einander folgenden Generationen
immer wieder von neuem sanctionirt, die den Besten
immer wohlgefallen, die die Menge niemal sinken
lassen, und nach denen Alle nimmer zu verlangen
aufgehört, dann thun wir klug, nicht mehr so ganz
wegwerfend abzuurtheilen; die Verachteten mögten uns
unter die Augen treten, und uns entgegen fragen,
was wir denn selber bedeuteten, und worauf unser
Dünkel denn wohl sich gründen mögte? So aber
ist's wirklich mit den Büchern, die wir im Auge ha-
ben, beschaffen: so weit teutsche Zungen reden, sind
sie überall vom Volke geehret und geliebt; von der
Jugend werden sie verschlungen, vom Alter noch mit
Freude der Rückerinnerung belächelt, kein Stand ist
von ihrer Einwirkung ausgeschlossen, während sie bei
den Untern die einzige Geistesnahrung auf Lebenszeit
ausmachen, greifen sie in die Höheren, wenigstens
durch die Jugend ein, in der überhaupt aller

2.

Idee näher uns befreundet, daß im allgemeinen Ge-
dankenkreiſe die unterſten Regionen auch etwas gelten
und bedeuten mögten, und daß der große Literatur-
ſtaat ſein Haus der Gemeinen habe, in dem die Na-
tion ſich ſelbſt unmittelbar repräſentire. Giebt es aber
nun wirklich einen Kreis von Schriften, die der Ge-
nius jener Völker, die wir aufgezählt, gleichmäßig
anerkennt, die viele einander folgenden Generationen
immer wieder von neuem ſanctionirt, die den Beſten
immer wohlgefallen, die die Menge niemal ſinken
laſſen, und nach denen Alle nimmer zu verlangen
aufgehört, dann thun wir klug, nicht mehr ſo ganz
wegwerfend abzuurtheilen; die Verachteten mögten uns
unter die Augen treten, und uns entgegen fragen,
was wir denn ſelber bedeuteten, und worauf unſer
Dünkel denn wohl ſich gründen mögte? So aber
iſt’s wirklich mit den Büchern, die wir im Auge ha-
ben, beſchaffen: ſo weit teutſche Zungen reden, ſind
ſie überall vom Volke geehret und geliebt; von der
Jugend werden ſie verſchlungen, vom Alter noch mit
Freude der Rückerinnerung belächelt, kein Stand iſt
von ihrer Einwirkung ausgeſchloſſen, während ſie bei
den Untern die einzige Geiſtesnahrung auf Lebenszeit
ausmachen, greifen ſie in die Höheren, wenigſtens
durch die Jugend ein, in der überhaupt aller

2.
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[9/0027] Idee näher uns befreundet, daß im allgemeinen Ge- dankenkreiſe die unterſten Regionen auch etwas gelten und bedeuten mögten, und daß der große Literatur- ſtaat ſein Haus der Gemeinen habe, in dem die Na- tion ſich ſelbſt unmittelbar repräſentire. Giebt es aber nun wirklich einen Kreis von Schriften, die der Ge- nius jener Völker, die wir aufgezählt, gleichmäßig anerkennt, die viele einander folgenden Generationen immer wieder von neuem ſanctionirt, die den Beſten immer wohlgefallen, die die Menge niemal ſinken laſſen, und nach denen Alle nimmer zu verlangen aufgehört, dann thun wir klug, nicht mehr ſo ganz wegwerfend abzuurtheilen; die Verachteten mögten uns unter die Augen treten, und uns entgegen fragen, was wir denn ſelber bedeuteten, und worauf unſer Dünkel denn wohl ſich gründen mögte? So aber iſt’s wirklich mit den Büchern, die wir im Auge ha- ben, beſchaffen: ſo weit teutſche Zungen reden, ſind ſie überall vom Volke geehret und geliebt; von der Jugend werden ſie verſchlungen, vom Alter noch mit Freude der Rückerinnerung belächelt, kein Stand iſt von ihrer Einwirkung ausgeſchloſſen, während ſie bei den Untern die einzige Geiſtesnahrung auf Lebenszeit ausmachen, greifen ſie in die Höheren, wenigſtens durch die Jugend ein, in der überhaupt aller 2.

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/27>, abgerufen am 03.05.2024.