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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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gemalt worden. Der hochwürdige Mann stand in ei-
nem glänzenden Sammtrocke da, welcher fast mehr als
das Gesicht die Augen der Anschauer auf sich zog und
Bewunderung erregte. Indessen hatte das Bild nach
und nach durch Lichterdampf und Staub von seiner
ersten Lebhaftigkeit vieles verloren. Man übergab es
daher einem Maler, der es reinigen und mit einem
neuen Firniß überziehen sollte. Dieser fängt nun sorg-
fältig an zuerst das Bild mit einem feuchten Schwamm
abzuwaschen; kaum aber hat er es einigemal überfah-
ren und den stärksten Schmutz weggewischt, als zu sei-
nem Erstaunen der schwarze Sammtrock sich plötzlich in
einen hellblauen Plüschrock verwandelt, wodurch der
geistliche Herr ein sehr weltliches, obgleich altmodisches
Ansehn gewinnt. Der Maler getraut sich nicht weiter
zu waschen, begreift nicht, wie ein Hellblau zum Grunde
des tiefsten Schwarzen liegen, noch weniger wie er
eine Lasur so schnell könne weggescheuert haben, welche
ein solches Blau, wie er vor sich sah, in Schwarz zu
verwandeln im Stande gewesen wäre.

Genug er fühlte sich sehr bestürzt, das Bild auf
diesen Grad verdorben zu haben: es war nichts Geist-
liches mehr daran zu sehen, als nur die vielgelockte,
runde Perücke, wobey der Tausch eines verschossenen
Plüschrocks gegen einen trefflichen neuen Sammtrock
durchaus unerwünscht blieb. Das Uebel schien indessen
unheilbar, und unser guter Künstler lehnte mißmuthig
das Bild gegen die Wand und legte sich nicht ohne
Sorgen zu Bette.

gemalt worden. Der hochwuͤrdige Mann ſtand in ei-
nem glaͤnzenden Sammtrocke da, welcher faſt mehr als
das Geſicht die Augen der Anſchauer auf ſich zog und
Bewunderung erregte. Indeſſen hatte das Bild nach
und nach durch Lichterdampf und Staub von ſeiner
erſten Lebhaftigkeit vieles verloren. Man uͤbergab es
daher einem Maler, der es reinigen und mit einem
neuen Firniß uͤberziehen ſollte. Dieſer faͤngt nun ſorg-
faͤltig an zuerſt das Bild mit einem feuchten Schwamm
abzuwaſchen; kaum aber hat er es einigemal uͤberfah-
ren und den ſtaͤrkſten Schmutz weggewiſcht, als zu ſei-
nem Erſtaunen der ſchwarze Sammtrock ſich ploͤtzlich in
einen hellblauen Pluͤſchrock verwandelt, wodurch der
geiſtliche Herr ein ſehr weltliches, obgleich altmodiſches
Anſehn gewinnt. Der Maler getraut ſich nicht weiter
zu waſchen, begreift nicht, wie ein Hellblau zum Grunde
des tiefſten Schwarzen liegen, noch weniger wie er
eine Laſur ſo ſchnell koͤnne weggeſcheuert haben, welche
ein ſolches Blau, wie er vor ſich ſah, in Schwarz zu
verwandeln im Stande geweſen waͤre.

Genug er fuͤhlte ſich ſehr beſtuͤrzt, das Bild auf
dieſen Grad verdorben zu haben: es war nichts Geiſt-
liches mehr daran zu ſehen, als nur die vielgelockte,
runde Peruͤcke, wobey der Tauſch eines verſchoſſenen
Pluͤſchrocks gegen einen trefflichen neuen Sammtrock
durchaus unerwuͤnſcht blieb. Das Uebel ſchien indeſſen
unheilbar, und unſer guter Kuͤnſtler lehnte mißmuthig
das Bild gegen die Wand und legte ſich nicht ohne
Sorgen zu Bette.

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[64/0118] gemalt worden. Der hochwuͤrdige Mann ſtand in ei- nem glaͤnzenden Sammtrocke da, welcher faſt mehr als das Geſicht die Augen der Anſchauer auf ſich zog und Bewunderung erregte. Indeſſen hatte das Bild nach und nach durch Lichterdampf und Staub von ſeiner erſten Lebhaftigkeit vieles verloren. Man uͤbergab es daher einem Maler, der es reinigen und mit einem neuen Firniß uͤberziehen ſollte. Dieſer faͤngt nun ſorg- faͤltig an zuerſt das Bild mit einem feuchten Schwamm abzuwaſchen; kaum aber hat er es einigemal uͤberfah- ren und den ſtaͤrkſten Schmutz weggewiſcht, als zu ſei- nem Erſtaunen der ſchwarze Sammtrock ſich ploͤtzlich in einen hellblauen Pluͤſchrock verwandelt, wodurch der geiſtliche Herr ein ſehr weltliches, obgleich altmodiſches Anſehn gewinnt. Der Maler getraut ſich nicht weiter zu waſchen, begreift nicht, wie ein Hellblau zum Grunde des tiefſten Schwarzen liegen, noch weniger wie er eine Laſur ſo ſchnell koͤnne weggeſcheuert haben, welche ein ſolches Blau, wie er vor ſich ſah, in Schwarz zu verwandeln im Stande geweſen waͤre. Genug er fuͤhlte ſich ſehr beſtuͤrzt, das Bild auf dieſen Grad verdorben zu haben: es war nichts Geiſt- liches mehr daran zu ſehen, als nur die vielgelockte, runde Peruͤcke, wobey der Tauſch eines verſchoſſenen Pluͤſchrocks gegen einen trefflichen neuen Sammtrock durchaus unerwuͤnſcht blieb. Das Uebel ſchien indeſſen unheilbar, und unſer guter Kuͤnſtler lehnte mißmuthig das Bild gegen die Wand und legte ſich nicht ohne Sorgen zu Bette.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/118>, abgerufen am 30.04.2024.