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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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Auch im Orient finden wir gar frühe
Documente einer bedeutenden Weltausbil-
dung. Sollten auch unsere heiligen Bücher
später in Schriften verfasst seyn, so sind
doch die Anlässe dazu als Ueberlieferungen
uralt, und können nicht dankbar genug be-
achtet werden. Wie vieles musste nicht
auch in dem mittlern Orient, wie wir
Persien und seine Umgebungen nennen dür-
fen, jeden Augenblick entstehen, und sich
trotz aller Verwüstung und Zersplitterung
erhalten. Denn wenn es zu höherer Aus-
bildung grosser Landstrecken dienlich ist,
dass solche nicht Einem Herrn unterworfen,
sondern unter mehrere getheilt seyen, so ist
derselbe Zustand gleichfalls der Erhaltung
nütze, weil das was an dem einen Ort zu
Grunde geht, an dem andern fortbestehen,
was aus dieser Ecke vertrieben wird, sich in
jene flüchten kann.

Auf solche Weise müssen, ungeachtet
aller Zerstörung und Verwüstung, sich
manche Abschriften aus frühern Zeiten er-
halten haben, die man von Epoche zu Epo-
che theils abgeschrieben, theils erneuert.
So finden wir dass unter Jesdedschird, dem

Auch im Orient finden wir gar frühe
Documente einer bedeutenden Weltausbil-
dung. Sollten auch unsere heiligen Bücher
später in Schriften verfaſst seyn, so sind
doch die Anlässe dazu als Ueberlieferungen
uralt, und können nicht dankbar genug be-
achtet werden. Wie vieles muſste nicht
auch in dem mittlern Orient, wie wir
Persien und seine Umgebungen nennen dür-
fen, jeden Augenblick entstehen, und sich
trotz aller Verwüstung und Zersplitterung
erhalten. Denn wenn es zu höherer Aus-
bildung groſser Landstrecken dienlich ist,
daſs solche nicht Einem Herrn unterworfen,
sondern unter mehrere getheilt seyen, so ist
derselbe Zustand gleichfalls der Erhaltung
nütze, weil das was an dem einen Ort zu
Grunde geht, an dem andern fortbestehen,
was aus dieser Ecke vertrieben wird, sich in
jene flüchten kann.

Auf solche Weise müssen, ungeachtet
aller Zerstörung und Verwüstung, sich
manche Abschriften aus frühern Zeiten er-
halten haben, die man von Epoche zu Epo-
che theils abgeschrieben, theils erneuert.
So finden wir daſs unter Jesdedschird, dem

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[301/0311] Auch im Orient finden wir gar frühe Documente einer bedeutenden Weltausbil- dung. Sollten auch unsere heiligen Bücher später in Schriften verfaſst seyn, so sind doch die Anlässe dazu als Ueberlieferungen uralt, und können nicht dankbar genug be- achtet werden. Wie vieles muſste nicht auch in dem mittlern Orient, wie wir Persien und seine Umgebungen nennen dür- fen, jeden Augenblick entstehen, und sich trotz aller Verwüstung und Zersplitterung erhalten. Denn wenn es zu höherer Aus- bildung groſser Landstrecken dienlich ist, daſs solche nicht Einem Herrn unterworfen, sondern unter mehrere getheilt seyen, so ist derselbe Zustand gleichfalls der Erhaltung nütze, weil das was an dem einen Ort zu Grunde geht, an dem andern fortbestehen, was aus dieser Ecke vertrieben wird, sich in jene flüchten kann. Auf solche Weise müssen, ungeachtet aller Zerstörung und Verwüstung, sich manche Abschriften aus frühern Zeiten er- halten haben, die man von Epoche zu Epo- che theils abgeschrieben, theils erneuert. So finden wir daſs unter Jesdedschird, dem

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/311>, abgerufen am 30.04.2024.