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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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chen Lehre entgegensetzte, die denjenigen, der sie annahm,
zu einer bisher unbekannten, ja ungeahneten Denk-
freyheit und Großheit der Gesinnungen berechtigte und
aufforderte.


Wir fügen noch zwey Bemerkungen hinzu, die
uns in der Geschichte der Wissenschaften überhaupt und
der Farbenlehre besonders, leitend und nützlich seyn
können.

In jedem Jahrhundert, ja in jedem Jahrzehend
werden tüchtige Entdeckungen gemacht, geschehen uner-
wartete Begebenheiten, treten vorzügliche Menschen auf,
welche neue Ansichten verbreiten. Weil aber solche Er-
eignisse sich gewöhnlich nur auf partielle Gegenstände
beziehen, so wird die ganze Masse der Menschen und
ihre Aufmerksamkeit dahin geleitet. Dergleichen mehr
oder weniger ausschließliche Beschäftigungen ziehen ein
solches Zeitalter von allem Uebrigen ab, so daß man
weder an das Wichtige denkt, was schon da gewesen,
noch an das, was noch zu thun sey, bis denn endlich
das begünstigte Particulare genugsam durchgearbeitet
in den allgemeinen Kreis des Bekannten mit eintritt
und nunmehr still fortwirkt, ohne ein besonderes leb-
haftes Interesse weiter zu erregen.


Alles ist in der Natur aufs innigste verknüpft und
verbunden, und selbst was in der Natur getrennt ist, mag der

chen Lehre entgegenſetzte, die denjenigen, der ſie annahm,
zu einer bisher unbekannten, ja ungeahneten Denk-
freyheit und Großheit der Geſinnungen berechtigte und
aufforderte.


Wir fuͤgen noch zwey Bemerkungen hinzu, die
uns in der Geſchichte der Wiſſenſchaften uͤberhaupt und
der Farbenlehre beſonders, leitend und nuͤtzlich ſeyn
koͤnnen.

In jedem Jahrhundert, ja in jedem Jahrzehend
werden tuͤchtige Entdeckungen gemacht, geſchehen uner-
wartete Begebenheiten, treten vorzuͤgliche Menſchen auf,
welche neue Anſichten verbreiten. Weil aber ſolche Er-
eigniſſe ſich gewoͤhnlich nur auf partielle Gegenſtaͤnde
beziehen, ſo wird die ganze Maſſe der Menſchen und
ihre Aufmerkſamkeit dahin geleitet. Dergleichen mehr
oder weniger ausſchließliche Beſchaͤftigungen ziehen ein
ſolches Zeitalter von allem Uebrigen ab, ſo daß man
weder an das Wichtige denkt, was ſchon da geweſen,
noch an das, was noch zu thun ſey, bis denn endlich
das beguͤnſtigte Particulare genugſam durchgearbeitet
in den allgemeinen Kreis des Bekannten mit eintritt
und nunmehr ſtill fortwirkt, ohne ein beſonderes leb-
haftes Intereſſe weiter zu erregen.


Alles iſt in der Natur aufs innigſte verknuͤpft und
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[214/0248] chen Lehre entgegenſetzte, die denjenigen, der ſie annahm, zu einer bisher unbekannten, ja ungeahneten Denk- freyheit und Großheit der Geſinnungen berechtigte und aufforderte. Wir fuͤgen noch zwey Bemerkungen hinzu, die uns in der Geſchichte der Wiſſenſchaften uͤberhaupt und der Farbenlehre beſonders, leitend und nuͤtzlich ſeyn koͤnnen. In jedem Jahrhundert, ja in jedem Jahrzehend werden tuͤchtige Entdeckungen gemacht, geſchehen uner- wartete Begebenheiten, treten vorzuͤgliche Menſchen auf, welche neue Anſichten verbreiten. Weil aber ſolche Er- eigniſſe ſich gewoͤhnlich nur auf partielle Gegenſtaͤnde beziehen, ſo wird die ganze Maſſe der Menſchen und ihre Aufmerkſamkeit dahin geleitet. Dergleichen mehr oder weniger ausſchließliche Beſchaͤftigungen ziehen ein ſolches Zeitalter von allem Uebrigen ab, ſo daß man weder an das Wichtige denkt, was ſchon da geweſen, noch an das, was noch zu thun ſey, bis denn endlich das beguͤnſtigte Particulare genugſam durchgearbeitet in den allgemeinen Kreis des Bekannten mit eintritt und nunmehr ſtill fortwirkt, ohne ein beſonderes leb- haftes Intereſſe weiter zu erregen. Alles iſt in der Natur aufs innigſte verknuͤpft und verbunden, und ſelbſt was in der Natur getrennt iſt, mag der

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/248>, abgerufen am 28.04.2024.