wie dieß nun gleichzeitig schnell und heftig geschieht, so muß eine Uebereinstimmung daraus entspringen, das was man in der Kunst Stil zu nennen pflegt, wo- durch die Individualitäten im Rechten und Guten im- mer näher aneinander gerückt und eben dadurch mehr herausgehoben, mehr begünstigt werden, als wenn sie sich durch seltsame Eigenthümlichkeiten carricaturmä- ßig von einander zu entfernen streben.
Wem die Bemühungen der Deutschen in diesem Sinne seit mehrern Jahren vor Augen sind, wird sich Beyspiele genug zu dem, was wir im Allgemeinen aus- sprechen, vergegenwärtigen können, und wir sagen getrost in Gefolg unserer Ueberzeugung: an Tiefe so wie an Fleiß hat es dem Deutschen nie gefehlt. Nä- hert er sich andern Nationen an Bequemlichkeit der Behandlung und übertrifft sie an Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit; so wird man ihm früher oder später die erste Stelle in Wissenschaft und Kunst nicht streitig machen.
wie dieß nun gleichzeitig ſchnell und heftig geſchieht, ſo muß eine Uebereinſtimmung daraus entſpringen, das was man in der Kunſt Stil zu nennen pflegt, wo- durch die Individualitaͤten im Rechten und Guten im- mer naͤher aneinander geruͤckt und eben dadurch mehr herausgehoben, mehr beguͤnſtigt werden, als wenn ſie ſich durch ſeltſame Eigenthuͤmlichkeiten carricaturmaͤ- ßig von einander zu entfernen ſtreben.
Wem die Bemuͤhungen der Deutſchen in dieſem Sinne ſeit mehrern Jahren vor Augen ſind, wird ſich Beyſpiele genug zu dem, was wir im Allgemeinen aus- ſprechen, vergegenwaͤrtigen koͤnnen, und wir ſagen getroſt in Gefolg unſerer Ueberzeugung: an Tiefe ſo wie an Fleiß hat es dem Deutſchen nie gefehlt. Naͤ- hert er ſich andern Nationen an Bequemlichkeit der Behandlung und uͤbertrifft ſie an Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit; ſo wird man ihm fruͤher oder ſpaͤter die erſte Stelle in Wiſſenſchaft und Kunſt nicht ſtreitig machen.
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wie dieß nun gleichzeitig ſchnell und heftig geſchieht,
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was man in der Kunſt Stil zu nennen pflegt, wo-
durch die Individualitaͤten im Rechten und Guten im-
mer naͤher aneinander geruͤckt und eben dadurch mehr
herausgehoben, mehr beguͤnſtigt werden, als wenn
ſie ſich durch ſeltſame Eigenthuͤmlichkeiten carricaturmaͤ-
ßig von einander zu entfernen ſtreben.
Wem die Bemuͤhungen der Deutſchen in dieſem
Sinne ſeit mehrern Jahren vor Augen ſind, wird ſich
Beyſpiele genug zu dem, was wir im Allgemeinen aus-
ſprechen, vergegenwaͤrtigen koͤnnen, und wir ſagen
getroſt in Gefolg unſerer Ueberzeugung: an Tiefe ſo
wie an Fleiß hat es dem Deutſchen nie gefehlt. Naͤ-
hert er ſich andern Nationen an Bequemlichkeit der
Behandlung und uͤbertrifft ſie an Aufrichtigkeit und
Gerechtigkeit; ſo wird man ihm fruͤher oder ſpaͤter die
erſte Stelle in Wiſſenſchaft und Kunſt nicht ſtreitig
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/156>, abgerufen am 08.05.2024.
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