Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

und gerade das Geistigste ihm entführte, mußte der
Rückstand im Gegensatz mit diesem Flüchtigen gewis-
sermaßen einen mehr phlegmatischen und minder
elastischen Character annehmen, und manche der ältesten
Volksbücher, die dem früheren, antiken Volksgeist rein
zusagten, sind dem Gegenwärtigen fremd geworden;
und manche Neuere, indem sie jenem veränderten
Genius sich anschmiegten, traten zugleich in einer
Form hervor, die nicht ganz mehr mit jener Nor-
malen zusammenstimmen will. Es ziehen keine Bären
mehr durch unsere Wälder, keine Elennthiere und keine
Auerochsen; mit Ihnen ist daher auch das Bärenhafte,
was die ältesten Sagen und Bildungen bezeichnet,
gewichen, und wie die Sonnenstrahlen durch die ge-
lichteten Wälder Bahn sich brachen, hat auch in der
entsprechenden Kunstentwicklung ein milderer Geist
Platz gegriffen, der manchmal rein für sich in einzelnen
Bildungen dasteht, manchmal mit jenem Früheren sich
verschmelzend, einen gewissen mittelschlägigen Charac-
ter bildet. Nicht mehr des Ursen und des Bären
unbändige Wildheit spricht daher aus diesen Büchern,
wohl aber ein rascher, gesunder, frischer Geist, wie
er das Reh durch's Dickigt treibt, und in den andern
Thieren des Waldes lebt; es ist nichts Zahmes, Häus-
liches, Gepflegtes in Ihnen, Alles wie draußen im

und gerade das Geiſtigſte ihm entführte, mußte der
Rückſtand im Gegenſatz mit dieſem Flüchtigen gewiſ-
ſermaßen einen mehr phlegmatiſchen und minder
elaſtiſchen Character annehmen, und manche der älteſten
Volksbücher, die dem früheren, antiken Volksgeiſt rein
zuſagten, ſind dem Gegenwärtigen fremd geworden;
und manche Neuere, indem ſie jenem veränderten
Genius ſich anſchmiegten, traten zugleich in einer
Form hervor, die nicht ganz mehr mit jener Nor-
malen zuſammenſtimmen will. Es ziehen keine Bären
mehr durch unſere Wälder, keine Elennthiere und keine
Auerochſen; mit Ihnen iſt daher auch das Bärenhafte,
was die älteſten Sagen und Bildungen bezeichnet,
gewichen, und wie die Sonnenſtrahlen durch die ge-
lichteten Wälder Bahn ſich brachen, hat auch in der
entſprechenden Kunſtentwicklung ein milderer Geiſt
Platz gegriffen, der manchmal rein für ſich in einzelnen
Bildungen daſteht, manchmal mit jenem Früheren ſich
verſchmelzend, einen gewiſſen mittelſchlägigen Charac-
ter bildet. Nicht mehr des Urſen und des Bären
unbändige Wildheit ſpricht daher aus dieſen Büchern,
wohl aber ein raſcher, geſunder, friſcher Geiſt, wie
er das Reh durch’s Dickigt treibt, und in den andern
Thieren des Waldes lebt; es iſt nichts Zahmes, Häus-
liches, Gepflegtes in Ihnen, Alles wie draußen im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0042" n="24"/>
und gerade das Gei&#x017F;tig&#x017F;te ihm entführte, mußte der<lb/>
Rück&#x017F;tand im Gegen&#x017F;atz mit die&#x017F;em Flüchtigen gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ermaßen einen mehr phlegmati&#x017F;chen und minder<lb/>
ela&#x017F;ti&#x017F;chen Character annehmen, und manche der älte&#x017F;ten<lb/>
Volksbücher, die dem früheren, antiken Volksgei&#x017F;t rein<lb/>
zu&#x017F;agten, &#x017F;ind dem Gegenwärtigen fremd geworden;<lb/>
und manche Neuere, indem &#x017F;ie jenem veränderten<lb/>
Genius &#x017F;ich an&#x017F;chmiegten, traten zugleich in einer<lb/>
Form hervor, die nicht ganz mehr mit jener Nor-<lb/>
malen zu&#x017F;ammen&#x017F;timmen will. Es ziehen keine Bären<lb/>
mehr durch un&#x017F;ere Wälder, keine Elennthiere und keine<lb/>
Aueroch&#x017F;en; mit Ihnen i&#x017F;t daher auch das Bärenhafte,<lb/>
was die älte&#x017F;ten Sagen und Bildungen bezeichnet,<lb/>
gewichen, und wie die Sonnen&#x017F;trahlen durch die ge-<lb/>
lichteten Wälder Bahn &#x017F;ich brachen, hat auch in der<lb/>
ent&#x017F;prechenden Kun&#x017F;tentwicklung ein milderer Gei&#x017F;t<lb/>
Platz gegriffen, der manchmal rein für &#x017F;ich in einzelnen<lb/>
Bildungen da&#x017F;teht, manchmal mit jenem Früheren &#x017F;ich<lb/>
ver&#x017F;chmelzend, einen gewi&#x017F;&#x017F;en mittel&#x017F;chlägigen Charac-<lb/>
ter bildet. Nicht mehr des Ur&#x017F;en und des Bären<lb/>
unbändige Wildheit &#x017F;pricht daher aus die&#x017F;en Büchern,<lb/>
wohl aber ein ra&#x017F;cher, ge&#x017F;under, fri&#x017F;cher Gei&#x017F;t, wie<lb/>
er das Reh durch&#x2019;s Dickigt treibt, und in den andern<lb/>
Thieren des Waldes lebt; es i&#x017F;t nichts Zahmes, Häus-<lb/>
liches, Gepflegtes in Ihnen, Alles wie draußen im<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0042] und gerade das Geiſtigſte ihm entführte, mußte der Rückſtand im Gegenſatz mit dieſem Flüchtigen gewiſ- ſermaßen einen mehr phlegmatiſchen und minder elaſtiſchen Character annehmen, und manche der älteſten Volksbücher, die dem früheren, antiken Volksgeiſt rein zuſagten, ſind dem Gegenwärtigen fremd geworden; und manche Neuere, indem ſie jenem veränderten Genius ſich anſchmiegten, traten zugleich in einer Form hervor, die nicht ganz mehr mit jener Nor- malen zuſammenſtimmen will. Es ziehen keine Bären mehr durch unſere Wälder, keine Elennthiere und keine Auerochſen; mit Ihnen iſt daher auch das Bärenhafte, was die älteſten Sagen und Bildungen bezeichnet, gewichen, und wie die Sonnenſtrahlen durch die ge- lichteten Wälder Bahn ſich brachen, hat auch in der entſprechenden Kunſtentwicklung ein milderer Geiſt Platz gegriffen, der manchmal rein für ſich in einzelnen Bildungen daſteht, manchmal mit jenem Früheren ſich verſchmelzend, einen gewiſſen mittelſchlägigen Charac- ter bildet. Nicht mehr des Urſen und des Bären unbändige Wildheit ſpricht daher aus dieſen Büchern, wohl aber ein raſcher, geſunder, friſcher Geiſt, wie er das Reh durch’s Dickigt treibt, und in den andern Thieren des Waldes lebt; es iſt nichts Zahmes, Häus- liches, Gepflegtes in Ihnen, Alles wie draußen im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/42
Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/42>, abgerufen am 03.05.2024.