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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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tonische Figur, die eilfte seiner zweyten Tafel, welche
bey ihm selbst nachzusehen wäre, die Aufmerksamkeit
erregen. Sie ist perspectivisch confus gezeichnet, und
hat nebenher noch etwas merkwürdig captiöses. Die
zweyfarbige Pappe ist hier durch Dunkel und Hell un-
terschieden, die rechtwinklichte Lage ihrer Fläche gegen
das Fenster ist ziemlich deutlich angegeben; allein das
durchs Prisma bewaffnete Auge steht nicht an der rech-
ten Stelle; es müßte in Einer Linie mit der Durch-
schnittslinie der gefärbten Pappe stehen. Auch ist die
Verrückung der Bilder nicht glücklich angegeben, denn
es sieht aus, als wenn sie in der Diagonale verrückt
würden, welches doch nicht ist: denn sie werden nur,
je nachdem der brechende Winkel gehalten wird, vom
Beobachter ab, oder zum Beobachter zu gerückt. Was
aber höchst merkwürdig ist, darf Niemanden entgehen.
Die verrückten, nach der Newtonischen Lehre divers
refrangirten Bilder sind mit Säumen vorgestellt, die
im Original an dem dunkeln Theil undeutlich, an dem
hellen Theil sehr deutlich zu sehen sind, welches letzte
auch die Tafeln zur lateinischen Uebersetzung zeigen.
Wenn also bey diesem Experimente nichts weiter ge-
schieht, als daß ein Bild weiter gerückt werde, als das
andre, warum läßt er denn die Bilder nicht in ihren
Linien eingeschlossen, warum macht er sie breiter,
warum gibt er ihnen verfließende Säume? Er hat
also diese Säume wohl gesehen; aber er konnte sich
nicht überzeugen, daß diesen Säumen, und keinesweges
einer diversen Refrangibilität, das Phänomen zuzuschrei-
ben sey. Warum erwähnt er denn im Texte dieser Er-

toniſche Figur, die eilfte ſeiner zweyten Tafel, welche
bey ihm ſelbſt nachzuſehen waͤre, die Aufmerkſamkeit
erregen. Sie iſt perſpectiviſch confus gezeichnet, und
hat nebenher noch etwas merkwuͤrdig captioͤſes. Die
zweyfarbige Pappe iſt hier durch Dunkel und Hell un-
terſchieden, die rechtwinklichte Lage ihrer Flaͤche gegen
das Fenſter iſt ziemlich deutlich angegeben; allein das
durchs Prisma bewaffnete Auge ſteht nicht an der rech-
ten Stelle; es muͤßte in Einer Linie mit der Durch-
ſchnittslinie der gefaͤrbten Pappe ſtehen. Auch iſt die
Verruͤckung der Bilder nicht gluͤcklich angegeben, denn
es ſieht aus, als wenn ſie in der Diagonale verruͤckt
wuͤrden, welches doch nicht iſt: denn ſie werden nur,
je nachdem der brechende Winkel gehalten wird, vom
Beobachter ab, oder zum Beobachter zu geruͤckt. Was
aber hoͤchſt merkwuͤrdig iſt, darf Niemanden entgehen.
Die verruͤckten, nach der Newtoniſchen Lehre divers
refrangirten Bilder ſind mit Saͤumen vorgeſtellt, die
im Original an dem dunkeln Theil undeutlich, an dem
hellen Theil ſehr deutlich zu ſehen ſind, welches letzte
auch die Tafeln zur lateiniſchen Ueberſetzung zeigen.
Wenn alſo bey dieſem Experimente nichts weiter ge-
ſchieht, als daß ein Bild weiter geruͤckt werde, als das
andre, warum laͤßt er denn die Bilder nicht in ihren
Linien eingeſchloſſen, warum macht er ſie breiter,
warum gibt er ihnen verfließende Saͤume? Er hat
alſo dieſe Saͤume wohl geſehen; aber er konnte ſich
nicht uͤberzeugen, daß dieſen Saͤumen, und keinesweges
einer diverſen Refrangibilitaͤt, das Phaͤnomen zuzuſchrei-
ben ſey. Warum erwaͤhnt er denn im Texte dieſer Er-

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[383/0437] toniſche Figur, die eilfte ſeiner zweyten Tafel, welche bey ihm ſelbſt nachzuſehen waͤre, die Aufmerkſamkeit erregen. Sie iſt perſpectiviſch confus gezeichnet, und hat nebenher noch etwas merkwuͤrdig captioͤſes. Die zweyfarbige Pappe iſt hier durch Dunkel und Hell un- terſchieden, die rechtwinklichte Lage ihrer Flaͤche gegen das Fenſter iſt ziemlich deutlich angegeben; allein das durchs Prisma bewaffnete Auge ſteht nicht an der rech- ten Stelle; es muͤßte in Einer Linie mit der Durch- ſchnittslinie der gefaͤrbten Pappe ſtehen. Auch iſt die Verruͤckung der Bilder nicht gluͤcklich angegeben, denn es ſieht aus, als wenn ſie in der Diagonale verruͤckt wuͤrden, welches doch nicht iſt: denn ſie werden nur, je nachdem der brechende Winkel gehalten wird, vom Beobachter ab, oder zum Beobachter zu geruͤckt. Was aber hoͤchſt merkwuͤrdig iſt, darf Niemanden entgehen. Die verruͤckten, nach der Newtoniſchen Lehre divers refrangirten Bilder ſind mit Saͤumen vorgeſtellt, die im Original an dem dunkeln Theil undeutlich, an dem hellen Theil ſehr deutlich zu ſehen ſind, welches letzte auch die Tafeln zur lateiniſchen Ueberſetzung zeigen. Wenn alſo bey dieſem Experimente nichts weiter ge- ſchieht, als daß ein Bild weiter geruͤckt werde, als das andre, warum laͤßt er denn die Bilder nicht in ihren Linien eingeſchloſſen, warum macht er ſie breiter, warum gibt er ihnen verfließende Saͤume? Er hat alſo dieſe Saͤume wohl geſehen; aber er konnte ſich nicht uͤberzeugen, daß dieſen Saͤumen, und keinesweges einer diverſen Refrangibilitaͤt, das Phaͤnomen zuzuſchrei- ben ſey. Warum erwaͤhnt er denn im Texte dieſer Er-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/437>, abgerufen am 30.04.2024.