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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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der gelbe Saum in das Bild hinein, der blaue Rand
und der violette Saum hingegen aus dem Bilde hin-
ausstrebe. Der gelbe Saum kann niemals weiter ge-
langen als bis zum entgegengesetzten blauen Rande, mit
dem er sich zum Grün verbindet; und hier ist eigentlich
das Ende des innern Bildes. Der violette Saum geht
aber immer seiner Wege fort und wird von Schritt zu
Schritt breiter. Nimmt man also eine kleine Oeffnung
und verrückt das Lichtbild so lange, daß es nunmehr
um fünf Theile länger als breit erscheint, so ist dieß
keinesweges die Normallänge für größere Bilder unter
gleicher Bedingung. Denn man bereite sich eine Pappe
oder ein Blech, in welchem mehrere Oeffnungen von
verschiedener Größe oben an einer Horizontallinie anste-
hen; man schiebe diese Vorrichtung vor das Wasser-
prisma und lasse auf diese sämmtlichen Oeffnungen nun
das Sonnenlicht fallen, und die durch das Prisma ge-
brochenen Bilder werden sich an der Wand in jeder
beliebigen Entfernung zeigen, jedoch so, daß weil sie
alle an einer Horizontallinie oben anstehen, der violette
Saum bey keinem Bilde länger seyn kann als beym
andern. Ist nun das Bild größer, so hat es ein an-
dres Verhältniß zu diesem Saume, und folglich ist seine
Breite nicht so oft in der Länge enthalten, als am
kleinen Bilde. Man kann diesen Versuch auch subjectiv
sehr bequem machen, wenn man auf eine schwarze Ta-
fel weiße Scheiben von verschiedener Größe neben ein-
ander klebt, die aber, weil man gewöhnlich den bre-
chenden Winkel unterwärts hält, unten auf einer Hori-
zontallinie aufstehen müssen.

der gelbe Saum in das Bild hinein, der blaue Rand
und der violette Saum hingegen aus dem Bilde hin-
ausſtrebe. Der gelbe Saum kann niemals weiter ge-
langen als bis zum entgegengeſetzten blauen Rande, mit
dem er ſich zum Gruͤn verbindet; und hier iſt eigentlich
das Ende des innern Bildes. Der violette Saum geht
aber immer ſeiner Wege fort und wird von Schritt zu
Schritt breiter. Nimmt man alſo eine kleine Oeffnung
und verruͤckt das Lichtbild ſo lange, daß es nunmehr
um fuͤnf Theile laͤnger als breit erſcheint, ſo iſt dieß
keinesweges die Normallaͤnge fuͤr groͤßere Bilder unter
gleicher Bedingung. Denn man bereite ſich eine Pappe
oder ein Blech, in welchem mehrere Oeffnungen von
verſchiedener Groͤße oben an einer Horizontallinie anſte-
hen; man ſchiebe dieſe Vorrichtung vor das Waſſer-
prisma und laſſe auf dieſe ſaͤmmtlichen Oeffnungen nun
das Sonnenlicht fallen, und die durch das Prisma ge-
brochenen Bilder werden ſich an der Wand in jeder
beliebigen Entfernung zeigen, jedoch ſo, daß weil ſie
alle an einer Horizontallinie oben anſtehen, der violette
Saum bey keinem Bilde laͤnger ſeyn kann als beym
andern. Iſt nun das Bild groͤßer, ſo hat es ein an-
dres Verhaͤltniß zu dieſem Saume, und folglich iſt ſeine
Breite nicht ſo oft in der Laͤnge enthalten, als am
kleinen Bilde. Man kann dieſen Verſuch auch ſubjectiv
ſehr bequem machen, wenn man auf eine ſchwarze Ta-
fel weiße Scheiben von verſchiedener Groͤße neben ein-
ander klebt, die aber, weil man gewoͤhnlich den bre-
chenden Winkel unterwaͤrts haͤlt, unten auf einer Hori-
zontallinie aufſtehen muͤſſen.

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[407/0461] der gelbe Saum in das Bild hinein, der blaue Rand und der violette Saum hingegen aus dem Bilde hin- ausſtrebe. Der gelbe Saum kann niemals weiter ge- langen als bis zum entgegengeſetzten blauen Rande, mit dem er ſich zum Gruͤn verbindet; und hier iſt eigentlich das Ende des innern Bildes. Der violette Saum geht aber immer ſeiner Wege fort und wird von Schritt zu Schritt breiter. Nimmt man alſo eine kleine Oeffnung und verruͤckt das Lichtbild ſo lange, daß es nunmehr um fuͤnf Theile laͤnger als breit erſcheint, ſo iſt dieß keinesweges die Normallaͤnge fuͤr groͤßere Bilder unter gleicher Bedingung. Denn man bereite ſich eine Pappe oder ein Blech, in welchem mehrere Oeffnungen von verſchiedener Groͤße oben an einer Horizontallinie anſte- hen; man ſchiebe dieſe Vorrichtung vor das Waſſer- prisma und laſſe auf dieſe ſaͤmmtlichen Oeffnungen nun das Sonnenlicht fallen, und die durch das Prisma ge- brochenen Bilder werden ſich an der Wand in jeder beliebigen Entfernung zeigen, jedoch ſo, daß weil ſie alle an einer Horizontallinie oben anſtehen, der violette Saum bey keinem Bilde laͤnger ſeyn kann als beym andern. Iſt nun das Bild groͤßer, ſo hat es ein an- dres Verhaͤltniß zu dieſem Saume, und folglich iſt ſeine Breite nicht ſo oft in der Laͤnge enthalten, als am kleinen Bilde. Man kann dieſen Verſuch auch ſubjectiv ſehr bequem machen, wenn man auf eine ſchwarze Ta- fel weiße Scheiben von verſchiedener Groͤße neben ein- ander klebt, die aber, weil man gewoͤhnlich den bre- chenden Winkel unterwaͤrts haͤlt, unten auf einer Hori- zontallinie aufſtehen muͤſſen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/461>, abgerufen am 29.04.2024.