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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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solchen Massstab wird alles übrige gemes-
sen. So die Residenz, im Norden von Chi-
na, unübersehbar; das Schloss des Chans,
eine Stadt in der Stadt; daselbst aufgebäufte
Schätze und Waffen; Beamte, Soldaten und
Hofleute unzählbar; zu wiederholten Fest-
mahlen jeder mit seiner Gattin berufen.
Eben so ein Landaufenthalt! Einrichtung
zu allem Vergnügen, besonders ein Heer
von Jägern, und eine Jagdlust in der gröss-
ten Ausbreitung. Gezähmte Leoparden, ab-
gerichtete Falken, die thätigsten Gehülfen
der Jagenden, zahllose Beute gehäuft. Da-
bey das ganze Jahr Geschenke ausgespendet
und empfangen. Gold und Silber; Juwe-
len, Perlen, alle Arten von Kostbarkeiten
im Besitz des Fürsten und seiner Begün-
stigten; indessen sich die übrigen Millionen
von Unterthanen wechselseitig mit einer
Scheinmünze abzufinden haben.

Begeben wir uns aus der Hauptstadt
auf die Reise, so wissen wir vor lauter
Vorstädten nicht, wo die Stadt aufhört.
Wir finden sofort Wohnung an Wohnun-
gen, Dorf an Dörfern, und den herrlichen
Fluss hinab eine Reihe von Lustorten. Al-

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solchen Maſsstab wird alles übrige gemes-
sen. So die Residenz, im Norden von Chi-
na, unübersehbar; das Schloſs des Chans,
eine Stadt in der Stadt; daselbst aufgebäufte
Schätze und Waffen; Beamte, Soldaten und
Hofleute unzählbar; zu wiederholten Fest-
mahlen jeder mit seiner Gattin berufen.
Eben so ein Landaufenthalt! Einrichtung
zu allem Vergnügen, besonders ein Heer
von Jägern, und eine Jagdlust in der gröſs-
ten Ausbreitung. Gezähmte Leoparden, ab-
gerichtete Falken, die thätigsten Gehülfen
der Jagenden, zahllose Beute gehäuft. Da-
bey das ganze Jahr Geschenke ausgespendet
und empfangen. Gold und Silber; Juwe-
len, Perlen, alle Arten von Kostbarkeiten
im Besitz des Fürsten und seiner Begün-
stigten; indessen sich die übrigen Millionen
von Unterthanen wechselseitig mit einer
Scheinmünze abzufinden haben.

Begeben wir uns aus der Hauptstadt
auf die Reise, so wissen wir vor lauter
Vorstädten nicht, wo die Stadt aufhört.
Wir finden sofort Wohnung an Wohnun-
gen, Dorf an Dörfern, und den herrlichen
Fluſs hinab eine Reihe von Lustorten. Al-

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[463[465]/0475] solchen Maſsstab wird alles übrige gemes- sen. So die Residenz, im Norden von Chi- na, unübersehbar; das Schloſs des Chans, eine Stadt in der Stadt; daselbst aufgebäufte Schätze und Waffen; Beamte, Soldaten und Hofleute unzählbar; zu wiederholten Fest- mahlen jeder mit seiner Gattin berufen. Eben so ein Landaufenthalt! Einrichtung zu allem Vergnügen, besonders ein Heer von Jägern, und eine Jagdlust in der gröſs- ten Ausbreitung. Gezähmte Leoparden, ab- gerichtete Falken, die thätigsten Gehülfen der Jagenden, zahllose Beute gehäuft. Da- bey das ganze Jahr Geschenke ausgespendet und empfangen. Gold und Silber; Juwe- len, Perlen, alle Arten von Kostbarkeiten im Besitz des Fürsten und seiner Begün- stigten; indessen sich die übrigen Millionen von Unterthanen wechselseitig mit einer Scheinmünze abzufinden haben. Begeben wir uns aus der Hauptstadt auf die Reise, so wissen wir vor lauter Vorstädten nicht, wo die Stadt aufhört. Wir finden sofort Wohnung an Wohnun- gen, Dorf an Dörfern, und den herrlichen Fluſs hinab eine Reihe von Lustorten. Al- 30

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 463[465]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/475>, abgerufen am 27.04.2024.